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Geschichte Politik

Die digitale Kluft.

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Durch unsere Gesellschaft (falls wir überhaupt noch dieses Konstrukt aus dem 19. Jahrhundert bedienen wollen) läuft eine tiefe Kluft. Mit der Digital Divide wird üblicherweise das Problem des “digitalen Analphabetismus” bezeichnet, also die Tatsache, dass ein Teil der (Welt-)Bevölkerung durch Armut oder Starrsinn vom Internet ausgeschlossen bleibt.

In Wahrheit aber, davon bin ich überzeugt, läuft die Bruchlinie der digitale Wasserscheide aber viel elementarer durch unsere ganze, sogenannte abendländische Kultur. Dieser reaktionären Begriff scheint mir ganz in dem negativen Sinne von Oswald Spengler angemessen, denn es geht um nichts weniger, als den kompletten Umbruch der Ordnung, die uns seit mindestens 200 Jahren als gegeben scheint. Warum schreibe ich so pathetisches Zeug? Weil es passt!

Vor fünfzehn Jahren hatte ich in der Wired einen launigen Artikel gelesen: Net-Heads vs. Bell-Heads. Bell-Heads leitet sich von der Bell Telephone Company ab, der ersten Telefongesellschaft der Welt und dem direkten Vorläufer von AT&T. Über hunder Jahre lang waren Bell-Heads die Architekten der globalen (Tele-)Kommunikation. Aus den Bell Labs in New Jersey gingen viele epochale Erfindungen des IT-Zeitalters hervor, nicht zuletzt der Transistor. Die Bell-Heads waren die Helden und Propheten der vernetzten Welt.

Das Ende des Bell-Zeitalters trägt inzwischen legendäre Züge: John Draper, wie er sich mit dem Ton einer Trillerpfeife aus einer Cornflakes-Packung 1972 das US Telefonsystem unterwerfen konnte. Als sich die dezentrale Netz-Logik von TCP/IP mehr und mehr durchsetzte, wurde den Vordenkern der Netzkultur klar: ein zentralistisch-bürokratisches System wie die Telefongesellschaft war dem verteilten Chaos des Internet langfristig unterlegen. Die Net-Heads, die Evangelisten der anti-hierarchischen Kommunikationsarchitektur wurden zu den Apokalyptikern, die das Ende der alten Telefonwelt kommen sahen.

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Das Netz ohne feste Hierarchie mit rein lokaler Organisation ist das Sinnbild für ein neues Gesellschaftsmodell geworden. Das Maß an Freiheit von Zwang, Freiheit der Rede und die schier unbeschränkten Möglichkeiten zur persönlichen Entfaltung und Kreativität, deren Entwicklung wir seit den 90ern im Internet erleben konnten, hat uns gezeigt, wie wir auch leben könnten. Aus dem Kommunikations-Netz wurde eine Utopie. Aber die Wirklichkeit außerhalb des Netzes sah anders aus: 9/11 und “Krieg gegen den Terror”, Bankenkrise, Wirtschaftssklaverei, von unseren eigenen Grenzschützern ertränkte Flüchtlinge im Mittelmeer und das Leistungsschutzrecht – um nur einen Teil der politischen Litanei der letzten zehn Jahre herunterzubeten. Es ist also kein Wunder, dass uns das Netz manchmal geradezu messianische Züge annehmen mag, der Ort, an dem alles besser wird. Aber heute geht es mir gar nicht darum, diese – wie bei allen Utopien fragwürdigen Heilsversprechen der digitalen Welt zu dekonstruieren.

Auf einmal herrscht Unruhe in der Welt. Menschen erheben sich und gehen auf die Straße. Aber es sind keine Ideologien, keine Parteiprogramme oder Gewerkschaftsreden, die die Menschen in Aufruhr versetzen. Der Anlass zum Aufstand ist auch nicht immer derselbe. Vom Maghreb über Spanien in die USA sind es durchaus ganz unterschiedliche Zwänge, gegen die die Menschen sich erheben.

Was aber die Demonstranten zwischen Tahrir-Platz und Wallstreet eint, ist der Wunsch nach Selbstbestimmtheit und Selbstorganisation. Und das Vorbild ist die Kultur im Netz.

Thierry Lhote twitterte unlängst: “like in may 68 in France a whole generation is learning meme manufacturing for their next Media VP job #occupywallstreet”; und was sich auf den ersten Blick zynisch lesen mag, ist bei längerem Nachdenken eine interessante Beobachtung. Wie vor fünfzig Jahren ist eine Generation herangewachsen, deren Werte mit der “alten Welt” nicht mehr in Konsens zu bringen sind. Dabei läuft der Bruch quer durch die alten Lager. Rechte, Linke, Grüne – in allen Gruppen dominiert eine Generation von Menschen, die emotional und intellektuell der Netzkultur fremd bleibt, selbst wenn sie sich nicht offen feindselig stellen. Und wenn sich die Net-Heads versuchen, in die alten Strukturen einzubringen, so funktioniert das nur so lange, wie man eben nichts ändert, und das Alte bedingungslos akzeptiert, wie die Twitter-Zensur bei den Grünen unlängst auf fast tragisch-komische Weise vorgeführt hat.

Oft wird der Aufstieg der Piratenpartei mit den Grünen in den späten 70ern verglichen. Und vieles an diesem Vergleich passt. Manche Feinde von damals sind dieselben geblieben: Atomkraft oder monopolistische Konzerne. Manches hat geradezu frappante Parallelen. Was die Notstandsgesetze für unsere Eltern bedeuten, sind uns heute der Bundestrojaner, IMSI-Catcher, Rettungsfonds und FRONTEX. Das Mem #0zapftis – Top-Thema der Frankfurter Allgemeinen von heute – ist die Spiegel-Affäre unserer Generation.

Damals, als wg. Sachen wie #Bundestrojaner noch Bürger auf die Straßen gegangen wären.

mag der @videopunk bedauern – aber ich bin überzeugt, dass genau das gerade geschieht.

Weiter lesen:
Disrupt politics!
Menschenrecht aufs Internet
Memetic Turn

13 replies on “Die digitale Kluft.”

…dass ein Teil der (Welt-)Bevölkerung durch Armut oder Starrsinn vom Internet ausgeschlossen bleibt.

Eine eingeengte Betrachtungsweise. Kürzlich ist ein mir bekannter Professor (für Informatik) verstorben. Er nutzte mit Bedacht kein Internet.
War das nun Starrsinn oder Armut?
Hohe Vatikan- Angestellte nutzen ebenso kein Internet. Nein, nicht weil es sich um “Teufelszeug” oder so etwas handelt. Sondern aus dem Wissen heraus, auf diese Möglichkeit des Ausspionierens gänzlich zu verzichten.
Ist das nun Starrsinn oder Armut?

Ach, übrigens, der Transistor ist eine deutsche Erfindung von Heinrich Welker und Herbert Matare’.
Die amerikanische Firma AT & T brachte “deutsche Beutetechnik” auf den Markt. Der vermeintliche Erfinder Shockley hatte überhaupt nicht die Voraussetzungen, um durch “Zufall”, wie er behauptete, den Transistor hätte entdecken können.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen hierbei behilflich sein.

Ich weiß nicht. Doch -, ich bin mir sicher, dass wir keine großen Worte brauchen, um die Geschehnisse zu beschreiben. Wir müssen uns nicht von irgendetwas (Gesellschaft, Kultur, Demokratie, Humanismus …) verabschieden, das andere in ihren verstaubten Zeiten falsch konstruiert haben. Ich halte das für eine ganz bedauerliche Tendenz der deutschen “Netzdebatte”, irgendwelche Großtendenzen zu prophezeien und andere zu verabschieden. Da wird viel hineinorakelt – was in diesem Beitrag hier vorsichtig umgangen wird. Ich finde diese Zurückhaltung notwendig angesichts der Möglichkeit, dass da sehr “undemokratische” Ideologien herbeiorakelt werden können.

@lux: Das Konzept des Transistor wurde von J.E. Lilienfeld, einem US-Bürger österreichischer Herkunft, erstmals patentiert. Allerdings finde ich es in unserem Zusammenhang eher weniger Interessant, wer tatsächlich der erste war – wichtig ist doch, dass die Bell Labs die Erfindung vermarktet haben und sie wesentlich zur Identität der “Bell-Heads” beiträgt.

Die hohen Vatikan-Angestellten: darüber weiß ich nichts. Falls Papst Benedikt XVI. gemeint sein sollte: auf den trift das sicher nicht zu.

@björn ja, genau das habe ich mit den “fragwürdigen Heilsversprechen” gemeint.

Was hier unterwähnt bleibt: dass das Internet seit mitte der Zweitausender eben auch zentralisiert und verrechtlicht wird. Es ist bei weitem nicht mehr der uropische Raum, der es in den 90gern war. Demokratisierung des digitalen (die Tatsache, dass jetzt mehr Menschen an den Segnungen des Netzes Teilhaben können als zu IRC-Zeiten) geht einher mit Vereinfachung der Oberflächen bei gleichzeitiger Komplexitätssteigerung der Technik. Die Technik wird unsichtbar und unverständlich. Die Informationshubs “Google” und “Facbook” können nur als gewaltige Konzerne funktionieren – und selbst Mozilla und Wikipedia haben eine Größe Angenommen die eine effiziente Verwaltung verlangt.
Dem demokratisierten Internet, dass auch die Oma bedienen kann, steht also eine Struktur entgegen die bei weitem nicht mehr so dezentral und interessensfrei ist wie Sie einmal war. Bei der Geldmenge die mittlerweile im Internet umgesezt wird, ist es auch kein wunder, dass es nicht mehr rechtsfreier Raum sein kann.
Gleichzeitig muß man natürlich, wie die Piratenpartei es tut, dafür kämpfen, das Internet noch möglichst lange als Biotop der Freiheit zu erhalten. Das sollte man IMHO nicht durch Datenschutzgesetze machen, sondern durch Aufklärung und Technologie.

P.S.: Die Aufregung um den Bundestrojaner ist auch nur politischer Natur. Der Trojaner kann – soweit ich es bislang sehen kann – nichts, was ein Trojaner aus den 90gern den man an jeder Ecke des Internets fand nicht auch konnte. Der Einsatz solcher Programme ist natürlich sehr schwierig, da die Informationen (Passwörter usw) die der Keylogger (abhören der Tastatureingaben) freigibt wahnsinnig sensibel sein können. Müßen solche Informationen gesetzlich später vernichtet werden?

P.P.S.: Ich habe vor kurzem einen Podcast gehört, über die Mobile Economy in Africa. Weil dort wenig Computer zur verfügung stehen, aber sehr viele Mobilgeräte (die auch auf den Dörfern funktionieren) haben Sie innovative und interessante Anwendungen gefunden. Große westliche Firmen fahren nun in arme Länder und lassen sich dort etwas beibringen. Das ist die goldene Seite des Internets, dass Wissen egal wo es entsteht überall gesehen werden kann.

@Leonid Sokolov auch in den 90ern war es eben eine Utopie – d.h. ein Ort, den es nicht wirklich gibt, schließlich war auch damals der Zugang stark beschränkt (allein durch die ISP-Tarife und niedrigen Übertragungsraten); letztlich lief fast die gesamte Kommunikation über nur zwei Router (s. z.B. Wired 1998). Aber das tut dem utopischen ja gar keinen Abbruch – dein Beispiel mit der Kultur des Mobile-Internet in Afrika zeigt ja, dass es immernoch viel “Phantasie” in den Möglichkeiten gibt.

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