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Die Illusion vom freien Internet

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Dec. 4 (Bloomberg) — PayPal Inc., the payment processor owned by EBay Inc., cut access today to the whistle-blowing website WikiLeaks.org for violating its acceptable use policy.

(www.businessweek.com)

Anfang diesen Jahres wollte ich ein Buch bei einem Indischen Verlag bestellen. Als ich über den PayPal-Link auf der Verlagsseite bezahlen wollte, erhielt ich die Nachricht, das PayPal keinen Geldverkehr mit Indien mehr erlaube. Einfach so. Ohne irgendeine Begründung.

In der Diskussion um Google Streetview hat mich ein Argument besonders erstaunt: gegen Menschen, die ihre Häuser nicht für Googles Datenbank zur Verfügung stellen wollen, steht der Vorwurf, die seien “für Zensur”, gegen “die Freiheit des Internet” und ähnlich harte Anschuldigungen.

Die Wahrheit ist: Google, Facebook, Amazon, Ebay sind Wirtschaftsunternehmen. Der Umgang von Amazon und Ebay mit Wikileaks zeigt, welche Art von frei diese Firmen tatsächlich verkörpern: es ist frei wie in Freibier – und mit Freiheit hat es nichts zu tun, dass viele, bequeme Dienstleistungen von diesen Firmen scheinbar nichts kosten.

Es geht mir nicht um die Frage, inwieweit die Veröffentlichungen von Wikileaks schützenswert oder zu verdammen sind. Eine ethische oder politische Diskussion führen Amazon und Ebay nämlich nicht. Sie berufen sich auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedignungen, die Wikileaks objektiv gebrochen hat.

Wenn wir den Googles, Facebooks, Amazons und Ebays dieser Welt das Internet überlassen, degradieren wir das Internet zu einer Manipulations- und Marketingmaschine. Jede Gesellschaft – ja sogar jede Gemeinschaft – sollte dafür sorgen, ihre wichtigen Inhalte und Schnittstellen nicht vollständig zu ökonomisieren. Regeln wie die Buchpreisbindung, das Pressegrosso und das Rundfunkrecht sind aus dieser Erkenntnis entstanden und haben sich in der “alten” Medienwelt über Jahrzehnte bewärt. Jetzt geht es darum, die Freiheit der Medien politisch und ethisch und nicht wirtschaftlich getrieben zu fördern.

Boykotte können helfen, Unternehmen zu erreichen – und sie zeigen uns im Verzicht auf die liebgewonnenen Services, wie abhängig wir tatsächlich schon sind. Aber zum Schluss wird es nur helfen, selbst für Alternativen zu sorgen.

Nachtrag: Zensur bei Twitter?

Eine besonders perfide – weil fast unmerkliche – Form von Einflussnahme von Twitter wurde spätestens jetzt am Beispiel Wikileaks deutlich.

Wikileaks wird aus den Trending Topics von Twitter gefiltert, wie mehrere Blogger heute quantitativ nachwiesen (z. B. http://bubbloy.wordpress.com), nachdem andere es bereits seit Tagen vermuteten.

Wenn solche Zensur bei der Verbreitung einzelner Tweets stattfindet, würden es vermutlich lange überhaupt niemand auffallen – die Betroffenen würden höchstens die bug-reiche API verantwortlich machen.

Wenn Twitter heute angeblich (und nach meinem dafürhalten tatsächlich) die einflussreichste journalistische Plattform ist, steht hier eine perfekte Maschinerie für Manipulation zur Verfügung, zumindest kurzfristig, bis im Ernstfall eine Alternative aufgetan worden wäre. Und richtig lustig wird es erst, wenn Twitter etwa anfangen sollte, im Namen politisch unliebsamer Accounts kompromitierende Nachrichten zu posten! (Und wer sollte sie daran hindern?)

Also – einmal mehr: raus aus den düsteren Walled Gardens und zurück ins helle, offene Netz!

Mehr zum Thema:
Virtueller Rundfunk
Digitale Zwangsneurosen
Zensur?!
Ohne Google
Der Idiot – wieder eine zeitgemäße Figur

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Digital literacy oder: wann das Internet uns nicht einsam macht.

Today many young people, stunned by the infinite possibilities offered by computer networks or by other forms of technology, establish methods of communication that do not contribute to their growth in humanity. Rather they risk increasing their sense of loneliness and disorientation. In the face of these phenomena I have spoken on various occasions of an educational emergency, a challenge to which one can and should respond with creative intelligence, committing oneself to promote a humanizing communication which stimulates a critical eye and the capacity to evaluate and discern.
Benedikt XVI. in seiner Ansprache vor dem Päpstlichen Kulturrat am 13.11.2010

Eine der Zahlen, die mich in meiner Zeit in der Fernsehforschung immer erschreckt haben, ist die Verweildauer, das ist die Zeit, die ein Zuschauer im Durchscnhitt täglich fernsieht. Sie lag 2009 bei 309 Minuten täglich und damit neunzig Minuten höher, als vor zwanzig Jahren. Das sind mehr als fünf Stunden passiver Berieselung, jeden Tag.

Für das Internet gibt es keine vergleichbaren Zahlen. Im Oktober verbrachte der Durchschnitts-Nutzer in Deutschland lediglich zweiundzwanzig Stunden im Netz – das klingt wirklich nicht bedrohlich. Die Nutzung verteilit sich – ähnlich wie im Fernsehen – aber keineswegs gleichmäßig. Viele Menschen – und wahrscheinlich die meisten, die diesen Blog lesen – besuchen viele unterschiedliche Seiten und sind in einem oder mehreren Social Networks aktiv. Fast alle Menschgen, mit denen ich täglich zu tun habe, twittern oder sind auf Facebook, oder wenigstens auf Xing.

Dieser Eindruck von Aktivität und Gemeinschaftlichkeit darf uns aber nicht täuschen, dass es unverändert viele Menschen gibt, die das Netz in ganz anderer Weise für sich entdecken. Ich hatte in diesem Jahr zwei Erlebnisse, die mich über das Internet ähnlich nachdenklich stimmen, wie meine TV-Nutzungsforschung einst über das Fernsehen: die internen Zahlen eines Veranstalters von Browser-Games und eine Online-Poker-Plattform. Nutzungsdauer und Nutzungsintensität der Mitglieder auf diesen Seiten stellen alles in den Schatten, was ich bei klassischen Medien je an “Missbrauch” gesehen habe.

Die vielen tausend Menschen, die für diese Entertainment-Angebote die wesentliche wirtschaftliche Basis stellen, haben sich – anders wären die Nutzungszahlen nicht möglich – aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen. Die Kommunikation während der Games bleibt, wenn sie überhaupt stattfindet – abgehackt und anonym. Besonders perfide empfinde ich dabei die Mechanismen, mit denen die Anbieter solcher Games die Nutzer am Ball halten. Um ins nächste Level zu kommen oder eine stärkere Bewaffnung für das Raumschiff zu ergattern, muss man häufig nicht einfach nur erfolgreich im Spiel agieren, sondern schlicht warten, Zeit im Spiel verbringen. Und wenn man sich losreisst, wird man mit dem Verlust des mühsam ergatterten Ranges bedroht.

***

Digital Literacy – Medienkompetenz – bedeutet, sich selbst eine Kultur der “intelligenten Kommunikation” zu schaffen. Das Internet und ganz besonders Social Media bieten dazu Möglichkeiten, wie es sie nie zuvor gegeben hat. Ich bin glücklich darüber, mit wievielen Menschen ich über Social Networks eng verbunden bleiben kann. Auch die Autoren dieses Blogs haben sich schließlich über Twitter kennengelernt. Ähnlich, wie verantwortungsvolle Eltern ihre Kinder nicht unkontrolliert stundenlang fernsehen lassen, ist es auch im Internet wichtig, diese pädagogische Verantwortung zu übernehmen.

Digital Literacy ist vor allem die Fähigkeit zu selbstbestimmtem sozialen Umgang – “menschliche Kommunikation und kreative Intelligenz.”, wie es im Eingangszitat beschrieben ist.

Mehr zum Thema:
“Medienkompetenz – unser Umgang mit den Apparaten”
“Über das Fasten”

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“Alles wird Highway”

(drei Wochen ohne Google)

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“Der Bau eines neuen ELECTRONIC SUPER HIGHWAY wird ein noch größeres Unternehmen [als der Bau der Interstate Highways] sein. Stellen Sie sich vor, wir verbinden New York und Los Angeles mit einem leistungsfähigen Breitband-Telekommunikationsnetz, das kontinentale Satelliten, Wellenlängengeneratoren, Bündel von Koaxialkabeln nutzt, und später mit von Glasfaserkabeln übertragenen Laserstrahlen. […] Der Effekt […] wäre weitaus größer [als der des Highway-Baus im New Deal der dreißiger Jahre; Einfügung von mir].”(zitiert nach Wulf Herzogenrath (Hsgb.): “Nam June Paik. Werke 1946-1976”, Köln 1976.)

Auf der Biennale in Venedig zeigte Nam June Paik als Beitrag Deutschlands 1993 den Electronic Superhighway ‘Venice → Ulan Bator’. Paik hatte bereits 1974 in einer Studie der Rockefeller Foundation ein Konzept zu einer Datenautobahn vorgestellt, dass Bill Clinton in seinem Wahlkampf zwanzig Jahre später aufgreifen sollte.

“How many slums will we bulldoze to build the Information Superhighway?” Kivistik said. […] “How many on-ramps will connect the world’s ghettos to the Information Superhighway.?”
Neal Stephenson, Cryptonomicon

Das Internet als Datenautobahn; von Anfang an wurde diese Metapher verächtlich belächelt. Helmut Kohl klingt uns in den Ohren und Al Gore in unerträglicher Selbstgerechtigkeit.

Auch Randy Waterhouse, der Protagonist von Neal Stephensons großartigem Roman Cryptonomicon empört sich darüber, dass ihm der scheinbar komplett von Technologie unbeleckte Soziologe Dr. Kivistik sein schönes Internet madig machen möchte, indem er die Parallele des “Information Superhighway” mit dem Bau von Autobahnen in der Offline-Welt weiterzieht.

“I know that you’re not qualified to have an opinion about technical issues.” blökt Waterhouse hilflos zurück; der Soziologe, dem es, seiner Meinung nach, an technologischen Insights fehlt, kann doch gar keine qualifizierte Meinung zum Internet abgeben!

Das Bild des Highway ist aber wohl gar nicht so unpassend für das Internet – allerdings weniger deshalb, weil über irgendwelche Backbones die Daten ungebremst dahinrasen können. Vielmehr werden beim Bau von Autobahnen ganze Landstriche wegplaniert und ehemals abgelegene Flecken sind auf einmal zu Vororten der Metropolen geworden.

“The American Way of Life: […] Was Amerika zu bieten hat: Komfort, die beste Installation der Welt, ready für use, […] wo sie hinkommen, alles wird Highway, die Welt als Plakatwand zu beiden Seiten […]

legt Max Frisch seinem misanthropen Homo Faber in den Mund. Der Highway als Bild für das Öde, Immergleiche, flankiert von Werbung. Das Einebnen und homogenisieren ehemals vielgestaltiger Regionen: es gibt für diese Analogie zwischen Autobahn und Internet vermutlich viel Sympathie unter den Buchhändlern!

Und während die Regionen, die an den Highway angeschlossen sind, sich zu einer einzigen Peripherie homogenisieren, rückt der Rest des Landes plötzlich fern ab. Menschen ohne Auto verlieren im wahrsten Sinne den Anschluss.

Nicht aktiv online zu sein bedeutet aber keineswegs, dass nicht das Internet in viele Lebensbereiche dennoch eindringt. Vom neuen Personalausweis über die elektronische Steuererklärung, von der Videoüberwachung mit Webcams bis zum Dialogmarketing, Streetview oder Yasni – jeder wird “zwangs-connected” und ein Opt-Out kann überhaupt nur der in Anspruch nehmen, der sich grundsätzlich am Spiel beteiligt und für die meisten dieser Datenbanken wird einem das Verpixeln gar nicht angeboten: In the electric world, there are no remote places.

Der Tendenz zum Niederwalzen, Einebnen, Vereinnahmen einerseits und Marginalisieren andererseits, die der Information Highway mit sich bringt, müssen Rahmenbedingungen entgegengestellt werden, die jedem die gleiche Chance zur aktiven und bewussten Nutzung des Netzes ermöglichen und gleichzeitig Meinungsvielfalt erhalten und durch “Minderheitenschutz” gezielt der Homogenisierung entgegenwirken.

Inzwischen habe ich seit drei Wochen keine Suchmaschine mehr genutzt. Ich bin dabei nicht mehr “dogmatisch” – eine Woche, drei Wochen oder für immer – das ist wohl gleich. Ich bin bis heute an keinen Punkt gekommen, an dem es mir schwer gefallen wäre, mich im Internet oder in der realen Welt ohne Google perfekt zurecht zu finden.

Im System von Google sehe ich den Information Superhighway im Guten wie im Schlechten vervollkommnet. Alles wird erreichbar, alles kann sichtbar und zugänglich werden. Alles wird zur Besten-Liste eingeebnet, die Welt zur Plakatwand um das Zitat von Max Frisch oben aufzugreifen.

Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:

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Eine Woche ohne Google.

Heute ist Streetview in Deutschland gestartet. Und ich habe jetzt genau eine Woche weder Google Search noch Google Maps oder Streetview noch sonst eine Suchmaschine genutzt. Eine Woche ohne Google oder einen Monat – ich denke, es macht keinen Unterschied: geht es eine Woche, geht es immer.

Es war,zum ersten, viel leichter, als ich dachte: das meiste, was ich suche, findet ich – ohne Spam – auf Wikipedia. Was dann noch fehlt, bekommeich über die Blogs und Websites, die ich lese und wenn mir wirklich etwas fehlt, hilft die #Followerpower auf Twitter – irgendjemand weiß immer Rat.

Zweitens – und das finde ich wirklich bemerkenswert: das Internet wirkt plötzlich nicht mehr wie eine Wüste; ich habe nicht mehr das Gefühl, dass unter 1000 Seiten, die mir angeboten werden höchsten eine ist, die mich wirklich interessiert. Ich bin seit einer Woche wirklich nicht auf eine einzige Seite getroffen, bei der es sich nicht gelohnt hat, zu verweilen. Keine Honey-Pots, Seiten, die uns zu sich über suchmaschinen-optimierte Versprechen zu sich ziehen, wie der süße Duft des Honigs die Bienen anlockt; keine der meist lieblosen und fast immer wertlosen Portalangebote, die jede Suche dutzendweise nach oben spühlt; diese Seiten tauchen nämlich weder auf Wikipedia noch in meiner Timeline jemals auf.

Im Internet surfen – das war das Bild, dass in der Zeit vor Google unser Gefühl beschrieben hat, im Internet von einer Welle zur nächsten zu gleiten. Dieses Gefühl kann man immer noch haben – man muss nur aufhören, zu suchen.

Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:
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Das Lauf-Simulacrum
Ohne Google – Tag 5

“The iFit Map Library provides exciting opportunities for you to tour the world, run and train for races and compete with others — right from your own home.” http://ifit.nordictrack.com/

Das Simulacrum des Laufens: ein Trainigsangebot, auf das ich durch einen TV-Spot aufmerksam geworden bin (ja, im Ausland schaue ich auch machmal noch fern). Es ist bisher die einzige Anwendung von Google Streetview, der ich bisher begegnet bin. Da kann ich Benedikt nur zustimmen: das soll alles sein?

Während meine eigenen Beine in diesem Augenblick müdegelaufen sind, sich mein Gesicht vom kalten und zum Teil recht starken Wind und der vielen Sonne des Tages noch stark durchblutet anfühlt, stelle ich mir jetzt vor, meinen ganzen heutigen Fußmarsch von etwa zehn Kilometern auf einem Laufband zu absolvieren, auf einem Bildschirm vor Augen die Ansicht des Wegs, die Google Streetview bietet, die sich, passend zu meiner simulierten Geh-Geschwindigkeit mitbewegt.

Während ich in Wirklichkeit mehrfach über den unregelmäßigen Belag der Gehwege gestolpert bin, würde das Laufband ganz und gar eben vor sich hin rollen; und wie seltsam sich die Stadt wohl verklärt, wenn der warme, muffige Wind aus den U-Bahn-Schächten fehlt, und das ständige Dröhnen des Verkehrs. Es versperren bei Google auch keine Obdachlosen den Weg mit dem Einkaufswagen, auf dem sie ihre Habe getürmt transportieren; man muss keinen Hunden ausweichen und man rempelt dort auch keine Senioren an, die mit ihrem Rollator unvermittelt vor einem stehen bleiben.

Und ich hatte schon gefürchtet, dass ich heute gar nichts passendes über meine Zeit ohne Google zu berichten gehabt hätte …

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Medienkompetenz: unser Umgang mit den Apparaten. Ohne Google, Tag 4

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“Ask any kid what Facebook is for and he’ll tell you it’s there to help him make friends. […] He has no idea the real purpose of the software, and the people coding it, is to monetize his relationships. He isn’t even aware of those people, the program, or their purpose. […]
The kids I celebrated in my early books as “digital natives” capable of seeing through all efforts of big media and marketing have actually proven *less* capable of discerning the integrity of the sources they read and the intentions of the programs they use.”

Douglas Rushkoff

Vilém Flusser hätte Google einen Apparat genannt, der funktional sehr einfach aber strukturell hoch komplex ist. Vor solchen Apparaten hatte uns Flusser stets gewarnt: sie zu beherrschen ist fast unmöglich – zuviel Spezialwissen aus unterschiedlichen Disziplinen ist dazu nötig; sich von ihnen beherrschen zu lassen dagegen ist ganz einfach: sie sind uns nützlich und für jeden leicht zugänglich – auch ohne Expertise.

Was für die Nutzung des Internets generell gilt, sollte uns für Google besonders wichtig sein. Im September haben laut ComScore knapp fünfzig Millionen Deutsche auf Google zugegriffen, das sind etwa 90 % der Online-Bevölkerung; jeder dieser fünfzig Millionen Besucher war dabei im Schnitt vierzig Mal auf den Google-Seiten. Und während die meisten Nutzer auf die Frage nach dem Existenz-Grund für Google wohl ähnlich auf den Nutzen beziehen würden, die sie sich selbst durch die Suchmaschine versprechen, wird doch spätestens bei der Veröffentlichung der Quartalsergebnisse deutlich, dass Google unter allen Medien inzwischen wahrscheinlich der effizienteste Werbeträger ist – zumindest was Performance-Werbung betrifft.

Die Menschen hinter SEO und SEM haben Google genau in diesem Sinne verstehen gelernt. Und damit auch klar ist, worum es sich bei den Search-Experten handelt, gibt es eine schöne, bildhafte Einteilung in zwei Lager:
die Black Hats – die Bösewichte aus dem Western, die systematisch die Schwächen der Such-Algorithmen ausnutzen, die bei so komplexen Systemen unvermeidbar sind, und die White Hats, als die man in der IT-Praxis die Sicherheitsexperten, die “Guten” Hacker bezeichnet, die mit ihrem Wissen helfen sollen, Systeme zu stabilisieren.

Für uns Nutzer ist es aber tatsächlich egal, ob wir von einem düsteren Black Hat auf eine Seite gelotst werden, auf die wir gar nicht wollten, oder ob uns ein White Head, ein Angestellter einer “seriösen Search-Agentur” ein Suchergebnis nach oben optimiert wurde, das wir auch nicht bekommen wollten. Aber im Englischen kommt bei beiden Begriffen eine schöne Doppeldeutigkeit zum tragen: Blackhead und Whitehead – beides bedeutet Mitesser. Das heißt, auch bei den SEO-Profis, die sich vielleicht selbst als die Helden mit den weißen Hüten sehen möchten, kommt unweigerlich die Assoziazion von lästigen Hautunreinheiten.

“When human beings acquired language, we learned not just how to listen but how to speak. When we gained literacy, we learned not just how to read but how to write. And as we move into an increasingly digital reality, we must learn not just how to use programs but how to make them.

Digital tools are not like rakes, steam engines, or even automobiles that we can drive with little understanding of how they work. Digital technology doesn’t merely convey our bodies, but ourselves.

At the very least we must come to recognize the biases – the tendencies- of the technologies we are using.”

schreibt Douglas Rushkoff weiter.

Digital Literacy – Medienkompetenz für Online-Medien – besteht nicht nur darin, zu Wissen wo und wie man relevante Informationen findet, es geht nicht nur darum, die Qualität von Quellen kritisch beurteilen zu können und auch nicht nur darum, mit persönlichen Daten sorgfältig umzugehen. Digital Literacy bedeutet zu allererst zu erkennen, welche Interessen im Netz wirken, auf welche Absichten verfolgen, bestimmte Dienste anzubieten und die technologischen Grundlagen dafür zu begreifen.

Und genaus, wie wir nicht nur hören sondern auch sprechen lernen, nicht nur lesen, sondern auch schreiben, wird das, was uns im Umgang mit Medien wirklich kompetent macht, erst erreicht, wenn wir nicht nur passive Nutzer sind, sondern aktiv eingreifen. Wir sollten alle – wenigstens in Grundzügen – die Fähigkeit besitzen, SEO zu machen. Wir sollten die Funktionsweise der Apparate für unsere Zwecke einsetzen, genau so, wie die Suchmaschinen-Optimierer dies tun, und zwar so gut wir können, unseren Teil vom Profit aus diesen Strukturen holen.

Oder wie Benedikt Köhler bemerkt: “Maschinen sind dazu da, uns zu dienen. Aus der Kultur der Hacker können die Medienmacher lernen: sich nicht den Maschinen unterordnen, sich genausowenig verweigern, sondern die Maschinen ausnutzen, ja regelrecht ausbeuten, versklaven!”

Gerade sitze ich in Schwechat. Es ist ein wunderschöner Herbsttag und auch gestern ist es mir wiedermal nicht besonders schwer gefallen, auf Suchmaschinen zu verzichten. Alles, was ich an Links gebraucht habe, um etwa diese Reise vorzubereiten, habe ich auf Wikipedia gefunden oder von Freunden empfohlen bekommen.

Weiterlesen:
“Das Heer der technischen Sklaven”

und die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:
Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:

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Zensur?!
Mein Tag 3 ohne Google.

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Leave aside the fact that Google was happy to censor results for China until its servers were hacked. The fact is, Google still censors search results in other countries at the request of their governments. […] Censoring results for years, shifting course for entirely unrelated reasons, and then vilifying competitors who don’t jump on the bandwagon. (Though, of course, completely Google’s prerogative.) But it’s particularly hypocritical when Google is still happily censoring its search and YouTube products for other countries.
http://www.businessinsider.com

Den heutige Post zu meiner Internetnutzung ohne Suchmaschinen habe ich in Berlin geschrieben. Er ist entsprechend staatstragend.

Die indifferente Haltung bis zur willfährige oder sogar vorauseilenden Unterstützung von Unrechtsregimen durch Google, Microsoft und andere Medienkonzerne verdient unsere Kritik in aller Schärfe. Meldungen wie Googles Einlenken gegenüber den französischen Behörden hinterlassen ebenfalls ein Gefühl von Ratlosigkeit. Was passiert, wenn einem so zentralen Teil unserer Kommunikationsinfrastruktur über reine Verwaltungsakte Fesseln angelegt werden?

Offenbar fehlt etwas: die Würdigung von Online-Medien als zunehmend relevante Plattformen unserer politischen und gesellschaftlichen Meinungsbildung, den Online-Medien den staatlichen Umgang und den verfassungmäßigen Rang zuzuweisen, den sie ihrer Bedeutung nach längst verdienen.

Meist wird mit Zensur die gewaltsame Unterdrückung von kritischen oder vom Mainstream abweichenden Meinungen verbunden. Von der Verbannung Ovids über den Index der Kirche, der bürgerlich-autoritären Zensur in Metternichs Deutschem Bund zu den mörderischen Systemen totalitärer Zensur des zwanzigsten Jahrhunderts: es fallen mir beim ersten Nachdenken wenig Gründe ein, warum es Staaten erlaubt sein sollte, freie Rede und deren Zugänglichkeit zu beschränken.

Dennoch gibt es bei differenzierter Betrachtung sehr wohl Gründe, warum wir das Recht zur Auseinandersetzung mit Google haben. Diffemierungen, Rechtsbrüche, Hetze, all das ist mit Grund aus den Medien verbannt worden. Und zu Recht gibt es einen Presserat und die Möglichkeit zur Klage (und zwar nicht nur in Hamburg …). Wir sollten uns nicht einreden lassen, dass unsere Forderung nach der Einhaltung demokratischer Rechte einen “Dammbruch” (was für eine hole Metapher!) der Zensur bedeutet und uns die Legitmation nimmt, gleichzeitig weltweit für unser Verständnis von Meinungsfreiheit zu werben.

Die Forderung, das Internet sei Rundfunk, die der bayerische MInisterpräsident in seiner Eröffnungsrede der diesjährigen Medientage erhoben hat, halte ich für vollkommen Gerechtfertigt. Das Internet tritt nicht nur an die Stelle des Rundfunkts, es leistet schon jetzt weit mehr, was Meinungsbildung, Information und Unterhaltung betrifft, als die Verlage und Rundfunk es je getan haben.

Umso wichtiger ist es, für Pluralität zu sorgen, für eine Vielfalt von Angeboten, zu denen auch staatlich bzw. öffentlich geförderter, kultureller und journalistischer Freiraum gehören müssen.

Auch wenn ich schon den dritten Tag gut ohne Suchmaschinen leben kann, bin ich nicht so naiv zu glauben, dass es sich bei meinem Google-Fasten um mehr als eine zeitlich begrenzte Abstinenz handeln kann: ich will gar nicht auf Dauer und vollständig auf Suchmaschinen verzichten müssen. Ich will aber nicht in Abhängigkeit von ihrer Totalität geraten. Ich wünsche mir, dass sich aus der Mitte der europäischen Gesellschaften heraus eine liberal-bürgerrechtliche Bewegung formiert, die durch attraktive Gegenangebote von der Art von Wikipedia oder OpenStreetMap lautstark ihre Position im Netz artikuliert.

Weiterlesen:
Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:

und: Virtueller Rundfunk. Mein Plädoyer für eine starke Öffentlichkeit im Internet.

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Orientierung mit OpenStreetMap
Ohne Google: Tag 2

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Auch heute keine Suchmaschinen.

Der heutige Tag ist ein Reisetag. München-Düsseldorf, dann weiter nach Berlin. Zur Orientierung in Düsseldorf nutze ich OpenStreetmap. Worin liegt der Unterschied zu Google Maps? OpenStreetmap ist ein Wiki-Projekt. Es ist offen. Ich kann mich beteiligen. Natürlich bietet auch Google Maps die Möglichkeit, eigene Karten zu erstellen und zu veröffentlichen. Die Schnittstelle, mit der ich Google Maps in andere Anwendungen vernetzen kann, ist phantstisch einfach. Aber es ist ein Unterschied, ob ich nur eigenen Layer erzeugen kann, wie bei einem proprietären Projekt von der Art Google Maps nicht anders möglich, oder ob ich eben im Innersten des Systems mitarbeiten kann.

Ähnlich wie bei Wikipedia ist die Editionsgeschichte der Kartenausschnitte sehr interessant und verhindert das unkontrollierte und vollkommen willkürliche “auslöschen” von Objekten, wie es auf Google Maps regelmäßig vorkommt. Wenn neue Karten eingespielt werden, sind die alten für uns nicht mehr zugänglich. Es gibt keine Historie.

Neben der Redlichkeit, die Entstehung und (erhoffte) stetige Verbesserung der Karten mit jedem Editionsschritt sichtbar zu machen und zu dokumentieren, sind es die Diskussionen, die manche Beiträge hervorrufen, durch die man so viel mehr erfährt, als durch die einfache Karte, auf der man über das “Warum” über die Existenz – oder gar das Fehlen – eines Eintrags nur spekulieren kann. Google gibt in der Regel keine Auskunft über seine Motive.

Georgia without details on Google Maps
Und manchmal ist es einfach bizarr, was bei Google Maps ausgespart bleibt. Die rätselhaften Wolken, die sich über manche Bauwerke schieben – viel diskreter, als wenn der Anblick nur verpixelt worden wären! – oder ganze Länder, die von heute auf morgen verschwinden, wie etwa Georgien, dessen Bild in Google Maps seit dem Tag nach dem Beginn des Georgienkriegs 2008 keine Informationen mehr enthält. Selbstverständlich sind alle Details des Kaukasus auf OpenStreetMaps unverändert zu finden.

Wikipedia und ihre Schwesterprojekte sind nicht perfekt. Die Willkür und die rüden Umgangsformen mancher Administratoren wurde schon oft – und zu recht – beklagt. Aber alles, was geschieht, ist offen und sollte – zumindest im Grundsatz – zum Mitmachen einladen.

Ich wünsche mir, dass mehr öffentliche und komunale Verwaltungen sich an solchen Projekten beteiligen, ihren Raum darin ergreifen und ihre steuerfinanzierten Daten uns auf diese Weise offen zur Verfügung stellen, so wie es z. B. Augsburg unlängst angekündigt hat. Wie schön wäre es, wenn die wundervollen Karten mit ihrer hochwertigen Information, die etwa das Bayerische Landesamt für Denkmalschutz oder das Wasserwirtschaftsamt anbieten, über Openstreetmap eine offene Schnittstelle bekäme und sich ohne Bruch mit anderen Daten verbinden ließe. So bleibt es eben bislang an uns, selber die Boden- und Baudenkmäler einzutragen und damit anderen zugänglich zu machen.

Auch heute bin ich sehr zufrieden. Ich habe wieder das Gefühl, dass sich meine Zeit für all das, was ich heute Online gelesen habe, hat sich ausnahmslos für mich gelohnt hat. Und ich bin sicher auf unbekanntem Terrain zu Fuß und mit dem öffentlichen Personennahverkehr vorangekommen – auch ohne Google.

Die anderen Posts zum Experiment “Ohne Google”: