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Wertvolle Empfehlungen statt wertloser Sucherei
Ohne Google: Tag 1

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Nachdem ich gestern den Entschluss gefasst hatte, für eine Zeit lang ganz auf Suchmaschinen zu verzichten, möchte ich nicht veräumen, zu erzählen, inwiefern sich meine Internetnutzung dabei verändert hat.

Das wichtigste Mittel, zu wertvoller Information zu kommen, sind meine Netze, vor allem auf Twitter. Ich möchte mich gar nicht in einer trivialen Eloge auf das großartige Web2.0 ergehen. Aber tatsächlich habe ich das starke Gefühl von Sicherheit, über die Posts meiner Peer-Group alle Pfade des Internets ausgerollt zu bekommen, auf die ich mich auch tatsächlich begeben möchte.

Zum ersten Mal habe ich mir die Mühe gemacht, genauer zu betrachten, welche Links ich in meiner Twitter-Timeline empfohlen bekomme. Bisher hatte ich angenommen, eher zufällig mal auf den einen, mal auf den anderen Link zu klicken. Um ein objektives Bild zu bekommen, habe ich alle Links, die mir wert schienen, ihnen zu folgen, in einer Liste zu archivieren.

Beim Auszählen, die Überraschung: ich habe mir in Wahrheit etwa die Hälfte der Links aus meiner Timeline angesehen!Spam findet sich kaum. Tatsächlich liegen hinter den Links fast immer lesenswerte Artikel oder Bilder, die mich zumindest erfreuen. Diese Effizienz in der Versorgung mit Content finde ich bemerkenswert.

Hier die Liste der Links, die ich gestern Abend für relevant befand, ihnen zu folgen:

… und morgen geht es weiter. Sehr gespannt bin ich auch auf den parallelen Bericht von @dasrhizom!

Weiter zum zweiten Tag ohne Google: Orientierung mit OpenStreetMap
Zurück zur Einführung: Ohne Google. (die Einführung)
Und Ich bin dann mal verpixelt. – über Google Streetview.

Die anderen Posts zum Experiment “Ohne Google”:

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Ohne Google.

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“Die Welt ist keine Kugel”. Es ist der Berg des Nordens, dessen Schatten die Nacht erzeugt. Perspektivenwechsel, wie ihn die “Christliche Topografie” von Kosmas Indikopleustes vorlegt. Darauf wäre ich wohl auch nicht über Google gestoßen.

Abbildung nach Cosmas Indicopleustes, Christian Topography, Hsgb. J. W. McCrindle, Calcutta 1897

The strongest arguments prove nothing so long as the conclusions are not verified by experience. Experimental science is the queen of sciences and the goal of all speculation.
Roger Bacon

Ich habe mich entschlossen, ein Experiment zu machen: ich werde von heute an die Suche von Google nicht mehr nutzen.

Ort und Gelegenheit, zur Geburt dieser Idee war eine lange und lebhafte Diskussion mit Benedikt Köhler, Peter T. Lenhart und Sigrid Schwarz vergangenen Freitag in der Galerie Royal – genau passend, für das, was ich im folgenden beschreiben möchte.

Warum kommen wir auf diese Idee?

Es gibt einen Anlass und einen Grund für meine Entscheidung. Am vergangenen Freitag habe ich – wie so oft – versucht, Information zu einem bestimmten Produkt bzw. einer Marke zu finden, indem ich danach gegoogelt habe. Unter den ersten zehn Seiten von Treffern, also die ersten hundert Web-Seiten, die Google meiner Suche nach für relevant hält, war kein einziger Link, der tatsächlich etwas mit meinem Suchwort zu tun hatte. Es waren ausnahmslos Portale zum Preisvergleich, Empfehlungsportale oder Versandhändler – und stichprobenhaftes Aufrufen der Links förderte schnell zu Tage, dass keines der angeklickten Unternehmen das von mir Gesuchte tatsächlich angeboten hätte. “Finden Sie Machiavelli günstig bei ebay”, “Billig Hausstaubmilben bei Amazon bestellen”. – das ist mein Anlass, mehr nicht. Ich will gar nicht in ein Lamento über die Unart der SEM/SEO-Branche verfallen, über die Lebenszeit, um die uns diese Agenturen mit ihren anbiedernden und dummdreisten Tricks betrügen, um die Bandbreite, die durch ihren Spam verstopft wird. Das alles sind ja Gemeinplätze.

Der Grund für mein Experiment, nicht mehr mit Google zu suchen, liegt tiefer. Eine Suchmaschine nimmt ein Wort oder mehrere Worte, die ich vorgebe und liefert die Seiten im Netz, auf denen diese Worte zu finden sind – in einer Rangfolge nach ihren Algorithmen geordnet. Die Suchmaschine ist damit die Fortsetzung von dem, was der Index in einem Buch gewesen ist. Ein Index führt mich schnell zu den Dingen, die ich bereits kenne. Ich finde die Stellen im Buch wieder. Ein Index ersetzt aber auf keinen Fall das Inhaltsverzeichnis oder gar ein Abstract.

Zunächst scheint es eine große Erleichterung, wenn Information stets im Volltext zur Verfügung steht. In Wahrheit aber spart man sich häufig, ein Thema zu erarbeiten, weil man es ja schnell zitieren und weiterverwenden kann. Statt eigene Gedanken zu wagen, “stehen wir auf den Schultern von Riesen” und diese Riesen sind so übermächtig, dass jeder Widerstand zwecklos scheint. Wir haben so viel zur Verfügung, dass es unmöglich scheint, noch selbst etwas anderes Beizutragen, als eine Collage des bereits vorhandenen. Dieser Eklektizismus hat durchaus seine Ästhetik. Ich habe für mich persönlich aber das stärker werdende Gefühl, nichts mehr wirklich zu finden, und vor allem nichts mehr zu er-finden, je mehr ich mir die Technik des Suchens zueigen gemacht habe.

Dieses Gefühl wertloser Zeitverschwendung habe meist ich nicht bei Inhalten, die mir im Freundeskreis auf Twitter oder Facebook empfohlen werden oder die ich auf den Blogs finde, die ich regelmäßig lese. Oft klicke ich auf einen Link in meiner Twitter-Timeline, bei dem ich in der Regel nicht vorher sehe, wohin er führen wird, da er über bit.ly oder ähnliche Dienste verkürzt wurde, und stoße auf vollkommen unerwartet Neues, von dem aus es nicht selten Link für Link weiter geht, in Richtungen, die ich eben nicht schon im Vorhinein vorgegeben habe.

Auch was ich auf sozialen Informationsnetzen wie Wikipedia oder OpenStreetMap finde, bedeutet mir meist mehr, als die algorithmischen Ergbnisse der Suchmaschinen. Nicht zuletzt das motiviert mich, selbst etwas beizutragen, von dem ich glaube, dass andere es gerne finden werden.

Ich halte nichts von totaler Internet-Abstinenz. Fasten bedeutet schließlich nicht Hungern, sondern das bewusste Einhalten von Speisevorschriften zur Sammlung und Bewusstmachung dessen, auf was man verzichtet.
Mein Experiment – no Google, just the Web – soll mir ganz persönlich Klarheit darüber verschaffen, welchen Stellenwert Search für mich hat und wie es mich und meine Arbeit im Internet verändert. Ich werde versuchen, hier über meine Erfahrungen zu berichten.

Hier geht es zu den Erfahrungsberichten:

Weitere Beiträge zum Thema:
Das Ende der Geschichte für Kreativ-Berufe
Über das Fasten
Slow Media und die knappe Zeit
Kohelet – Zeit und Glück

und: Ich bin dann mal verpixelt.

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Bücher Geschichte Kunst Literatur Slow theory

“So literature collapses before our eyes” –
Non-Commodity Production

McLuhan’s tetrad-model: four aspects of the effect of media on culture and society. This example Print and the second one Xerox are quoted from “The Global Village” by McLuhan and Powers, Oxford University Press 1989.

The idea of copyright – the right to retain publication of one’s own words – is much younger than other forms of intellectual property laws. Patents to protect the economic exploitation of technological invention, for example, have been granted by the city’s sovereign since the times of ancient Greece. But not sooner than in the 18th century the perceived value added to a society and its economy by the written word would justify a legal concept to aliment writers. The first copyright law clearly formulates this goal in its title: “An Act for the Encouragement of Learning, by vesting the Copies of Printed Books in the Authors or purchasers of such Copies, during the Times therein mentioned“, also called the Statue of Anne.

Yesterday, Bruce Sterling cried out his concern about the future of literature in three Tweets:

“*Economic calamity that hammered music hits literature. The “solution” for writers? There isn’t one.
So literature collapses before our eyes, while the same fate awaits politics, law, medicine, manufacturing… finance and real estate…
Diplomacy, the military… we’re not gonna die of this, but man, the deeper 21st century looks like nothing anyone ever imagined.” (1,2,3)

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Geschichte Naturwissenschaft Philosophie

Atommodelle

τέσσαρα γὰρ πάντων ῥιζώματα πρῶτον ἄκουε·
Ζεὺς ἀργὴς Ἥρη τε φερέσβιος ἠδ’ Ἀιδωνεύς
Νῆστίς θ’, ἣ δακρύοις τέγγει κρούνωμα βρότειον.

Denn höre zuerst die vier Wurzelgebilde aller Dinge: hell scheinender Zeus; Leben spendende Hera; unsichtbarer Aidoneus und fließende Nestis, die mit ihren Tränen den sterblichen Quellstrom benetzt.
(Empedokles, Frgm. 6, Aetius I 3,20)

Die Vorstellung, das die Welt aus Atomen besteht, die unterschieldiche Elementar-Eigenschaften besitzen, ist mehr als zweitausendfünfhundert Jahre alt. Die Verbildlichung es Elementaren kann man also mit Fug und Recht als eine der ältesten Unternehmungen wissenschaftlicher Visualisierung bezeichnen. Von Empedokles (ca. 500-430 v.Chr.) ist oben zitiertes ältestes Fragment überliefert, in dem die vier Elemente als Wurzelgebilde aller Dinge bezeichnet werden. Der philosophischen Schule der Pythagoräer wird die Zuordnung der Elemente zu den regelmäßigen Körpern zugeschrieben – man kann dieses erste bildhafte Atommodell durchaus mit den mathematischen Beschreibungen von Naturgesetzen in der Sprache der modernen Physik vergleichen: wie die Physiker von heute aus den mathematischen Modellen schließen, dass es noch Teilchen geben muss, die noch nicht beobachtet wurden – ohne deren Existenz aber das Modell nicht stimmen würde, genau in dieser Weise wurde von den antiken Philosophen ein fünftes Element gefordert, denn es gibt eben exakt fünf dieser platonsichen Körper. Der Dodekaeder mit seinen zwölf regelmäígen Fünfecken fällt aus der Reihe – die Zahl fünf war den Pythagoräern ohnehin heilig, ihr Erkennungszeichen der Legende nach das Pentagramm. So wurde die Quintessenz, die Prima Materia, der Äther geboren, um das Modell der vier elementaren Atome zu vervollständigen.

Nur ein einziges Element besitzt die Kristallstruktur dieses Modells aus einer akademischen Physiksammlung: das hochgiftige und radioaktive Polonium. Es ist ein kubisch-primitives Gitter mit nur jeweils einem Atom an den vier Ecken – nicht zu verwechseln mit dem raumzentrierten Gitter des brüsseler Atomiums.

Aber was verdeutlicht dieses Modell? Wenn wir Atome als Kugeln darstellen: wird uns irgendetwas beim Polonium klarer dadurch, einem Element, das (zum Glück) so gut wie kein Mensch je in Wirklichkeit gesehen hat? Welche Realität symbolisieren die Stäbe, die die Atome verbinden?

“Was wir heutzutage aus der Sprache der Spektren heraus hören, ist eine wirkliche Sphärenmusik des Atoms, ein Zusammenklingen ganzzahliger Verhältnisse, eine bei aller Mannigfaltigkeit zunehmende Ordnung und Harmonie.”
(Arnold Sommerfeld)

Der Gründer des Deutschen Museums, Oskar von Miller, hatte sich 1918 an Arnold Sommerfeld gewendet und ihn gebeten, ob er nicht Atommodelle vorschlagen könnte, die “in denen der Elektronenreigen um den Kern kinematisch vorgeführt werden könnte.” Auch wenn Sommerfeld diese, doch recht triviale Visualisierung ablehnte, setzte er sich, gemeinsam mit seinem Doktoranten Wolfgang Pauli in den folgenden Jahren mit der Frage nach einer angemessenen Darstellung des Atoms für die neue Abteilung “Aufbau der Materie” im Deutschen Museum auseinander.

Das Modell eines Goldatoms von 1928 – oben zu sehen – zeigt die Elektronen-Orbitale schematisch als Kugeln, deren Schalen-Dicke die Orte hoher Wahrscheinlichkeit für dazugehörigen Elektronen symbolisiert. Für die Didaktik der Physik ist es seit dieser Zeit eine Streitfrage, ob man – wider besseres Wissen – die Elektronenhülle durch Kugel- oder Kreisbahnen quasi planetarisch Verbildlichen darf; einmal im Kopf, wird man die Vorstellung von kreisenden Elektronen nie mehr los.

Aus ganz anderen Gründen wurde Sommerfelds Atom-Präsentation im Deutschen Museum kurz nach ihrer Einweihung wieder entfernt. Den Nazis war die Quantenphysik und speziell das Bohr-Sommerfeld Atommodell ein Dorn im Auge. Und kaum war Oskar von Miller, der über die Sammlung stets schützend seine Hand gehalten hatte, gestorben, konnten die braunen Pseudowissenschaftler die verhassten Exponate ins Depot verfrachten.

“Der Gedanke, daß ein einem Strahl ausgesetztes Elektron aus freiem Entschluß den Augenblick und die Richtung wählt, in der es fortspringen will, ist mir unerträglich. Wenn schon, dann möchte ich lieber Schuster oder gar Angestellter einer Spielbank sein als Physiker.”
(Albert Einstein)

Computergrafik ermöglicht uns, die mathematischen Funktionen darzustellen, mit denen wir die Atommodelle unserer Zeit beschreiben. Mag man sich das innere der Materie noch als kleine Kügelchen vorstellen können, die mit Drähten aneinander hängen – um die Quantenwelt als Real akzeptieren zu können, müssen wir uns von davon verabschieden, dass die Welt im Kleinsten irgendwie doch genauso aussieht, wie wir sie im großen kennen – auch wenn in den meisten Physikbüchern immernoch die Bohr-Sommerfeldschen Elektronen-Planeten um den Atomkern als Sonne kreisen. Auch in der Physik verläuft die Entwicklung des Weltbildes von einer rein mathematisch-philosophischen Vorstellungen, wie bei den Pythagoräern, über scheinbar konkreter werdendes Erkennen, bis in unserer Zeit wieder auf ein abstraktes Modell die Welt als Überlagerung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen reduziert.

Doch in Wahrheit ist es ein ganz anderes Sinnbild, das die meisten Menschen mit “Atom” assoziieren:
Trefoil

Weiterlesen:

Metaphysik, Spekulation und die “Dritte Kultur” und:


Atombilder: Ikonographien des Atoms in Wissenschaft und Öffentlichkeit des 20. Jahrhunderts. Hsgb. von Jochen Hennig und Charlotte Bigg zur gleichnamigen Ausstellung im Deutschen Museum, 2007.

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Geschichte Kunst Literatur Miscellen

Semaphore

Georg Scholz (1890-1945):
Kakteen und Semaphore, 1923.

LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster / Rudolf Wakonigg. Abbildung mit freundlicher Genehmigung.

Eh mon Dieu, oui, un télégraphe. J’ai vu parfois au bout d’un chemin, sur un tertre, par un beau soleil, se lever ces bras noirs et pliants pareils aux pattes d’un immense coléoptère, et jamais ce ne fut sans émotion, je vous jure, car je pensais que ces signes bizarres fendant l’air avec précision, et portant à trois cents lieues la volonté inconnue d’un homme assis devant une table, à un autre homme assis à l’extrémité de la ligne devant une autre table, se dessinaient sur le gris du nuage ou sur l’azur du ciel, par la seule force du vouloir de ce chef tout-puissant.
Dumas, Der Graf von Monte Christo

Der Chappe-Telegraf überträgt Nachrichten durch ein Alphabet, das mittels eines beweglich in der Mitte aufgehängten Balken mit je einem klappbaren Ausleger an jeder Seite durch die unterschiedlichen Stellungen dieser drei Bauteile kodiert ist. Balken senkrecht, beide Auleger rechts (vom Sender aus gesehen), bedeutet z. B. die Zahl “40”. Unter Napoleon wurden Telegrafenlinien in Form von Türmen mit solchen Semaphoren auf dem Dach quer durch Frankreich und die besetzten Gebiete angelegt, um schnellstens Nachrichten von einem Truppenteil zum anderen zu transportieren.

Im Frankreich, in das Edmond Dantes nach vierzehn Jahren Haft als Graf von Monte-Christo zurrück kehrt, spielen die Semaphore längst eine ganz andere Rolle: es sind die – wie man heute so schön sagt – Nervenstränge der Volkswirtschaft und es sind nicht mehr die Truppenbewegungen, für die sich die Empfänger interessieren, sondern Bewegungen an den Börsen.

Wie ein Astronom blickt der Mann, der den Telegraphen besetzt, tag ein tag aus in den Himmel – aber nicht um Sterne zu beobachten. In seinem Fernrohr sieht er “Ein Insekt mit einem weißen Bauch und schwarzen Krallen.”, so beschreibt der Graf von Monte-Christo seine Faszination über die Semaphore und erkennt: es ist zum ersten mal, dass indirekt und doch fast unmittelbar die Gedanken des einen Menschen in wenigen Augenblicken über eine Strecke von mehreren Tagesreisen zu einem anderen transportiert werden. Aber Edmont ist kein Kaspar Hauser, der nur über die technischen Neuheuten staunt; er erkennt sofort, wie er die Telegraphie für seine Zwecke – die Rache – dienstbar machen kann. In unseren Worten: er nutzt eine Sicherheitslücke im Protokoll und startet einen Man-in-the-Middle-Angriff. Er besticht den Telegraphen-Operator und lässt durch eine Falschmeldung eines Umsturtzes in Spanien in Paris die Börse baissieren um seinen Widersacher von einst, den Bankier Danglar zu ruinieren.

Tatsächlich beginnt mit den Semaphoren von Claude Chappe das Zeitalter der Telekommunikation. Zum ersten Mal ist es möglich, nicht nur einfache Ja/Nein-Meldungen zu vorher vereinbarten Fragen zu senden, wie dies durch Rauchzeichen oder das Schwenken von Fackeln seit dem Altertum gehandhabt worden war.

Telekommunikation vermittelt etwas konkretes über eine Distanz hinweg; das Original der Botschaft – der denkende, fühlende, sprechende Mensch, der sie sendet – bleibt im Moment des Empfangens unerreichbar, wie die Sterne, die der Astronom am Himmel beobachtet, um im Bild aus dem Graf von Monte-Christo zu bleiben. Wie die Fotografie, die etwa zeitgleich aufkommt, verändert die Telegrafie die Aura, jenes Gefühl von Unmittelbarkeit oder Unnahbarkeit, durch das wir von den Objekten unserer Wahrnehmung manchmal uns wie von einem Hauch berührt finden, das früher eng verbunden war, mit dem Numinosen, dem Charismatischen und schließlich noch dem originalen Kunstwerk.

Es ist genau dieses Gefühl, das Georg Scholz in seinem Gemälde einfängt: Im Vordergrund liegen Glühbirnen, die Leitfossilien der futuristischen Bewegung, die nicht zuletzt die Semaphore in ihrem letzten Rückzugsgebiet verdrängen, den Formsignalen der Eisenbahn, wie sie heute nur noch gelegentlich in den Gärten der Bahnfreunde zu sehen sind. Die Semaphore stehen rätselhaft hinter einer dichten, grünen Hecke vor einem abendroten Himmel, der zum Zenith hin bereits in nächtliches Dunkel fällt. In Ruhestellung. Rätselhaft auch das helle, weiße Licht, dass von einem, für den betrachter unsichtbaren Sprossenfenster von hinten in den Raum strahlt, sich in den Glühbirnen spiegelt und die Kakteen scharf beleuchtet. Ein Vorhang, wie ein Schleier, weht links vor dem Fenster; fällt er ganz darüber, droht er, den Blick auf die Signale gänzlich zu verschleiern.

Mit den Semaphoren war die Verschlüsselung von Zeichen in maschinell übertragbaren Code geboren. Eine Vielzahl von Erfindern entwickelten daraus und mit der kurz zuvor entdeckten Elektrizität in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unterschiedliche Technologien zur Signalübertragung über weite Strecken – perfektioniert durch den Morse-Telegraf und schließlich durch die kabellose Telegrafie, Anfang des 20. Jahrhunderts durch Marconi und Braun eingeführt wurde. Damit waren die Semaphore, die optischen Telegrafen, überflüssig geworden.

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Literatur Slow theory Sprache

Schreiben mit Maschinen

“Wer Dichtung will, muss auch die Schreibmaschine wollen.” (?)
Arno Schmidt, “Zettels Traum”

Man greift zum Pinsel oder zur Feder (diesem natürlichen Pinsel), um federnd, beflügelt, wie im Flug zu schreiben. Dann dreht man die Feder um und schreibt mit der Federspitze, um noch schneller zu schreiben.
Vilém Flusser, “Die Schrift”

Füllfederhalter heißt auf russisch Авторучка (Awtorutschka, wörtl.: Auto-Händchen), das bedeutet soviel wie “die selbsttätige schreibende Hand”. Die Feder aus Stahl, letzte Verzeichnung des Gänsekiels, saugt sich die Tinte aus dem Tank, so dass problemlos einige Seiten in Kurrentschrift mit Text aus endlosen blauen Linien gefüllt werden, die sich wie Fäden über das Papier ziehen. Anfangs gibt es kaum Widerstand, die Feder gleitet mühelos übers Papier; dann fängt der Auftrag an, heller zu werden, bis die Bewegung der Feder schließlich auf dem Papier zu kratzen beginnen. Jetzt muss man wieder nachfüllen – per Patrone oder aus dem Tintenglas. Der Schreibfluss wird unterbrochen, man kann genauso gut aufstehen und zum Kühlschrank gehen, sich einen Kaffee kochen oder ein Glas Wein nachschenken. Es werden nie mehr als ein paar Seiten. Das ist der Schritt, den der Füller als Werkzeug uns beim Schreiben gibt.

Meine ersten beiden Schreibmaschinen: der billige Füller der Schulzeit; das bessere Modell fürs Studium.

“- aso wenn die Schreibmaschine sorichtich im System rappelt : 10 Daktylen, 2 Cheir -”
Arno Schmidt, “Zettels Traum”

… auf der Maschine verklemmen die Lettern, wenn man die Tasten nicht richtig trifft. Anfängerfehler. Dafür trifft man ü und ß viel leichter, als auf der, mit Sonderzeichen vollgemüllten, engen Laptop-Tastatur.

Das Eigentümliche der Schreibmaschine ist die Rhythmik, deren Schläge – die Anschläge der Tasten – und Takte – der Zeilenvorschub – das Schreiben viel kleinteiliger gliedert, als das Umblättern des Papiers oder das Nachfüllen der Tinte beim Schreiben von Hand. Der Stil des Maschineschreibens wird von selbst knapper. Man gewöhnt sich an, das Klingeln vor dem Zeilenende vorwegzuspüren, die Sätze danach zu bemessen, einen schönen Abschluss zu finden, bevor die rechte Hand von der Tastatur genommen werden muss, um den Vorschub zu betätigen. Ausladende Haupt-Nebensatzkonstruktionen machen auf der Schreibmaschine keinen Spass. Ähnlich wie beim Schreiben mit der Hand, muss man auch beim Maschineschreiben den Satz zuende denken – ein Umkehren und Löschen des bereits getippten kostet die Ästhetik der beinahe druckreifen Typografie. Aber mit der Maschine kommen die Wörter viel schneller, als mit der Hand. Es bleibt viel weniger Zeit, den Satz in Gedanken zu formulieren. Also: kurze Sätze, die in der Silbenfolge das Metrum des Tastengeklappers behalten.

Drückt man die Tasten nicht exakt von oben, verklemmen die Lettern und man rutscht mit den Fingern in die Zwischenräume – und an der Unterseite sind die Tasten gar nicht so gefällig glatt, sondern scharfkantig und das Abrutschen ist schmerzhaft.

Nach langem Schreiben fühlt man auch im Bett liegend noch das rythmische Spiel der Finger, die sich von der physischen Anstrengung des Tastendrückens erholen.

” – der Klang Deiner Schreibmaschine gab Mein’n Träumen eine wunderliche Form.-
Arno Schmidt, “Zettels Traum”

‘sich mit den Fingern dran=spieln’; wär also eine, für die DamenWelt=typische, Ersatzhandlung. “(wie auch Klavier / Schreibmaschine:’tipp=tipp=tipp die kleine Erica’; (all diese virtuosn fingerspielerinn’: Klavier,Schreibmaschine,ZupfGeigen im puzzycato;(sogar übertriebene Maniküre)))”
Arno Schmidt, “Zettels Traum”

Selbst bei der Schreibmaschine ist von Zeit zu Zeit ein Farbbandwechsel nötig. kein noch so entwickelter Tintenstrom ist unversiegbar. Erst wenn die Aufschrift vom Teletype ersetzt ist, wird es technisch möglich sein, in einem ununterbrochenen Schreibschwall zu schreiben.
Vilém Flusser, “Die Schrift”

Der Atari MegaST war 1986 der erste Computer, auf dem ich geschrieben habe. Ältere Computer wie der C64 hätten der Schreibmaschine nicht das Wasser reichen können. Aber auf dem Atari liefen TEX und Signum und andere hervorragende Schreibprogramme. Mit dem Computer war das Schreiben ganz anders, als auf der Maschine. Zum einen ging es unendlich weiter. Kein Umschalten von Klein- auf Großbuchstaben; das Anheben des Wagens mit den kleinen Fingern war ja eine echte Kraftanstrengung! Kein Klingeln und Anhalten durch den Zeilenvorschub, kein Papiernachlegen, kein Farbbandauswechseln.

Der zweite, ebenso wesentliche Unterschied besteht in der aufdringlichen Präsenz des gerade getippten Textes, der einem jetzt frontal ins Gesicht leuchtet. WYSIWYG – bereits formatiert mit Überschriften, Font, Absatzparametern besitzt der Text vor Augen sofort etwas endgültiges; aber: wie schnell hat man andererseits ganze Passagen gelöscht! Das druckreife Äußere des Textes auf dem Bildschirm ist weniger eine Anmaßung, als vielmehr eine Irreführung, die uns etwas als fertiges Produkt verspricht, was schon beim nächsten Absturz unwiederbringlich verloren gehen kann. Dazu hat sich auch Günter Grass jüngst im Spiegel-Interview geäußert:

“Ich würde diese Entwicklung hin zum Lesen auf Computern gern aufhalten, aber das kann offenbar niemand. Dabei werden die Mängel des elektronischen Verfahrens bereits beim Erstellen des Manuskripts offenkundig. Die meisten jungen Autoren schreiben direkt in den Computer, verändern und arbeiten in ihren Dateien. In meinem Fall dagegen existieren zahlreiche Vorstufen: eine handschriftliche Fassung, zwei, die ich selbst mit meiner Olivetti-Schreibmaschine getippt habe, und schließlich mehrere Ausdrucke von Fassungen, die meine Sekretärin in den Computer eingegeben und ausgedruckt hat und in die ich jeweils zahlreiche handschriftliche Korrekturen eingearbeitet habe. Solche Arbeitsgänge gehen verloren, wenn man gleich am Computer schreibt. […] Im Computer sieht ein Text immer irgendwie fertig aus, auch wenn er es längst nicht ist. Das verführt.”

***

Durch den Papierhandlungen und Schreibtische zusammenfassenden Blick wird jedes politische engagement des Schreibers als lächerlicher Irrtum erkannt. Es ist darum den meisten gegenwärtig Schreibenden nicht zu empfehlen, diesen Blick zu wagen. Während der ganzen Schreibkultur waren die Mittel klein und verächtlich, die Ziele waren großartig und nobel. Es ist doch lächerlich, bei der Beurteilung des erreichten Zwecis “Göttliche Komödie” an Dantes Gänsekiel zu denken. Das ist jetzt anders geworden. Das angebotene [Schreibwerk-]Zeug ist großartiger als die zu schreibenden Notizen, denen es vorgeblich dient: wieviel mehr Intelligenz steckt in solchem Zeug als dem dan ihm erzeugten Geschreibsel.
Vilém Flusser, “Die Schrift”

Seit 1992 schreibe ich auf Laptops. Es ist wieder einfacher, den Bildschirm beim tippen zu ignorieren, erst recht in den Eingabemasken von WordPress oder einem Wiki, die selbst nur noch einen Teil des ohnehin kleinen Bildschirms beanspruchen. War ich früher alle paar Minuten aufgestanden, um etwas nachzulesen, ist dafür jetzt die Verlockung groß, einfach ein neues Tab im Browser zu öffnen und im Netz zu suchen, ob es nicht doch jemand gab, der meinen Gedanken vor mir schon einmal formuliert hatte (und vielleicht sogar treffender, als ich es mir zutraute). Einmal vom rechten Pfad abgewichen, gibt es kaum noch Rettung: jetzt muss einfach noch ein Blick in die Twitter-Timeline drinn sein und – ach, warum nicht – auch noch gleich das Email checken.
Deshalb arbeite ich gerne im Zug; und da ist es der Ladestandanzeiger des Akku, der den Takt klopft: ist er auf unter 30% gefallen, heisst es: schnell noch zuende bringen, was ich mir vorgenommen habe, bevor mein Schreibapparat mir die Zwangspause verordnet.

Triumph Matura Atari MegaST Compaq

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TEX – digitaler Buchsatz

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Faksimile der 42-zeiligen Gutenberg-Bibel nach dem Exemplar der Berliner Staatsbibliothek Preuss. Kulturbesitz. Peagant, NY, 1964

“Gutenberg hat eigentlich nichts erfunden: Schon um die Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. hätte man in diesem sinn buchdrucken können. Alle technischen Voraussetzungen (Pressen, Tinten, Blattförmige Unterlagen, auch die Kunst, Negative in Metall zu gießen) waren damals gegeben. Man druckte noch nicht, weil man sich dessen nicht bewußt war, dass man Typen handhabt, wenn man Schriftzeichen zeichnet.”
Vilém Flusser, “Schrift”

Die 42-zeilige Bibel aus der Werkstatt Gutenbergs gilt als das erste Buch, das im neu erfundenen Buchdruck mit beweglichen Lettern gedurckt wurde. Bis heute haben sich mindestens 48 Exemplare erhalten. Die Typografie dieses weltverändernden Buches gilt bis heute als eine der schönsten – von vielen sogar als die schönste erachtet, die je gesetzt wurde.

Der Textsatz Gutenbergs weist allerdings einen ganz wesentlichen Unterschied zu den späteren Satztechniken auf: während spätere Setzer den Zeilenausschluss, der alle Zeilen auf die Breite des Satzspiegels bring, durch Spatien, kleine Blei- oder Messingstreifen erreicht wird, mit denen der Setzer die Wortabstände entsprechend vergrößert, bis die Zeile voll aufgeschlossen ist, nutzte Gutenberg insgesamt 290 unterschiedliche Lettern zum Druck, die für denselben Buchstanben sich geringfügig in der Breite unterschieden. Damit ist Gutenberg vom Erscheindungsbild der Seiten viel näher an der Handschrift geblieben, als spätere Setzer – ästhetisch überlegen, aber weit weniger effizient.

Oben und unten: Typografien des berühmten Schriftdesigners Hermann Zapf – gesetzt mit TEX (Abbildungen von http://www-cs-faculty.stanford.edu/~uno/).

Als ich anfang der Neunziger Mathematik studierte, waren viele neuere Lehrbücher so hässlich, dass es mir schwer viel, den Inhalt daraus zu erfassen; die minderwertigen Satz- und Reproduktionsqualität dieser Zeit machte die “Nerd”-Wissenschaft Mathematik noch unattraktiver. Der Grund für diesen Niedergang an Publikationskultur liegt in der Umstellung vom Bleisatz auf den “Lichtsatz”. In den modernen Satzmaschinen – meist immer noch teilmechanisch oder basierend auf nicht ganz so schnellen Computern – war es schlichtweg nicht vorgesehen oder unmöglich, so komplexe, durch Indizes und Superscripten mehrzeiligen Formeln zu erstellen, wie sie eben die Mathematik ausmachen. In der Regel wurden also einfache Computer-Ausdrucke oder Schreibmaschinen-Skripten mit handschriftlichen oder mit Schablone gezeichneten Formeln vervielfältigt und gebunden. Zum ersten Mal seit 500 Jahren waren die Verlage von Gutenbergs Technologie abgewichen und es schien einigen Zeitgenossen – wie etwa Vilém Flusser – das Ende der Schriftkultur eingeläutet.

Aber nicht alle Bücher waren so hässlich. Immer öfter tauchten unter den Neuerscheinungen wirkliche Perlen der Schriftkunst auf – auch in Nischengebieten, in ganz kleinen Auflagen, ja sogar in Dissertationen und Diplomarbeiten gab es plötzlich einen unglaublichen Qualitätsschub – zumindest was das Aussehen der Texte betrifft.

Dies ist das Verdienst von Donald E. Knuth:

Sein Buch “The Art of Computer Programming” war für Donald E. Knuth der Anlass, sich systematisch mit digitalem Textsatz auseinanderzusetzen. Das Ergebnis rechtfertigt die Mühe!

Knuth – einer der großen Wegbereiter der Computerprogrammierung hatte in fast zehnjähriger Arbeit ein Textsatzprogramm geschrieben, von dem er selbst mindestens dieselbe Leistung und Qualität erwartete, wie von den großartigen Monotype-Bleisatzmaschinen. Die Geschichte dieses Programmes ist von Donald Knuth selbst erzählt: enttäuscht von der schlechten Qualität der zweiten Auflage seines Buches hatte er begonnen sich in Textsatz und Druck einzuarbeiten und nicht eher aufgegeben, bis er die perfekte Lösung vorstellen konnte – die er unter einer Free Software Lizenz veröffentlichte!

Die Notation von komplizierten Formeln ist in TEX schnell erlernt. Die Sonderzeichen werden durch einen \-Tag eingeleitet. Superskripten und Indices kommen einfach der Reihe nach.

\sum ergibt das Summenzeichen Σ
\int das Integral ∫
Griechische Buchstaben ebenso: \alpha ergibt α und so weiter. Es ist nicht schwierig, selbst weitere Befehle oder Macros in TEX anzulegen – inzwischen gibt es wohl nahezu jedes Alphabet auf Erden als Font für TEX.

Hier ein Beispiel in der vereinfachten TEX-Version, die auf Wikipedia eingebaut ist: Die Riehmannsche ζ-Funktion.

In TEX-Code:

\zeta(s) = \sum_{n=1}^\infty\frac1{n^s} =1+\frac1{2^s} +\frac1{3^s} +\frac1{4^s} +\cdots

ergibt als Bild:

… oder für s=2, mit dem bekannten Kreis-Zusammenhang:

\zeta(2) = \sum_{n=1}^\infty \frac1{n^2} = \frac{\pi^2}6

Das besondere an TEX ist aus meiner Sicht gar nicht einmal die Leichtigkeit, mathematische Formeln wie gestochen in den Text einzufügen. TEX setzt Buchseiten in einer ästhetischen Weise, wie es einstmals die besten Bleisetzer von Hand vermochten und zwar mit belibigen Typen, Schriftarten, Symbolen, von Rechts nach Links – ganz danach, wie es der Text erfordert.

Neben dem eigentlichen Textsatzprogramm gehört zu TEX noch ein Werkzeug zum Fontmanagement: METAFONT. Knuth stellte – anders als seine Vorgänger – die Buchstaben und Symbole nicht als Bitmap, also als ein Raster mit schwarzen und weißen Flächen dar, sondern beschreibt die Zeichen als mathematische Formeln, als Kurven von Funktionen. Diesem Ansatz folgen heute alle Textsatzsysteme – Adobes Postscript und pdf ebenso wie Microsofts Truetype – mit einer wichtigen Ausnahme: in diesen wird der Umriss des Buchstabens durch die Kurven beschrieben, während Knuth einen “Pinselstrich” beschreibt – eine Mittellinie und den Umriss des Pinsels in Form einer Elipse.

“The Art of Computer Programming” von Donald E. Knuth ist nicht nur schön gedruckt, sondern auch schön gebunden – Leineneinband mit Fadenheftung, wie es sich gehört!

Der Textsatz war in all den fünfhundert Jahren seit Gutenberg der wichtigste und anspruchvollste Teil der Buchproduktion. Das hatte sich auch durch die Mechanisierung mit Linotype und Monotype geändert – es war eine hohe Kunst, in der es stets darum ging, mit Maschinen Texte zu produzieren, in einer Weise, die dem Wert des Inhaltes mindestens gerecht werden sollte. Die Technologie zu beherrschen – und nicht umgekehrt, sich ihr unterzuodrnen – ist heute so aktuell wie zu Gutenbergs Zeit. TEX übersetzt das wesentliche dieser Technologie in die digitale Medienproduktion.

Nach dem Inhalt sind der gute Satz und das Layout der zweite, notwenidge Schritt zu einem wertvollen Text. Danach folgt die eigentliche Produktion von der Papierherstellung, dem Druck, bis zur Bindung – bzw. die Darstellung auf dem Bildschirm und die Distribution. Alle diese Schritte zahlen auf den Wert eines Mediums ein. In jedem einzelnen lohnt sich Sorgfalt.

“Nie zuvor ist der Forschritt der Geschicte so atemlos gewesen wie seit der Erfindung der bildermachenden Apparate.”
Vilém Flusser: “Schrift”

(die Abbildung nach Knuth a.a.O.)

Weitere Beiträge zum Thema Druck:

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Metaphysik, Spekulation und die “Dritte Kultur”

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Der Wissenschaftler blickt durch das Objektiv – macht das seine Forschung objektiv?

Anlass für diesen Post ist eine ziemlich beharrlich geführte Debatte auf Twitter, aus der ich meine eigenen Punkte etwas erweitern möchte. Diese berühren nur einen Teil dieser, über weite Strecken, wie ich finde, kurzweiligen Diskussion in der ein viel weiterer Bogen gespannt worden war.

Das Grundmotiv des Gesprächs stellten “die zwei Kulturen”, wie der Komplex – Naturwissenschaft gegen Geistes- oder Humanwissenschaften – seit dem berühmten Text von Ch. P. Snow genannt wird. Ich möchte zwei Aspekten anreißen, die ich im Zusammenhang von Slow Media für erwähnenswert finde: die Frage nach dem Wert von Metaphysik für die Wissenschaft. Der zweite: meine Hoffnung, dass in der durch das Web mit Plattformen wie Wikipedia und durch die Blogs mit ihren Kommentaren veränderten Öffentlichkeit für Wissenschaften die “dritte Kultur” möglich wird.

Von den Protagonisten der Twitter-Diskussion waren schnell die entsprechenden Rollen im Spiel von Snows zwei Kulturen eingenommen; ich – trotz meines Werdegangs – auf Seite der Humanities. Am Ende hätte sich alles fast in Konsens aufgelöst, wären nicht ein paar Punkte aufgetaucht, bei denen der tiefe Graben zwischen den zwei Kulturen plötzlich wieder sichtbar wurde: zunächst die Frage, ob der Skeptizismus der naturwissenschaftlichen Methode auf deren Grundlagen selbst anzuwenden sei, und dann, und das kam vollkommen unerwartet für mich, durch ein Zitat, das ich zur Illustration dieser Frage getwittert hatte.

Ehlers: ‘ … die Entscheidung [ob man eine neue Theorie akzeptiert] fällt auf Grund von Argumenten, denen schließlich beide zustimmen: die Vertreter der älteren und die der jüngeren Generation.’
Stichweh: ‘Ob das immer so ist? Ich kenne keinen einzigen Gegner Darwins, der je überzeugt worden wäre.’

Aus Die Wahrheit in der Wissenschaft.
Interview mit Jürgen Ehlers und Rudolf Stichweh. Spekturm 7 2001

Christian Huygens, “der eleganteste Mathematiker seiner Zeit”, eine der herausragensten Gestalten der Aufklärung, hatte im Kontext der Verteidigung Galileos gesagt: “Die Welt ist mein Heimatland und Wissenschaft ist meine Religion”. Dieses Zitat fand ich passend für die Unterhaltung. Danach war der Konsens bis zum Ende nicht wieder herzustellen, es kam ein scharfer Ton in die Rhetorik und – ich habe es so empfunden, da ich ja die Gegenposition vertrat – die “Partei der Naturwissenschaften” verfiel in Figuren der Eigentlichkeit, ja die Bilder wurden schließlich geradezu martialisch. Die Barschheit mit der eine Gemeinmachung, aus dem Zitat abgeleitet, von Wissenschaft mit Religion, bekämpft wurde, überraschte mich, noch mehr, dass ich damit die naturwissenschaftliche Seite beleidigen würde. Umgekehrt sah ich mich als gläubiger Katholik plötzlich mit Kreationisten und anderen esotherischen Spinnern auf eine Stufe gesetzt.

“Was an Kraft gewonnen wird, geht an Weg verloren.” Auch wenn es verlockend ist – die Übertragung physikalischer Bilder auf die Gesellschaft des Menschen, wie sie noch Francis Bacon gefordert hatte, funktioniert so einfach nicht …

Nach meinem Abitur hatte es für mich keinen Zweifel gegeben, dass ich eine naturwissenschaftliche Laufbahn einschlagen würde. Ich fing an, Mathematik und Informatik zu studieren. Wie viele meiner Zeitgenossen hatte mich vor allem die Freude an der Visualisierung von Daten ergriffen: es war die Zeit der “fraktalen Geometrie der Natur” von Mandelbrot und der Erfindung des Grafik-Prozessors. Aufgrund dieser Kenntnisse in elektronischer Datenanalyse bekam ich einen Job in der Forschungsstelle für Humanethologie in der Max-Planck-Gesellschaft in Andechs.

Das besondere an dem Team in diesem Institut bestand in der außergewöhnlichen, überdisziplinären Zusammensetzung: neben den Zoologen (vorwiegend Ornitologen und Primatenforscher) arbeiteten dort Mediziner, Psychologen, Sprachwissenschaftler und sogar Kunsthistoriker. Der Grund für diese ungewöhnliche Zusammensetzung bestand im Forschungsgegenstand: dem menschlichen Verhalten – von der nonverbalen Kommunikation (wo ich gelandet war) zu Sprache und Proxemik (das Verhalten in der Gruppe) bis zum ganzen Repertoire der Kultur, der Kunst, der Architektur und vor allem der Musik – gesucht wurde, was die Menschen eint, universal gültig, egal, welche Kultur der Welt betrachtet wird, und was spezifisch ist, wie Menschen ihr Verhalten an unterschiedliche Umweltbedingungen anpassen. Von der Methodik der Ethologie, der vergleichenden Verhaltensforschung, profitiere ich bis heute – eine Vielzahl von Forschungsprojekten haben Christiane Tramitz und ich seither verwirklicht – auch wenn unsere Trennung vom Max-Planck-Institut damals ziemlich unsanft verlief.

Zu jener Zeit waren einige der bereits zum Proseminar-Stoff abgesunkenen, der Postmoderne entlehnte Argumentationsfiguren sehr en vogue. Hatten der humanwissenschaftliche Mainstream während der zehn Jahre zuvor die biologische Erforschung des Menschen noch alles Teil bürgerlicher Herrschaftsverteidigung massiv angegriffen, so wurde jetzt jeder Reduktionismus, der die klassische naturwissenschaftliche Methode gerade ausmacht, als Konstrukt geschmäht. Die Streitgespräche dieser Zeit waren im Grund recht harmlos und – anders als die Klassenkampf-Rhetorik der früheren Jahre – kaum angetan, die Forschungsarbeit ernsthaft zu stören. Mich – als mitlerweilen diplomierten Statistiker konnte die Postmoderne ohnehin kaum schrecken, hatte ich mir schließlich ein Fach gesucht, das sich mit dem Problem der Erkenntnisgewinnung und -überprüfung aus zufallsbehafteten Daten oder noch besser: aus unvollständigen Modellen beschäftigte.

“Naturwissenschaftler scheinen – dies sei hier einmal unterstellt – nicht allzu oft darüber nachudenken, was eigenlicht das Wesen ihrer Tötigkeit ausmacht, welcher Sinn darin zu sehen ist … kurz, welchen Platz ihre Disziplin in unserer Kultur einnimmt.” Michael Groß: Naturwissenschaftler gegen Wissenschaftstheoretiker: ein Krieg zwischen den Kulturen? (Spekturm 9 1997)

Manche Kollegen traf die Kritik offenbar sehr hart, und zwar, weil sie im Kern auf einen eigentümlichen Aspekt vieler Projekte der Humanbiologie zielte: dass sie nämlich aus den vorgeblich wissenschaftlichen Hypothesen ethische Normen ableiteten. Gerade die Soziobiologie, die das Verhalten des Menschen unter seinen Artgenossen unter biologischen Aspekten untersucht, ist extrem anfällig dafür, ihre Reduktionismen (“Gruppe”, “Sippe”, “Volk”, “Kultur” etc.) als wirkliche Gegenstände zu verabsolutieren. Ich will an dieser Stelle gar nicht auf die Probleme postmoderner Anthropologie und Ethnologie eingehen. Etwas anderes musste ich nämlich am eigenen Leib lernen: diese Normen waren nicht zu kritisieren, wie ich mir sagen lassen musste, da sie ja mit wissenschaftlicher Methode abgeleitet wurden. Damit das etwas klarer wird: es handelte sich um ein Moral-Gerüst, das man im weiteren Sinne als darwinistisch bezeichnen könnte. Darwinismus – das sei hier betont – ist nicht die Evolutionslehre, sondern eine daraus abgeleitete Sozialethik. Diese bewertet das Verhalten moralisch gut oder schlecht, inwieweit es Menschen hilft, einzeln oder als eng verwandte Sippe, ihre Gene an eine möglichst zahlreiche, nächste Generation weiterzugeben; zu Ende gedacht ist hier die “grausame Königin Natur” in ihrem Reich – deutlicher muss ich wohl nicht werden; für mich war damals jedenfalls Schluss mit der Biologie.

Es gibt aus dieser Argumentation keinen Ausweg, wenn man in der positivistischen Logik der Biologie verharrt; das ist es, was man seit dem zweiten Weltkrieg allgemein die “Dialektik der Aufklärung” nennt. Es gibt aber eine Chance, mit aufgeklärtem Denken nicht in die Barbarei zu rutschen, nämlich einen Schritt hinaus zu machen.


Euklids Elemente. Indem man einzelne der scheinbar für unsere Anschauung evidenten Axiome verändert, gelangt man nicht zu Widersprüchen, sondern zu neuen Welten: der nichteuklidischen Geometrie.

Meta bedeutet hinter, jenseits, und Metaphysik ist seit der Antike der andere Raum des Denkens, inden wir zurücktreten können, um auf die Physis, die Natur zu blicken und darüber nachzudenken, was nach der Betrachtung der Natur daraus folgt.

Stichweh: ‘Wenn ich Wissenschaft von außen betratet mit Kunst oder Religion vergleiche, dann unterscheidet sie sich dadurch, dass sie für ihre Aussagen Wahrheit beansprucht. […] Niklas Luhmann hat gesagt, Wahrheiten sind Erschöpfungszustände der Wissenschaft.’
Aus Die Wahrheit in der Wissenschaft. Interview mit Jörgen Ehlers und Rudolf Stichweh. Spekturm 7 2001

Metaphysik, das habe ich gestern wieder erfahren, steht nicht hoch im Kurs. Die Frage nach der Bedeutung, nach dem Wesen der zutage geförderten wissenschaftlichen Erkenntnis kann aber nicht im System selbst beantwortet werden. Ob das Restrisiko der zivilen Nutzung von Atomkraft, das von ihren Befürwortern für alle Menschen eingegangen wird (ob die wollen oder nicht), ob Gentechnik voranzutreiben ist, ob der Klimawandel ein notwendiges Übel unserer Zivilisation oder ein Verbrechen ist – das alles sind keine wissenschaftlichen Fragen. Gerne wurde in der Vergangenheit von Politikern jede Skepsis an der Forschung abgewiegelt. “Diskutieren ohne Scheuklappen” war das Mantra des sogenannten Ethikrates, im Klartext: lasst uns bloß mit eurer Moral in Ruhe!

“Die Beschränkung auf herausgeschnittene, scharf isolierte Gegenstände […], die aus dem Bedürfnis nach Exaktheit laboratoriumsähnliche Bedingungen zu schaffen trachtet – verwehrt nicht bloß temporär, sondern prinzipiell die Behandlung der Totalität der Gessellschaft. Das bring mit sich, dass die Aussagen der empirischen Sozialforschung häufig den Charakter des Unergibigen, Peripheren […] tragen. Unverkennbar ist die Gefahr einer Stoffhuberei […] Durchs Bestreben, sich an hieb- und stichfeste Daten zu halten und jede Frage nach dem Wesen als Metaphysik zu diskreditieren, droht der empirischen Sozialforschung die Beschränkung aufs Unwesentliche im Namen unbezweifelbarer Richtigkeit. Oft genug werden ihr die Gegenstände durch die verfügbaren Methoden vorgeschrieben, … ” twa 9.2 S. 356

Die Spekulation ist das zweite metaphysisches Feld, dass meiner Ansicht nach fest mit den Wissenschaften verbunden ist. Spekulation bedeutet, sich nicht gleich von der normativen Kraft des angeblich Faktischen festnageln zu lassen. Durch Spekulation “schauen wir in einen Spiegel und sehen rätselhafte Umrisse”. Nur wenn es gelingt, sich aus der unmittelbaren Erfahrung, den schon eingesammelten Daten, zu erheben und davon abgehoben nachzudenken, kann es zu Paradigmenwechseln kommen.

“Kein Unterschied soll sein zwisschen dem Totemtier, den Träumen des Geistersehers und der absoluten Idee. Auf dem Weg zur neuzeitlichen Wissenschaft leisten die Menschen auf Sinn Verzicht. Sie ersetzen den Begriff durch die Formel, Ursache durch Regel und Wahrscheinlichkeit.” twa (dda)

Indem wir in den Naturwissenschaften eine Theoriediskussion ablehnen, wenn sie außerhalb der Wissenschaft selbst steht, wird aber Wissenschaft zur Dogmatik. Ich will ja gar nicht so weit gehen, wie Adorno seinerzeit, und der Wissenschaft vorwerfen, sie sei in Wahrheit der Mythos im neuen Gewand. Indem Metaphysik, Spekulation, durch Glauben begründete Ethik mit Esoterik und Götzenglaube verächtlich auf eine Stufe der Irrationalität den Wissenschaften gegenübergesetzt werden, vergibt die Wissenschaft sich die Chance zur Reflektion über sich selbst, zur kritischen Distanz.
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Allerdings tut sich einiges im Bezug auf die beiden Kulturen. Auf Plattformen wie Wikipedia treffen Vertreter beider Lager häufig zusammen und müssen einen Konsens führen, wenn es nicht zum endlosen Edit-War kommen soll. Die Argumente liegen nachvollziehbar auf der Diskussionsseite dokumentiert. Es gibt eine ansehnliche Zahl bloggender Natur- und Geisteswissenschaftler. In den Kommentaren können die Positionen in einer Weise transparent verhandelt werden, wie es in der Vergangenheit nie möglich war. Meinungen, die man nicht teilt, kann man hier kritisieren, kann beitragen und über Links Querverbindungen herstellen. Diese Partizipation an wissenschaftlicher Publizistik war früher ausschließlich den Peer-Reviews vorbehalten.

Das gute an dieser Öffentlichkeit: unverständliche und arkane Terminologie hat schlechte Chancen, die Diskussion zu überstehen; schlechte Zeiten, sich einzuigeln und sein Süppchen vor sich hin zu kochen. Ein offenes System, das schon allein durch die Art der Veröffentlichung – für jedermann zugänglich – einlädt, mitzumachen. Ich glaube, dass sich vielleicht so die “dritte Kultur” entwickeln wird, wie es Snow 1959 gehofft hatte.


Die Quadratur des Kreises: tritt man einen Schritt heraus, aus dem flachen Ring der Brüche, in den erhabenen Körper der Reellen Zahlen (was für eine Metapher!), so ist der Umfang schnell zum Radius ins Verhältnis gesetzt.