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Langsame Weihnachten

Da liegt es, das Kindle, auf Heu und auf Stroh
Weihnachtslied, frühes 21. Jh

In der Generation meiner Großeltern und Eltern waren es Pfeffernüß, Äpfelchen, Mandeln, Korinth, die sich artige Kinder zum Weihnachtsfest wünschen konnten. Heute gehören iPad, iPod, DS und PS3 zu den wichtigsten Posten auf den Wunschzetteln der digitalen Eingeborenen zwischen 6 und 12. So wird dieses Jahr der Weihnachtsbaum nicht nur von den brennenden Lichtern, sondern auch von dem kühlen Licht der Bildschirme festlich glänzen. Welche Alternativen hat man? Was schenkt man, wenn man sich den Slow-Media-Ideen verpflichtet fühlt? Welche Geschenke eignen sich dafür, den Blick zu lenken auf die “kleine Zeitlücke, in der sich die Menschen auf Erden einrichten müssen”, wie Harald Weinrich das formuliert?

Eines der wichtigsten Objekte, die eigentlich jeder in seinem Zuhause haben sollte, ist ein ordentlicher Ofen. Wer viel Platz und Zeit hat, findet in den Kleinanzeigen mit etwas Glück in Einzelteile zerlegte herrschaftliche Kachelöfen. Wer weniger von beidem hat, kann sich zum Beispiel bei Attika einen schlanken Kaminofen kaufen, der in ein bis zwei Stunden fertig montiert ist und auch in nicht ganz so herrschaftliche Zimmergrößen passt. Die Folgekosten sollte man nicht unterschätzen, denn das Ofenfeuer möchte man natürlich von einem passenden Sitzplatz aus genießen, so dass früher oder später garantiert je nach Rustikalität auch eine Ofenbank bzw. ein paar hochlehnige Sessel dazu kommen. Nicht vergessen darf man auch die Feuerböcke und den ein oder anderen Blasebalg. Wer auf einen gemauerten Ofen verzichtet, kommt hier natürlich etwas günstiger weg. Aber wenigstens sollte man dann die Cheminées à la moderne von Jean la Pautre aus dem Jahr 1661 auf dem Beistelltisch liegen haben, um sich wenigstens bewusst zu sein, was man verpasst.

Das Thema Nachhaltigkeit hat man mit dem Kamin schon einmal abgehakt. Auch ein paar weitere Forderungen des Slow-Media-Manifests erfüllt man im Handumdrehen, so zum Beispiel die Kommunikation. Wo lässt sich besser über das knappe Leben disputieren als vor einem munter flackernden Feuer. Die Asche ist sozusagen direkt in greifbarer Nähe. Aber auch in einem anderen Sinne agiert man hier nachhaltig, nämlich in der der Wahl des Heizstoffes. Die Wärme kommt nicht aus einer russischen Pipeline, mit der man womöglich noch Berlusconis barocke Orgien mit finanziert, sondern aus heimischen Wäldern – und das gleich auch noch CO2-neutral. Die Qual der Wahl betrifft natürlich die Frage: selbst gehackt oder fremd gehäckselt? Ich halte es so: Wenn sich Besuch ankündigt, der sein Leben normalerweise in Ohrensesseln verbringt, schmeiße ich mich in Lederhose und Loden, greife zur Axt und empfange die Gäste Holzscheit-spaltend vor der Gartenhütte. Der passende Lesetipp ist hier natürlich Thomas Bernhards Holzfällen. Wem das zu übertrieben ist, kann sich das Brennmaterial auch liefern lassen, zum Beispiel aus Wunsiedel, die Tonne Fichten-, Eichen- oder Buchenbrickets zur Zeit um die 200 EUR. Das reicht für einen Winter.

Feuer wirkt am besten, wenn es sich in einem edlen Metall spiegeln kann. Daher sollte man sich das Weihnachtsfest zum Beispiel mit einer Investition in Tafelsilber versüßen. Was ist schöner als das Gefühl, die Bank-Runs und Eurokrisen links liegen lassen zu können und sich von einem wertbeständigen im Atelier der Heilbronner Firma Bruckmann 1925 entworfenen Sahnelöffel die Sahne in den Tee fließen zu lassen, so dass eine herrliche Sahnewolke in der Tasse erblüht. Auch wenn man es vorzieht, den Tee ohne Sahne zu trinken, ist das eine lohnenswerte Investition, vielleicht kündigt sich einmal Besuch aus England oder Ostfriesland an oder aber man “nutzt” das Silber allein des feuerumflackerten Glanzes wegen. Zum Heilbronner Silber gibt es übrigens einen ganz großartigen Katalog der städtischen Museen, den man immer mal wieder antiquarisch erwerben kann.

Was fehlt? Die Musik. Weihnachten ohne Zithermusik ist kein Weihnachten. Wer noch keine Zither spielt, sollte unbedingt das nahende Weihnachtsfest zur Gelegenheit nehmen, dieses Instrument zu lernen. Für mich gibt es nichts, das mehr mit der stillen Zeit verknüpft ist, als der Klang von 35 Saiten in Münchener Stimmung. Wer keine Zither auf dem Dachboden liegen hat – zumindest in Bayern kenne ich niemanden, für den das nicht zutrifft – kann sich auf eBay problemlos ein schönes Instrument zulegen, zum Beispiel eine Zither von Joh. Hornsteiner aus Passau, gefertigt zwischen 1903 und 1925. Allein das meditative Stimmen der vielen Saiten lohnt die Investition in dieses Gerät. Darüber hinaus bin ich sicher, dass die Fingerkoordination des Zitherspiels für die geistige Leistungsfähigkeit eine lebensverlängernde Übung ist. Wer regelmäßig Zither spielt, braucht keine Sudokus mehr. Ich glaube, ich ersteigere gleich noch ein paar Zithern und spende sie den Altenheimen meiner Gegend.

Dazu passt als Lektüre neben den unverzichtbaren Noten – ich habe das Spielen mit der Theoretisch-practischen Zitherschule von Friedrich Gutmann, gekauft in der Königlich-Bayerischen Hofmusikalienhandlung in der Weinstraße 4, gelernt – auch Carl Amerys Untergang der Stadt Passau. Dort kommen zwar keine Zithern vor, aber Passau ist in diesem großartigen Roman schließlich auch schon untergegangen.

Was fehlt? Nach dem glanzvollen und klingenden Festmahl bleibt die Aufgabe, das gute Porzellan und das Tafelsilber wieder auf Vordermann zu bringen. Dafür benötigt man selbstverständlich das geeignete Werkzeug. Die Silberpolitur von Hagerty bekommt man in jedem Drogeriemarkt, die zuverlässigen Quellen für Messertücher, mit dem man die Klingen abtrocknet, sind schon lange versiegt. Hier muss man hoffen, dass ab und zu eine Kollektion dieser unentbehrlichen Textilien den Weg in die Onlineauktionsplattformen findet oder sich selbst auf die Flohmärkte machen.

Aber das wäre fast schon ein guter Vorsatz für das neue Jahr: Für jedes Küchenutensil das passende Tuch.

Weiterlesen:
Slow-Media Weihnachtsgeschenke von jbenno (Teil II)
Let it Slow: Weihnachtsempfehlungen, Teil III

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Schrott-Nachtrag

DEN Schrott, Herr Ringier, / gibt’s nur auf Papier.

Wenn Print sich in Echtzeit versucht: Bericht über eine Show, die nicht stattgefunden hat.

(Dank an Dietmar Näher/Politblogger für das Foto)


Originalbeitrag
zum Thema

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Instagram – die digitale Avantgarde entdeckt den Shabby chic

Digital Photography Never Looked So Analog
Claim der iPhone-App Hipstamatic

Ich habe in den 1980er Jahren hin und wieder mit einer Kleinbildkamera fotografiert. Die Bilder die ich damals aufgenommen hatte, waren nichts besonderes, sondern Häuser, Straßenzüge, Bäume, Menschen und so weiter. Wenn man sich diese Bilder heute ansieht, wird sofort klar, dass dies Bilder aus der Vergangenheit sind. Auf den Bildern sieht man Autos der 1980er, Mode der 1980er und zahlreiche Häuser, die mittlerweile schon längst abgerissen wurden.

Das Postamt Forchheim in 1930er-Jahre-Farben aufgenommen. Mit Instagram braucht man dafür nur das passende Wetter und ein paar Klicks.
Das Postamt Forchheim in 1930er-Jahre-Farben aufgenommen. Mit Instagram braucht man dafür nur das passende Wetter und ein paar Klicks.

Aber nicht nur die Bildinhalte erinnern an die Vergangenheit, sondern auch die Farben, Texturen und Formate. Viele Fotos sind mittlerweile etwas ausgeblichen, und Bildformate wie das nahezu quadratische Polaroid-Bild sieht man heute auch nicht mehr so häufig. Kurz: Man erkennt die Zeit, die seit den Bildern meiner Kindheit und Jugend vergangen ist, sowohl an den Inhalten als auch an den Oberflächen ihrer Bilder.

Wahrscheinlich ist das auch die Faszination von Anwendungen wie Hipstamatic oder Instagram – die Möglichkeit, hier auf die eigenen Handyfotos eine falsche Patina aufzutragen, durch die diese Bilder dann so wirken, als ob sie in den 1960ern, 1970ern oder 1980ern fotografiert wurden. Es ist tatsächlich ein seltsames Gefühl, auf einmal per Facebook und Twitter mit lauter Shabby-chic-Fotos aus dem Leben meiner Freunde und Bekannten überschüttet zu werden, die so aussehen als würden sie in einer Parallelwelt leben (manche geben sich besondere Mühe und verwenden z.B. für die Fotografie eines Ford Granada den passenden Zeitfilter).

Ein Bahngebäude in der Nähe von Erlangen, nicht in den 1970er Jahren fotografiert, sondern 2010.

Hier entsteht en passant ein digitales Niemandsland, eine im wahrsten Sinne nostalgisch eingefärbte Utopie. Denn diese Welt hat es nie gegeben. Meine Jugend war genauso wenig verblichen oder knallbunt wie der Alltag meiner Großeltern schwarz-weiß. Hier lässt sich der Gedanke der Atemporalität noch eine Windung weiterdrehen: Nicht nur die Allgegenwart des Vergangen, sondern zugleich auch die wohlfeile Simulation einer Vergangenheit, die in Wirklichkeit nie stattgefunden hat, sich aber “einfach nur gut anfühlt”.

Dieser Wohlfühlkonservativismus, so meine Vermutung, kommt gerade in der digitalen Avantgarde besonders gut an. Ein bisschen erinnern mich diese visuell von Nostalgie triefenden Medienproduktionen immer an die Straßennamen der in Bayern überall anzutreffenden Vertriebenensiedlungen, die, wenn schon ihre alte Welt nicht mehr existiert, wenigstens die Möglichkeit bieten, auf dem Stadtplan noch in der Vergangenheit zu leben. Sind Apps wie Instagram die Graslitzer Straße oder der Egerlandplatz der heute 30-40-jährigen digitalen Immigranten?

Spätestens seit der ikonischen Wende ist klar geworden, dass Bilder immer auch eine politische Aussage in sich tragen. Barack Obama hat die Wahl mit einem an Warhol erinnernden Wahlplakat gewonnen. Gerade für neu- wie altkonservative Politiker müsste so etwas wie Instagram doch sehr attraktiv erscheinen: Die Möglichkeit, sich selbst in einer Welt präsentieren, die so aussieht wie die gute alte Zeit, in der Volksparteien noch Volksparteien waren und langhaarige Chaoten noch langhaarige Chaoten.

Kein Bild aus einem verschollenen Nachlass, sondern der Rosenheimer Bahnhof vor ein paar Tagen

Was bedeutet das alles aus unserer Slow-Media-Perspektive? Die Simulation von Slow ist noch längst nicht Slow. Ansonsten kann man nur die Empfehlung aussprechen, die heutigen Handyfotos doch einfach in fünf Jahren noch einmal anzusehen. Dann werden sie nämlich wie durch Zauberhand ebenfalls altmodisch aussehen. Ob die Erinnerung an das Ende der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts dann einen ebenso wohlig-eskapistischen Geschmack hat, wie die Jugend- und Kinderjahre, ist allerdings zweifelhaft.

***

Lesenswert ist auch die Kurzzusammenfassung dieser Debatte auf SAI: “Instagram backlash begins!

Nachtrag: Jetzt hat sich auch @bosch in seinem Blog der Frage, warum wir die ohnehin schon “unzulänglichen Handyaufnahmen” mit Hilfe von Appes noch weiter verschlechtern müssen.

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Digital literacy oder: wann das Internet uns nicht einsam macht.

Today many young people, stunned by the infinite possibilities offered by computer networks or by other forms of technology, establish methods of communication that do not contribute to their growth in humanity. Rather they risk increasing their sense of loneliness and disorientation. In the face of these phenomena I have spoken on various occasions of an educational emergency, a challenge to which one can and should respond with creative intelligence, committing oneself to promote a humanizing communication which stimulates a critical eye and the capacity to evaluate and discern.
Benedikt XVI. in seiner Ansprache vor dem Päpstlichen Kulturrat am 13.11.2010

Eine der Zahlen, die mich in meiner Zeit in der Fernsehforschung immer erschreckt haben, ist die Verweildauer, das ist die Zeit, die ein Zuschauer im Durchscnhitt täglich fernsieht. Sie lag 2009 bei 309 Minuten täglich und damit neunzig Minuten höher, als vor zwanzig Jahren. Das sind mehr als fünf Stunden passiver Berieselung, jeden Tag.

Für das Internet gibt es keine vergleichbaren Zahlen. Im Oktober verbrachte der Durchschnitts-Nutzer in Deutschland lediglich zweiundzwanzig Stunden im Netz – das klingt wirklich nicht bedrohlich. Die Nutzung verteilit sich – ähnlich wie im Fernsehen – aber keineswegs gleichmäßig. Viele Menschen – und wahrscheinlich die meisten, die diesen Blog lesen – besuchen viele unterschiedliche Seiten und sind in einem oder mehreren Social Networks aktiv. Fast alle Menschgen, mit denen ich täglich zu tun habe, twittern oder sind auf Facebook, oder wenigstens auf Xing.

Dieser Eindruck von Aktivität und Gemeinschaftlichkeit darf uns aber nicht täuschen, dass es unverändert viele Menschen gibt, die das Netz in ganz anderer Weise für sich entdecken. Ich hatte in diesem Jahr zwei Erlebnisse, die mich über das Internet ähnlich nachdenklich stimmen, wie meine TV-Nutzungsforschung einst über das Fernsehen: die internen Zahlen eines Veranstalters von Browser-Games und eine Online-Poker-Plattform. Nutzungsdauer und Nutzungsintensität der Mitglieder auf diesen Seiten stellen alles in den Schatten, was ich bei klassischen Medien je an “Missbrauch” gesehen habe.

Die vielen tausend Menschen, die für diese Entertainment-Angebote die wesentliche wirtschaftliche Basis stellen, haben sich – anders wären die Nutzungszahlen nicht möglich – aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen. Die Kommunikation während der Games bleibt, wenn sie überhaupt stattfindet – abgehackt und anonym. Besonders perfide empfinde ich dabei die Mechanismen, mit denen die Anbieter solcher Games die Nutzer am Ball halten. Um ins nächste Level zu kommen oder eine stärkere Bewaffnung für das Raumschiff zu ergattern, muss man häufig nicht einfach nur erfolgreich im Spiel agieren, sondern schlicht warten, Zeit im Spiel verbringen. Und wenn man sich losreisst, wird man mit dem Verlust des mühsam ergatterten Ranges bedroht.

***

Digital Literacy – Medienkompetenz – bedeutet, sich selbst eine Kultur der “intelligenten Kommunikation” zu schaffen. Das Internet und ganz besonders Social Media bieten dazu Möglichkeiten, wie es sie nie zuvor gegeben hat. Ich bin glücklich darüber, mit wievielen Menschen ich über Social Networks eng verbunden bleiben kann. Auch die Autoren dieses Blogs haben sich schließlich über Twitter kennengelernt. Ähnlich, wie verantwortungsvolle Eltern ihre Kinder nicht unkontrolliert stundenlang fernsehen lassen, ist es auch im Internet wichtig, diese pädagogische Verantwortung zu übernehmen.

Digital Literacy ist vor allem die Fähigkeit zu selbstbestimmtem sozialen Umgang – “menschliche Kommunikation und kreative Intelligenz.”, wie es im Eingangszitat beschrieben ist.

Mehr zum Thema:
“Medienkompetenz – unser Umgang mit den Apparaten”
“Über das Fasten”

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“Alles wird Highway”

(drei Wochen ohne Google)

[Read this post in English]

“Der Bau eines neuen ELECTRONIC SUPER HIGHWAY wird ein noch größeres Unternehmen [als der Bau der Interstate Highways] sein. Stellen Sie sich vor, wir verbinden New York und Los Angeles mit einem leistungsfähigen Breitband-Telekommunikationsnetz, das kontinentale Satelliten, Wellenlängengeneratoren, Bündel von Koaxialkabeln nutzt, und später mit von Glasfaserkabeln übertragenen Laserstrahlen. […] Der Effekt […] wäre weitaus größer [als der des Highway-Baus im New Deal der dreißiger Jahre; Einfügung von mir].”(zitiert nach Wulf Herzogenrath (Hsgb.): “Nam June Paik. Werke 1946-1976”, Köln 1976.)

Auf der Biennale in Venedig zeigte Nam June Paik als Beitrag Deutschlands 1993 den Electronic Superhighway ‘Venice → Ulan Bator’. Paik hatte bereits 1974 in einer Studie der Rockefeller Foundation ein Konzept zu einer Datenautobahn vorgestellt, dass Bill Clinton in seinem Wahlkampf zwanzig Jahre später aufgreifen sollte.

“How many slums will we bulldoze to build the Information Superhighway?” Kivistik said. […] “How many on-ramps will connect the world’s ghettos to the Information Superhighway.?”
Neal Stephenson, Cryptonomicon

Das Internet als Datenautobahn; von Anfang an wurde diese Metapher verächtlich belächelt. Helmut Kohl klingt uns in den Ohren und Al Gore in unerträglicher Selbstgerechtigkeit.

Auch Randy Waterhouse, der Protagonist von Neal Stephensons großartigem Roman Cryptonomicon empört sich darüber, dass ihm der scheinbar komplett von Technologie unbeleckte Soziologe Dr. Kivistik sein schönes Internet madig machen möchte, indem er die Parallele des “Information Superhighway” mit dem Bau von Autobahnen in der Offline-Welt weiterzieht.

“I know that you’re not qualified to have an opinion about technical issues.” blökt Waterhouse hilflos zurück; der Soziologe, dem es, seiner Meinung nach, an technologischen Insights fehlt, kann doch gar keine qualifizierte Meinung zum Internet abgeben!

Das Bild des Highway ist aber wohl gar nicht so unpassend für das Internet – allerdings weniger deshalb, weil über irgendwelche Backbones die Daten ungebremst dahinrasen können. Vielmehr werden beim Bau von Autobahnen ganze Landstriche wegplaniert und ehemals abgelegene Flecken sind auf einmal zu Vororten der Metropolen geworden.

“The American Way of Life: […] Was Amerika zu bieten hat: Komfort, die beste Installation der Welt, ready für use, […] wo sie hinkommen, alles wird Highway, die Welt als Plakatwand zu beiden Seiten […]

legt Max Frisch seinem misanthropen Homo Faber in den Mund. Der Highway als Bild für das Öde, Immergleiche, flankiert von Werbung. Das Einebnen und homogenisieren ehemals vielgestaltiger Regionen: es gibt für diese Analogie zwischen Autobahn und Internet vermutlich viel Sympathie unter den Buchhändlern!

Und während die Regionen, die an den Highway angeschlossen sind, sich zu einer einzigen Peripherie homogenisieren, rückt der Rest des Landes plötzlich fern ab. Menschen ohne Auto verlieren im wahrsten Sinne den Anschluss.

Nicht aktiv online zu sein bedeutet aber keineswegs, dass nicht das Internet in viele Lebensbereiche dennoch eindringt. Vom neuen Personalausweis über die elektronische Steuererklärung, von der Videoüberwachung mit Webcams bis zum Dialogmarketing, Streetview oder Yasni – jeder wird “zwangs-connected” und ein Opt-Out kann überhaupt nur der in Anspruch nehmen, der sich grundsätzlich am Spiel beteiligt und für die meisten dieser Datenbanken wird einem das Verpixeln gar nicht angeboten: In the electric world, there are no remote places.

Der Tendenz zum Niederwalzen, Einebnen, Vereinnahmen einerseits und Marginalisieren andererseits, die der Information Highway mit sich bringt, müssen Rahmenbedingungen entgegengestellt werden, die jedem die gleiche Chance zur aktiven und bewussten Nutzung des Netzes ermöglichen und gleichzeitig Meinungsvielfalt erhalten und durch “Minderheitenschutz” gezielt der Homogenisierung entgegenwirken.

Inzwischen habe ich seit drei Wochen keine Suchmaschine mehr genutzt. Ich bin dabei nicht mehr “dogmatisch” – eine Woche, drei Wochen oder für immer – das ist wohl gleich. Ich bin bis heute an keinen Punkt gekommen, an dem es mir schwer gefallen wäre, mich im Internet oder in der realen Welt ohne Google perfekt zurecht zu finden.

Im System von Google sehe ich den Information Superhighway im Guten wie im Schlechten vervollkommnet. Alles wird erreichbar, alles kann sichtbar und zugänglich werden. Alles wird zur Besten-Liste eingeebnet, die Welt zur Plakatwand um das Zitat von Max Frisch oben aufzugreifen.

Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:

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Digitale Zwangsneurosen

… das Ritual ist ein wirkungsloser oder symbolischer Versuch, diese Gefahr abzuwenden.
ICD 10 – F42

Google StreetView ist jetzt auch in Deutschland gestartet und es fehlen ein paar Hunderttausend Fassaden darin. Auch meine Hausfassade wird nicht zu sehen sein – ich habe vor einiger Zeit von meinem Verpixelungsrecht Gebrauch gemacht – teils zur Vorbereitung auf einen Expertentalk bei AntenneBayern, teils weil ich die Darstellung, wie und wo ich lebe, gerne selbst inszenieren möchte.

Aber ich glaube weder, dass mit dem systematischen Abfotografieren von Häusern unsere Privatsphäre plötzlich aufgelöst wird. Noch bin ich ein Anhänger der Theorie, dass 244.000 fehlende Fassaden zwangsläufig dazu führen werden, dass sich das schöne, bunte Internet auf einmal mit einem leisen Plopp in nichts auflösen wird. Kurz: Ich denke, dass es wichtigere Themen gibt.

Sehr befremdlich finde ich aber einige Reaktionen auf diese deutschen “Pixelbomben“, wie Jeff Jarvis es nennt. Was ist so schlimm daran, wenn eine Plattform wie Google StreetView weiße Flecken bzw. verpixelte Flächen aufweist? Wenn ich eine Erkenntnis aus meiner gut zehnjährigen Zeit als universitärer Soziologe mitgenommen habe, dann die: Wissen ist immer lückenhaft. Und das ist gut so.

Nicht der Mut zur Lücke ist eine Bedrohung für unser Gemeinwesen, sondern der Zwang zur Vollständigkeit. In diesem Punkt liegt Jeff Jarvis völlig falsch. Die “Stasileute und Nazis“, von denen Jeff Jarvis spricht, hätten nicht das Verpixeln klasse gefunden, sondern die vollständige und systematische Abbildung der Welt. Ganz abgesehen davon, dass sie wahrscheinlich Twitter und Facebook für viel spannender und ergiebiger gehalten hätten.

Woher kommt dieser seltsame Drang zur Vollständigkeit und Eindeutigkeit (eine verpixelte Fassade ist schließlich nicht einfach ausgeblendet, sondern mehrdeutig)? Gerade die letzten Social-Media-Jahre haben doch deutlich gezeigt, dass hier lauter neue Biotope und Communities entstehen, die eben nicht so sauber und ordentlich organisiert sind wie das Organigramm einer Bundesbehörde. Wissensbestände sind entstanden, die nicht einer eindeutigen und vollständigen Klassifikation à la Dewey entsprechen, sondern aus lose miteinander verknüpften Informationsknäueln bestehen.

Projekte wie Wikipedia oder Openstreetmap sind gerade nicht von oben nach unten am Reißbrett geplant, sondern entstehen en passant, zum Teil im Gebrauch der Menschen (der Soziologe in mir hätte jetzt beinahe das schön bürokratisch klingende “Handlungsvollzug” geschrieben). Openstreetmap zum Beispiel ist um meinen Wohnort herum sehr dicht mit Informationen. Im Nachbarort dagegen fehlt noch vieles. Ist das ein Problem?

Wahrscheinlich sind die Anzeichen der digitalen Zwangsneurose auch nur eine verständliche Reaktion auf die noch einmal gesteigerte Unübersichtlichkeit der “Ganz Neuen Medien”. Hier gibt es Rundfunk ohne Sendeplan, Publikationen ohne Herausgeber, Inhalte ohne Autoren – Social Media ist eine Welt der Antipoden und Fabelwesen. Und trotzdem von Tag zu Tag realer für uns alle. Die Reaktion, diesen chaotischen Urwald in ein ordentliches Blumenbeet zu verwandeln, ist verständlich – wir alle haben unseren Zygmunt Bauman gelesen. Aber dass dieser Drang nicht von einem Gärtnerstaat ausgeht, sondern den Hobbygärtnern selbst, das ist beunruhigend.

Was kommt als nächstes? Entdeckt vielleicht einer der Internetaktivisten, dass die Datensätze der großen Adresshändler in Deutschland auch noch Lücken haben? Wird es dann eine Task-Force geben, die dafür sorgt, dass auch wirklich jeder Bürger in den Direktmarketing-Datenbanken erfasst ist?

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Über Glaubwürdigkeit, Schreiben und Handeln

Ich habe neulich über Twitter einen Hinweis auf einen Artikel der Financial Times Deutschland bekommen: Bernd Oswald schreibt dort über den “PR-Journalismus im digitalen Zeitalter”. In dem Beitrag wird der Eindruck vermittelt, dass das Medium Internet zu einer unseligen Verflechtung von PR und Journalismus geführt habe, von Unternehmensinteressen und öffentlicher Berichterstattung. Diese Aussage kann ich so nicht gelten lassen. Im Gegenteil handelt es sich bei der Vermischung von PR und Journalismus um eine ungebrochene Tradition, die mit dem Erscheinen der Online-Medien am Publikationshorizont nichts zu tun hat. Zu Beginn der 90er Jahre war es jedenfalls Gang und Gäbe und keinesfalls unüblich, dem Publikationswunsch eines Pressetextes bei der Redaktion mit dem Hinweis auf die Anzeigenabteilung Nachdruck zu verleihen. Vom Internet war damals noch weit und breit nichts zu sehen. Die Personalausstattung der Redaktionen war schon zu dieser Zeit so ausgelegt, dass ein gewisser Prozentsatz an externen, aus der PR stammenden Beiträgen durchaus einkalkuliert war. Man könnte meinen, dass sich dieses Problem nun erledigt habe (keine Anzeigenkunden, keine Interessenskonflikte), aber so ist es – noch – nicht.

Als Beispiel für die Interessensvermischung durch das Digitale führt der Beitrag Richard Gutjahrs Berichterstattung von der iPad-Premiere an: “PR-Journalismus reinsten Wassers” (diese Formulierung stammt nicht von Oswald selbst, sondern von Thomas Leif, dem Vorsitzenden des Netzwerks Recherche). Und hierin besteht meiner Meinung nach ein Missverständnis. Die Frage lautet: Ist es – und unter welchen Umständen – journalistisch legitim, positive Berichte über Unternehmen und ihre Produkte zu machen? Wann ist es glaubwürdig, wann ist es ein Interessenskonflikt? Wie subjektiv darf ein Journalist sein? Ist es “Selbstvermarktung, Aushöhlung journalistischer Standards und […] reine Werbung”, wenn ein Jounalist sich 24 Stunden lang in New York in die iPad-Warteschlage einreiht und von dort aus live per Twitter, Blog und Printbeiträgen berichtet? Die Fragen sind interessant und führen zu Haltungs-Unterschieden im Print- und Online-Journalismus.

Darf ich mich zum Beispiel als Autorin des Wirtschaftsmagazins brand eins noch positiv über sie äußern? Ist es ein Interessenskonflikt, wenn wir als Slow Media Autoren die brand eins als Prototyp erfolgreicher Slow Media darstellen? Darf ich das? Meine Antwort hierauf lautet: Ja. Weil ich selbst weiß, wie die Reihenfolge ist: Meine Haltung zu brand eins war schon vorher da, nur deshalb bin ich überhaupt dort Autorin geworden. Wenn ich sie nicht für ein beeindruckendes Qualitätsmedium gehalten hätte, hätte ich ihr nicht als erstem Publikatinsmedium meinen Twitter-Beitrag angeboten. Ergo wäre ich nicht brandeins-Autorin geworden. Ich handle und schreibe nach meiner (vielleicht fehlbaren aber) wirklichen Überzeugung.

Eine ähnliche Haltung unterstelle ich auch bei Richard Gutjahr, wenn er zur iPad-Premiere nach New York reist. War er schon vorher überzeugter, erklärter und offener Apple-Addict? Ja (zumindest nach dem Eindruck, den ich von ihm über längere Zeit über Twitter und seinen Blog gewonnen habe). Ist es unglaubwürdig, wenn er dann nach New York fährt und davon berichtet? Eher nein. Macht es ihn käuflich? Möglicherweise, vielleicht auch nicht. Die Handlung wäre jedenfalls nicht mit einem beliebigen anderen Event, dem Launch eines xy-Produktes austauschbar.

Wie also definieren wir Glaubwürdigkeit? Ich denke, Glaubwürdigkeit ist da, wenn Stimmigkeit zu dem sonstigen Handeln und Schreiben besteht. Das setzt zwei Dinge voraus: Der Mensch und seine Haltung müssen hinter der Reportage, den Zeilen, dem Podcast sichtbar werden (dies ist übrigens These 14 unseres Slow Media Manifestes). Und die Leser müssen mehrere Beiträge desselben Autors gelesen haben, um ihn überhaupt einschätzen zu können. Das verlangt eine Bindung zwischen Lesern und Schreibenden, die ich dem Journalismus in Zukunft wünsche, ob nun print oder online.

Neulich habe ich einen Anruf im Auftrag einer namhaften überregionalen Print-Tageszeitung aus großem Verlagshaus erhalten. Es ging um ein “Themenspecial”, in dem wir mit unserer Agentur eine Anzeige schalten sollten. Neben dem Anzeigenplatz wird unverhohlen der redaktionelle Teil der Qualitätszeitung mitverkauft:  “1/3 Seite neutraler Fachbeitrag in dieser Ausgabe, der aus Ihren Themenvorschlägen von unserem Autor für Sie erstellt wird”, so lautet es im Angebot. Ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass das Realität ist. Trotzdem irriert es mich, dass mein Gesprächspartner nicht einmal merkte, wie absurd es ist, Geld zu zahlen, um sich dann im redaktionellen Teil als Expertin für authentische Kommunikation zu präsentieren.  Ich habe Mitleid mit den Autoren, die diese Texte schreiben und am Ausverkauf des Journalismus mitwirken müssen. Natürlich spürt man in solchen Texten nicht mehr den Menschen, der sie schreibt. “Entfremdung” ist das Wort, das mir dazu einfällt als jemand, der selber schreibt. Es geht nur noch um die Schaffung anzeigenfreundlicher redaktionellen Umfelder. Ob es um das Thema “Knochen und Gelenke”, “Versicherungen” oder “Kommunikation der Zukunft” geht, ist völlig egal. Der journalistische Text (für den ich noch immer mütterliche Gefühle hege) wird hier zur völlig austauschbaren Ware.

“Selbstvermarktung, Aushöhlung journalistischer Standards” – hier sehe ich sie tatsächlich. Die Zukunft des Journalismus kann so etwas nicht sein. Das rettet einen Verlag höchstens über die nächsten Jahre. Vielleicht wäre es jetzt die Aufgabe für den Journalismus, sich zwischen den Polen der Entfremdung und der Subjektivität einen neuen Ort zu suchen.

Nachtrag (10. November 2010):

Gerade sehe ich ein sehr interessantes Interview mit Chris Anderson, dem Chefredakteur der Wired (über die wir hier bereits berichtet haben).

Er stellt folgendes fest (und das schließt hervorragend an die obigen Ausführungen über Redaktions/Anzeigen-Interessensverquickung an):  Im 20. Jahrhundert haben die Zeitschriften/Zeitungsverlage die Frage “Who is my customer?” de facto mit: “the advertiser” beantwortet (bzw. beantworten müssen). Da stellt Anderson nun einen Wandel fest: Die Finanzierung läuft inzwischen zu gleichen Teilen über Anzeigenkunden und Leserschaft. Dadurch rückt der Leser plötzlich in den Fokus: “Going forward if my customer becomes my reader I am going to do the right thing for the reader – because it improves my profit.” Dass Publikatinsmedien ihre Leser zukünftig als ihre Kunden betrachten könnten, das finde ich eine ganz wunderbare Aussicht. “It’s the most exciting time in media ever.” Und auch hier muss ich ihm zustimmen.

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Eine Woche ohne Google.

Heute ist Streetview in Deutschland gestartet. Und ich habe jetzt genau eine Woche weder Google Search noch Google Maps oder Streetview noch sonst eine Suchmaschine genutzt. Eine Woche ohne Google oder einen Monat – ich denke, es macht keinen Unterschied: geht es eine Woche, geht es immer.

Es war,zum ersten, viel leichter, als ich dachte: das meiste, was ich suche, findet ich – ohne Spam – auf Wikipedia. Was dann noch fehlt, bekommeich über die Blogs und Websites, die ich lese und wenn mir wirklich etwas fehlt, hilft die #Followerpower auf Twitter – irgendjemand weiß immer Rat.

Zweitens – und das finde ich wirklich bemerkenswert: das Internet wirkt plötzlich nicht mehr wie eine Wüste; ich habe nicht mehr das Gefühl, dass unter 1000 Seiten, die mir angeboten werden höchsten eine ist, die mich wirklich interessiert. Ich bin seit einer Woche wirklich nicht auf eine einzige Seite getroffen, bei der es sich nicht gelohnt hat, zu verweilen. Keine Honey-Pots, Seiten, die uns zu sich über suchmaschinen-optimierte Versprechen zu sich ziehen, wie der süße Duft des Honigs die Bienen anlockt; keine der meist lieblosen und fast immer wertlosen Portalangebote, die jede Suche dutzendweise nach oben spühlt; diese Seiten tauchen nämlich weder auf Wikipedia noch in meiner Timeline jemals auf.

Im Internet surfen – das war das Bild, dass in der Zeit vor Google unser Gefühl beschrieben hat, im Internet von einer Welle zur nächsten zu gleiten. Dieses Gefühl kann man immer noch haben – man muss nur aufhören, zu suchen.

Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:
Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”: