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Das Porzellan der Oma

Ich ähnelte dem Porzellan, in das ich mit einer Farbenwolke Einzug hielt.
Walter Benjamin

Langsame Medien, so haben wir Anfang des Jahres in unserem Manifest und danach auf zahlreichen Vorträgen immer wieder betont, erzählen eine Geschichte. Oft sind es gleich mehrere Geschichten, die sie uns erzählen, wenn wir nur aufmerksam genug zuhören. Den Begriff Medien darf man dabei nicht zu eng sehen. Es geht nicht nur um Zeitschriften, Bücher oder Internetseiten. Nein, wir bevorzugen einen breiten Medienbegriff, der alles einschließt, was dazu in der Lage ist, Informationen zu übermitteln.

Diese Kiste zum Beispiel erzählt eine solche Geschichte. Die Großmutter, vielleicht väterlicherseits, vielleicht mütterlicherseits, lag lange Zeit darnieder und ist schließlich entschlafen. Einige Dinge hat man für den eigenen Haushalt in einem der wohlhabenderen Münchener Vororte vielleicht brauchen können, die anderen Sachen hat man auf dem Bauhof entsorgt. In mehreren Fuhren, denn in den Kofferraum des 5er BMW passt nicht so viel hinein. Dann war da noch das Geschirr.

Einerseits passt es eigentlich überhaupt nicht in die reduzierte Inneneinrichtung – “so Zen-like wie es mit Kindern halt möglich ist” – andererseits hat die Oma wirklich an den Tellern gehangen. Das erste Kaffeegeschirr hatte sie sich damals Ende der 1950er gekauft als die von Löffelhardt entworfene schlanke Form 2025 noch richtig gewagt wirkte.

Fast schon etwas unvernünftig, sich das einfach so zu leisten. Aber irgendwie ist es ihr ans Herz gewachsen, so dass sie immer wieder nachgekauft hat. Es war längst nicht mehr ein Porzellan, sondern ihr Porzellan.

Während sie immer wieder die kaputtgegangenen Stücke durch neue ersetzte, wurde das alte Arzberg-Werk, das mittlerweile der Firma Kahla gehörte, modernisiert. Dann kam in den 1960ern die erste Porzellankrise. Die Leute fingen an, Steingut zu kaufen und wussten den ästhetischen Wert der zarten Porzellanwände, durch die Kaffe und sogar Tee milchig hindurchschimmerten, nicht mehr zu schätzen.

Auch die radikale Modernisierung des Arzberger Corporate Design brachte nicht mehr als einen Aufschub der Krise. Zeitgleich mit der Ölkrise rollte bereits die zweite Porzellankrise heran und die Zeichen standen auf Marktbereinigung. Die Kahla AG ging mit den Hutschenreuthers zusammen und die Arzberg war auf einmal nur noch eine Marke der Hutschenreuther-Gruppe.

Das hielt die Oma nicht davon ab, weiterhin das 2025er nachzukaufen, auch wenn die langgezogenen Griffe an Teekanne, Kaffeekanne und Terrinen im Laufe der Zeit längst nicht mehr so avantgardistisch wirkten wie damals Ende der 1950er. Nachdem die Hysterie verflogen war, blieb jedoch die zeitlose gute Form des Porzellans. Die Oma war inzwischen weit mehr gealtert und wurde zum Pflegefall. Das Porzellan hat sie schließlich überlebt. Auch wenn der Goldrand an einigen Stellen etwas abgewetzt ist und ein, zwei der insgesamt 30 Teller schon eine Macke hatten, war es immer noch so gut in Schuss, dass es sich lohnen könnte, es nicht wegzuschmeißen, sondern per Kleinanzeige für den Wert eines ordentlichen Essens in einem Fastfood-Restaurant loszuwerden. Vielleicht sucht jemand noch Geschirr für den Polterabend.

An so einer Geschichte kann man doch einfach nicht vorübergehen, oder? Auch wenn es bedeutet, dass ich jetzt im Küchenschrank Platz schaffen muss für ein weiteres Porzellan aus Arzberg.

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Das große Fressen auf dem Lande

Quanto sarà beatissimo lo starsi in villa: felicità non conosciuta.
Leon Battista Alberti, I Libri della Familglia

Die Kroaten, die lassen sich wirklich nicht anschauen, wenn es ums Essen geht. Man merkt auch auf einem 10tägigen Kurzbesuch mit intensiven Wirtshauserkundungen, dass es gegen den persönlichen Stolz der Wirtsleute zu gehen scheint, wenn der Grill einmal ausgehen sollte, bevor nicht jeder Gast mindestens drei unterschiedliche Fleischsorten verzehrt hat. Manche mögen es Völlerei nennen – für mich fängt Erholung mit dem Magen an.

Vor der Fahrt habe ich mir eine Essliste geschrieben, die ich hier gerne veröffentlichen möchte. Schließlich gehört es mittlerweile fast schon zum guten Ton, seinen Konsum zu veröffentlichen, sei es um anderen das Wasser im Munde zusammenlaufen zu lassen, sei es um diesen ganzen riesenhaften, algorithmischen Datenkraken zuvorzukommen, die eigenen Neigungen schlicht zu kalkulieren.

Meine Planung für den Istrien-Urlaub sah ungefähr so aus:

  • Frische Fuži oder Gnocchi mit Wildragout
  • Filet oder Steak vom Istrischen Ochsen (Boškarin)
  • Unter der Tonhaube pod pekom gegartes Fleisch
  • Trüffel mit frischer Pasta (etwas vegetarisches muss auch hin und wieder sein)
  • Trüffel mit Rinderfilet
  • Trüffel mit Rührei
  • Pršut (istrischer Schinken)
  • Kiloweise Scampi – zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen

Auf den ersten Blick ziemlich viel, aber in 10 Tagen bei einer strategisch günstigen Wahl des Ausgangspunktes mit zahlreichen Bauernhöfen und Konobas (der kroatischen Version des bäuerlichen Wirtshauses) durchaus zu schaffen.

Die am weitesten gereisten Lebensmittel kamen aus dem 80 Kilometer entfernten Pula, alles andere aus den benachbarten Dörfern, Wäldern und Weiden. In Nordwestistrien ist local food kein Problem. Dagegen wäre hier, an der Grenze zwischen der Münchener Schotterebene und dem Voralpenland, eine 50 Meilendiät eine vergleichsweise triste Angelegenheit. So richtig wohlschmeckend ist das Leben eigentlich nur in Regionen, in denen es Olivenbäume, Wein und Trüffel gibt. Raps, Bier und Kartoffel sind kein wirklich befriedigender Ersatz.

Wobei: Auch in München hat es dereinst Weinbau gegeben – noch im 19. Jahrhundert kannte man den Haidhauser Rachenputzer oder den Harlachinger Kindsmörder. Die Weinstadt München bekam aber längst nicht so viel Lob wie die Bierstadt. So urteilte Wiguläus von Kreittmayr: “O glückliches Land, wo der Essig, welcher anderswo mit großer Mühe bereitet werden muß, ganz von selbst wächst.”

Ein paar Kilometer südlich, zwischen Umag und Novigrad liegt die winzige Gemeinde Sveti Pelegrin, die im Wesentlichen aus einer dem Hl Pelegrin geweihten Kirche aus dem 15. Jahrhundert sowie etwa fünf Straßen mit schlichten bis protzigen Sommervillen besteht. Vor 1700 Jahren soll hier der Heilige direkt am Meer seinen Märtyrertod gefunden haben.

Die Literatur schweigt sich über diesen Lokalheiligen, der am 23. Mai verehrt wird, leider aus. Überhaupt ist die Lage bei den vielen heiligen Peregrini etwas unübersichtlich. Die Bezeichnung “fremd” und “zugewandert” passt einfach auf zu viele geistliche Einsiedler. Das Stadlersche Heiligenlexikon kennt über 30 Heilige mit diesem Namen. Der Umager ist nicht darunter.

Heute sieht man an den Autos vor den Häusern den Wohlstand dieses Ortes: SUVs (vor den eher protzigeren Villen) und Oberklassewagen (vor den eher schlichten Villen) ausschließlich mit slowenische Kennzeichen. Wenn man früh morgens durch die Straßen geht, sieht man dieselben Männer, die am Abend zuvor noch bis in die Nacht hinein mit der Familie am gemauerten Grill gesessen ist, in Anzug und Krawatte in ihr Auto hüpfen und nach Ljubljana fahren.

Bei Walter Benjamin blickt der Engel der Geschichte erschrocken in die Vergangenheit und hangelt sich so von Katastrophe zu Katastrophe, von Trümmerhaufen zu Trümmerhaufen. Der istrische Engel der Geschichte scheint dagegen einen eher entspannten Blick auf die Welt zu werfen. Er sieht nicht erschrocken in die Vergangenheit, sondern satt und freundlich, mit ein paar Trüffelkrümeln vom letzten Abend auf den Lippen.

Er blickt auf die Kontinuität zwischen dem römischen Leben in den villae rusticae und den heutigen Sommerhäusern der slowenischen Oberschicht (oder ist es die kroatische Oberschicht, die in Slowenien zugelassene Wagen fährt?)

Im 15. und 16. Jahrhundert entwickelte sich auf der anderen Seite der Adria, in Italien, eine eigene literarische Gattung der Villenliteratur, in denen die innige Verbindung von vita rustica und vita comtemplativa gelobt wurde. Diese Werke waren eine heute eigenartig anmutende Mischung aus philosophischen Betrachtungen und praktischen landwirtschaftlichen Anweisungen. Dabei wird die Landwirtschaft, die santa e pia rusticità sogar als höchste der Künste verehrt, weil sie zum einen die Erzeugnisse für das gesellige Zusammenleben, das gemeinsame Mahl liefert und zum anderen niemandem schadet (sogar den Gedanken der Nachhaltigkeit spürt man hier zwischen den Zeilen immer wieder).

Vor allem wendet sich die Villenliteratur gegen den Handel, der zuvor neben der Landwirtschaft als zweites Standbein der Privatwirtschaft gelobt wurde, als viel zu risikoreich und städtisch. Müßiggang und Schmach, aber auch Risikofreude und Schulden erkennt man direkt am Zustand der Villa rustica: Wo zuvor Weinstöcke und Obstbäume wuchsen, sind nur noch Gebüsch und Dornen: “Perche si come l’otio impoverisse: cosi per l’opposito, l’essercitio in villa inricchisse.” Ich glaube, wir sollten uns diese Literaturgattung in der nächsten Zeit noch einmal ganz genau ansehen.

Literaturtipp: Der hinreißend sperrig übersetzte “Gourmet Führer Nordwest Istriens“, der zum “Umlautschutz” aufruft und mit Formulierungen wie “Dieses Fleisch ist naturell produziert und es stellt ein Ergebnis der Bauern und seine Muehe dar; jetzt wird dieses auch gastronomisch valorisiert” entzückt. Die Empfehlungen sind aber sicherer als die Fremdsprachenbeherrschung. Ebenfalls sehenswert ist die offizielle istrische Gourmet-Webseite, auf der es sogar eine kulinarische Hotline gibt.

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Feeding America

“A life, the major part of which is spent in sweeping, that the dust may re-settle; in washing, that clothes may he again worn and soiled; in cooking, that the food prepared may be consumed; in cleansing plates and dishes, to put back upon the table that they may return, in grease and stickiness, to the hardly-dried pan and towel, does seem to the superficial spectator, ignoble even for the wife of a struggling mechanic or ill-paid clerk.”
Hauswirtschaft scheint dem oberflächlichen Betrachter als niedrig und unwert: die täglich mehrmalige Wiederkehr des immer Gleichen.
Aber die ungeheuer produktive Marion Harland wird uns in wortreicher Plauderei vorführen, welche Freuden und wieviel Abwechslung in der Zubereitung von “Breakfast, Luncheon and Tea” zu finden sind.

1796 erscheint mit Amelia Simmons “American Cookery” das erste genuin amerikanische Kochbuch. Darin findet sich das älteste bekannte Rezept für Truthahn – dem “schönsten Geschenk, dass die neuen Welt der alten gemacht hat” wie Brillat-Saverin und den “welschen Vogel” lobt; und überhaupt kann man bereits die Eigenheiten der amerikanischen Küche erkennen, angelehnt, an europäische Speisen, abgewandelt um die autochtonen amerikanischen Lebensmittel, und unter Einbeziehung indianischer und creolischer Einflüsse.

Feeding America: The Historic American Cookbook Project ist eine Auswahl von 76 aus mehr als 3000 Kochbüchern der Bibliothek der Michigan State University. Sauber eingescannt und transkribiert, finden sich dort gastrosophische und bibliophile Schätze der amerikanischen Küche seit der amerikanischen Unabhängigkeit bis in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Seite für Seite kann man wundervoll Illustriert Werke wie “The Grocer’s Encyclopedia von Artemas Ward” durchblättern oder sich von den legendären Rezepten aus Hearns “Cuisine Creole” inspirieren lassen.

Der Name des Projekts, Feeding America ist, dessen wird man ohne Zweifel gewahr, ein gnadenloses Understatment, denn es geht hier nicht um die Befriedigung des Hungers, sondern darum, eine der interessantesten und vielseitigsten Kochkulturen der Welt zu feiern.

A Whipt Syllabub.
Take two porringers of cream and one of white wine, grate in the skin of a lemon, take the whites of three eggs, sweeten it to your taste, then whip it with a whisk, take off the froth as it rises and put it into your syllabub glasses or pots, and they are fit for use.

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Claudio del Principe: Anonyme Köche

Claudio del Principe: Anonyme KöcheAls zwei von uns (benedikt und jbenno) vor einigen Jahren ein Blog zum Thema Kochen anfingen, lernten wir Claudio des Principe von Anfang an als einen der Kommentatoren kennen, dessen Urteil für uns stets höchstes Gewicht besaß, so wie die rigorose Verteidigung der wirklich einzigen Art, ein Sauce Bolognese zu bereiten.

Claudio schreibt seine Gastrosophie, seine hervorragenden Rezepte und Kritiken in seinem Blog Anonyme Köche nieder, Motto: “Das Leben macht Spass mit Demi Glace”. Dort finden sich auch sein leidenschaftliches Plädoyer für Fonds, das meine Art zu kochen wesentlich beeinflusst hat – ich habe jetzt stets Demi Glace im Hause (naja, meistens, jedenfalls).

Schleunigst entschleunigen, hier am Beispiel Ragu, kann denn auch ganz allgemein als eine Anleitung zum guten Kochen gesehen werden.

Das beste: die Texte und Rezepte gibt es als schönes Buch bei Gräfe und Unzer – noch ein Beispiel für ausgedrucktes Internet.