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Hausgäste

[Blogpost in English]

Ein erster, persönlicher Bericht vom Piemonter Share Art Festival in Turin

“Let us invite you to bring the family, the grandparents and the children, and sit on our open-source furniture, relax, even eat something. Fill a wine glass with tomorrow.”
Bruce Sterling

ShareEin Jahr ist es her, dass ich nach Turin gereist bin, um der Eröffung der ‘Casa Jasmina’ beizuwohnen, einem Musterhaus für digitale Open Source Haushaltstechnologie. Durch Bemerkungen bei Vorträgen hatte ich von Bruce Sterling, dem Initiator des Projektes davon erfahren. Wie viele ‘Cyber-Kinder’ war ich Bruce und seinen Gedanken über dreißig Jahre lang mehr oder weniger lose gefolgt. Auch wenn ich immer wieder einige seiner Ideen inspirierend fand, sie in meine Vorträge oder Blogposts eingebaut habe, war es erst sein Buch “Shaping Things“, mit dem ich wirklich etwas für meine Arbeit anfangen konnte. Shaping Things ist ein schmales Bändchen, eher ein Essay. Es war, soweit ich weiß, die erste umfassende Betrachtung, was wirklich passieren würde, wenn die Digitalisierung sich aus der Gefangenschaft des Web befreien und die Welt der physischen Dinge erobern würde, um daraus das ‘Internet of Things’ entstehen zu lassen. Aber vor allem sprach er davon, wie Dinge dann beschaffen sein müssten, um “freundlich” zu bleiben, gutmütig, trotz des totalitären Wesens gobaler Vernetzung und lebensumfassender Datenerhebung.

In Form der Casa Jasmina hatte Bruce angekündigt, gemeinsam mit Jasmina Tešanović, der Namensgeberin der Casa, seine Designtheorie in die Praxis eines wirklich bewohnbaren Hauses zu übersetzen. Es ist eine Sache, über Dinge zu schrewiben, eine ganz andere aber, etwas derartiges in der körperlichen Welt zu bauen, mit allen Einschränkungen, die die Conditio Humana einem dabei auferlegt. Es ist also wenig überraschend, wenn die ‘Casa’, die ich an ihrem Eröffnungstag vorfand eher ein Resonanzraum für unsere Visionen und Erwartungen war, als ein tatsächliches Heim.

Heute, ein Jahr später, hat sich die Casa Jasmina zum offiziellen Veranstaltungsort des Piemonte Share Art Festival entfaltet. Luca Barbeni, der das Share.to seit seinem Start 2006 kuratiert hatte, war nach Berlin ausgewandert, um dort seine NOME Gallery zu gründen, und Bruce Sterling war an seine Stelle als künstlerischer Leiter getreten, um das Festival in Turin gemeinsam mit dessen Co-Gründerin Chiara Garibaldi zu leiten. Dabei sollten sie illustre Unterstützung erhalten, wie etwa von Paola Antonelli, Kuratorin am New Yorker MoMA oder Astronauten-Star Samantha Cristoforetti. Und passend zum Ort legte Bruce fokussierte Bruce die Ausstellung auf “Kunst und Technologie für zu hause”.

Die ‘Casa’ und ihre Bewohner sind ausgesprochen gastfreundlich, und das Willkommen, das wir dieses Mal erleben durften, stand vergangenen Besuchen in nichts nach. Moderne Kunst hatte von Anfang an mit dem Häuslichen zu kämpfen – die meisten zeitgenössischen Kunstwerke sind schlichtweg ungeeignet für normale häusliche Verhältnisse. Diese Eigenschaft hat die Kunst mit Digitaltechnik gemein. Obwohl die meisten Leute “Computer”, ehedem PCs, heute Smartphones und Tablets auch zu hause nutzen, sind diese Geräte nie zu einem integrierten Teil der Haushaltsausstattung geworden. Unsere Digitaltechnik ist unverändert eher Teil unseres Outfits, mehr Accessoir als Haushaltsgerät. Es ist teilweise der überheblichen Anmaßung geschuldet, in der beide – Tech und Kunst – alle Aufmerksamkeit verlangen, ihre apodiktische Moral verkünden, wodurch meiner Ansicht nach beide so schwer erträglich sind, wenn wir sie in den beschränkten Platz unserer vier Wände zwängen. Jasmina Tešanović hat ihre Klage darüber in ihrem flammenden Manifest “Die sieben Wege des Internet of Women Things” zum Ausdruck gebracht, dessen Übersetzung wir ebenfalls auf diesem Blog veröffentlicht haben.

“House Guests” ist der Titel der Ausstellung, und entsprechend geht es hier mehr um das bequeme Zusammenleben von Kunst, Technologie und Menschen, als um Kunst an sich. (Daher möchte ich eine Kritik der Kunstwerke auch auf einen späteren Artikel vertagen).

Video art from seditionart.com displayed on iPads in a frame. Here: Rose Throb by Claudia Hart.
Video-Kunst von seditionart.com auf iPads in einem Ramen. Hier: Rose Throb von Claudia Hart.

In der Ausstellung finden sich zweierlei unterschiedliche Formen von Kunstwerken: Physische Objekte und Videos. Acht Videos, die aus der Online-Kunstplattform seditionart.com stammen, laufen auf weißen iPads, die an der Wand hängen. Diese acht Videos sind nicht interaktiv, lediglich Bewegtbild. Es wäre also genauso gut möglich gewesen, sie einfach der Reihe nach auf einem Laptop laufen zu lassen, an die Wand zu beamen, oder sie auf irgendeinem digitalen Bildschirm zu zeigen. Stattdessen waren die einzelnen iPads in schwarze Halskrausen gerahmt, die Größe etwa die doppelte Bildschrimdiagonale, ähnlich dem bürgerlichen Tafelbild. Die Schwierigkeit mit Video-Bildschrimen, und speziell mit den Bildschirmen von Mobilgeräten wie den iPads ist die totale Beherrschung des Inhalts darauf durch das Medium. McLuhans Beobachtung gilt unverändert, dass Dinge im Fernsehen zu allererst TV sind, und erst in zweiter Linie, wenn überhaupt, der Inhalt, wie etwa ein Spielfilm oder Nachrichten. Diese mediale Festgelegtheit gilt in viel geringerem Maße für Gemälde, Zeichnungen, Drucke oder Skulptur, für die ihr Materia lediglich ein Aspekt eines größeren Ganzen darstellt. Und trotz ihrer voluminösen Krägen haben auch die iPads in der Casa Jasmina nicht viel von ihrer hypnotischen Qualität verloren. Die Kunst darauf verblasste unter dem wunderschönen Flimmern ihrer brillianten Technologie. Diese pornografische Dominanz des Mediums ist auf jeden Fall ein Thema, mit wir uns bei Kunst im digitalen Zeitalter auseinandersetzen müssen.

Catharina Tiazzoldi, Algorithmic Domesticities
Catharina Tiazzoldi, Algorithmic Domesticities
Verglichen mit dem Solipsismus der Videos ging es bei den physischen Objekten sehr viel mehr um wirkliches Zusammenleben. Tischtücher mit algorithmischem Design, Teller mit Dekor, vom Quantified Self inspiriert, Musikinstrumente auf Basis von Microsoft Kinect: Alle möglichen Formen von “zahmer Technologie”, die sich unter die bereits in der Casa vorhanden Gegenständen aus dem Maker Space im Nachbarhaus mischten. Der Anspruch der Kunst in der Casa Jasmina ist nicht hoch, und wir bekommen keine Kunstrevolution verkauft. Während etwa die kürzlich verstorbene Zaha Hadid und ihr Partner Patrik Schumacher den Parametrizismus als das zukünftige Paradigma von Architektur, Design und der ganzen Menschheitskultur schlechthin erklären, gehen die Objekte in der Casa Jasmina eher spielerisch mit den neuen, kreativen Möglichkeiten um, als die nächste Große Erzählung abzuliefern.

AL.TIP slr, Semaforo.A night lamp in maker design.
AL.TIP slr, Semaforo.
Eine Nachttischlampe im Maker Design.
Bei der Kunst in der Casa Jasmina geht es also nciht so sehr um Kunst, sondern um das heimische Haus. Das eigentliche Kunstprojekt ist die ganze Casa selbst, mit allem, das dort von Anfang an stattgefunden hatte. Wie Bruce damals gefordert hatte: Es geht darum, menschliche Werte in technische Gegenstände einzubetten. Gemeinsam mit dem Schöpfer des Arduino Massimo Banzi kämpft Bruce für eine ethische Technologie, die er vor kurzem in einem “IoT Manifest” zusammengefasst hatte: Dinge sollen offen bleiben und einfach zusammenarbeiten. Auch wenn die Sstandardisierung der Benutzeroberfläche der Smartphones einen klarer Vorteil der Produkte von Apple darstellt, so möchte doch wohl kaum jemand erleben, dass die Vielfalt der Kunst durch bevormundende Sterilität eines iTunes Store planiert wird. Eng damit ist die zweite Forderung verbunden, die Nachhaltigkeit. Was nützt eine LED-Lampe zwanzig, die Jahre lang brennen könnte, wenn die Software darauf, die sie “Smart” machen soll, nach zwei Jahren veraltet ist und die Lampe vielleicht sogar unbenutzbar macht? Die geplante verkürzung der Lebensdauer von Hard- und Software war von Anfang an ein Geschäftsprinzip in Silicon Valley. Dabei geht es hier nicht einfach nur um Öko-Lamento, wie neulich erst eindrucksvoll von Google bewiesen wurde, als ältere Gerate der Marke ‘Nest’ ferngesteuert unbenutzbar gemacht wurden, um deren Besitzer zu zwingen, sich neue zu kaufen. Die dritte Forderung ist Fairness. Technologie darf die Menschen nicht ausspionieren. Ich glaube, diese Forderung kann nur verwirklicht werden, wenn wir zentralistische Strukturen für die vernetzte Technik verhindern. Nur wenn wir es schaffen, Netze aus dezentralen, verteilten und autonom funktionierenden Geräten zu spannen, werden wir unsere Privatsphäre zu hause verteidigen können.

Für viele Menschen hat sich zeitgenössische Kunst schon längst aus ihrem Leben verabschiedet – intellektuell abgehoben, einzig der hermetische Ausdruck der Künstlerpersönlichkeit, abgeschlossen und geschützt durch Urheberrecht und geistiges Eigentum – Bitte nicht berühren! Digitaltechnologie entzieht sich ebenfalls unseres Zugriffs. Wen wir die glänzenden Gehäuse der digitalen Geräte öffnen, verwirken wir die Garantie. Die Kunst und Technik in der Casa Jasmina ist offen, freundlich, eine einfache Hausgenossin. Man könnte sagen, dass es ihr an der großen Geste fehlt; sie ist nur komfortabel. Vielleicht ist das aber genau der Punkt. Wir werden wieder interessant gestaltete häusliche Gegenstände bekommen, die nicht einfach nur designte Markenprodukte sind, sondern maßgefertigt an ihre Besitzer angepasst, die ihre Gemachtheit sehen lassen, statt sie ellegant zu verschleiern. Was wir erleben, ist der Aufstieg einer neuen Arts&Crafts-Bewegung. Wie ihr Vorläufer vor 120 Jahren, steht auch Neo-Arts&Crafts gegen den glatten Perfektionismus der industriellen Massenfertigung, und ebenso wie damals, nicht in einem Rückschritt zu vorindustrieller Handwerklichkeit, sondern unter Ausnutzung der neuen Methoden und Werkzeuge unserer Zeit. Und im Gegensatz zum Maker Movement, aus dem sie hervorgegangen war, wird es bei Neo-Arts&Crafts weniger um Technolgie gehen, und viel mehr um Handwerkskunst. Diese Art Nouveau heißt auf deutsch Jugenstil oder Reformstil. Bei der Reform ging es darum, wieder eine bewohnbare Umwelt zu schaffen, in der Menschen ein glückliches und gesundes Leben führen konnten. Wenn Neo-Art-Nouveau ähnlichen Zielen folgen sollte, indem sie offen, nachhaltig und fair ist, bin ich überzeugt, dass sie sich durchsetzen wird. Weit mehr als der Parametrizismus und andere akademische Konzepte, die Kunst wieder zu erfinden, hat diese Kunst das Potenzial ein wesentliches Paradigma der Post-Internet Kunst zu werden.

Und jetzt will ich mehr davon sehen!

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Romantische Liebe

William Blake, Adam and Eve
Mein!
Bächlein, laß dein Rauschen sein!
Räder, stellt eur Brausen ein!
All ihr muntern Waldvögelein,
Groß und klein,
Endet eure Melodein!
Durch den Hain
Aus und ein
Schalle heut ein Reim allein:
Die geliebte Müllerin ist mein!
Mein!
Frühling, sind das alle deine Blümelein?
Sonne, hast du keinen hellern Schein?
Ach, so muß ich ganz allein,
Mit dem seligen Worte mein,
Unverstanden in der weiten Schöpfung sein!

Morgengruß
Guten Morgen, schöne Müllerin!
Wo steckst du gleich das Köpfchen hin,
Als wär dir was geschehen?
Verdrießt dich denn mein Gruß so schwer?
Verstört dich denn mein Blick so sehr?
So muß ich wieder gehen.

O laß mich nur von ferne stehn,
Nach deinem lieben Fenster sehn,
Von ferne, ganz von ferne!
Du blondes Köpfchen, komm hervor!
Hervor aus eurem runden Tor,
Ihr blauen Morgensterne!

Ihr schlummertrunknen Äugelein,
Ihr taubetrübten Blümelein,
Was scheuet ihr die Sonne?
Hat es die Nacht so gut gemeint,
Daß ihr euch schließt und bückt und weint
Nach ihrer stillen Wonne?

Nun schüttelt ab der Träume Flor,
Und hebt euch frisch und frei empor
In Gottes hellen Morgen!
Die Lerche wirbelt in der Luft,
Und aus dem tiefen Herzen ruft
Die Liebe Leid und Sorgen.

“Im Blick des Anderen erfahre ich den Anderen als Freiheit, die mich zum Objekt macht.”
J.P. Sartre, Das Sein und das Nichts

Liebe, “romantische” Liebe – Worte, stets in gefährlicher Nähe zum Kitsch. Romantik als Attribut ist uns ohnehin abgesunken in die tiefsten Kloaken der Maklerpoesie und Hotelprospekte. “Romantik Pur” möchte man ergänzen. Bürgerliche Verbrämung der Sexualität; leere Rituale wie Verlobung und Ehe, mit denen der Spießer heute noch den Adel des 18. Jahrhunderts nachahmt. Und schließlich: eine Ehe nach Bürgerlichem Gesetzebuch mit Ehegattensplitting und Steuerklasse III ist vermutlich so ziemlich das Gegenteil dessen, wie sich Menschen in Liebe verbunden sehen wollen.

Die Publizistin Julia Seeliger hat in den letzten zwei Tagen in beispielhafter Weise dialektisch die Begriffe ‘Liebe’, ‘Gender’ und ‘Sex’ herausgearbeitet. Wie bei Sokrates stellt sie am Anfang eine Frage:

“Haben #Piraten eigentlich auch Frauen vorne, die nicht das klassische Frauenbild (@Afelia und @laprintemps) verkörpern? Ich sehe keine”.(*)

Und wie es sich in der Elenktik gehört, bricht ein Sturm los, denn was bitte soll ein “klassisches Frauenbild” sein? etc. etc.

Aber es wäre nur die halbe Mäeutik, hätte die @zeitrafferin nicht auch die Protreptik drauf: In welche Rollenbilder drückt uns die Gesellschaft? Sind Gender und Sex unabhängig? Ist es Biologie? Kulturelle Anpassung? Gibt es Liebe?

“Romantische Liebe ist ja auch Quatsch. Mit dem Argument sollte man zumindest nicht heiraten.”(*)

Was mich dazu bringt, die “romantische Liebe” hier zu würdigen, auch in der Hoffnung, meinen eigenen dialektischen Beitrag zu der Diskussion zu leisten.

Auch wenn es einer Zeit nie gerecht wird, Universalbegriffe wie “Liebe” pauschal mit der ganzen Epoche zu identifizieren, gibt es ein Konstrukt, das kohärent genug ist, als die romantische Liebe bezeichnet zu werden. Ich kenne kein schöneres Bild der romantischen Liebe, als die zwei Gedichtzyklen “Die schöne Müllerin” und “Winterreise” von Wilhelm Müller, berühmt duch die Vertonung von Franz Schubert. (oben zwei Gedichte aus ‘der schönen Müllerin’, unten aus der ‘Winterreise’) Auch wenn die Handlung des einen Liederkreises im Sommer, die andere im Winter spielt, so ist doch der Untertitel der ‘schönen Müllerin’ eine Aufforderung: “Im Winter zu lesen”. Beide Liederkreise handeln von der Liebe, von unterschiedlicher Sichtweise aus betrachtet, aber gleichermaßen düster und winterlich.

Der junge Müllergeselle in der ‘schönen Müllerin’ verliebt sich in die Tochter des Müllers. Aber es bleibt eine einseitige Liebe – die Müllerstochter ist lediglich das Objekt seiner Zuneigung. Zunächst liest er ihr ganzes Verhalten als Erwiderung; die deutlichen Zeichen der Abwendung und Genervtheit der Müllerstochter schiebt er darauf, dass sie vielleicht unausgeschlafen sei. “Die geliebte Müllerin ist mein! Mein!” Erst als es nicht mehr zu leugnen ist, dass die Angebetete vielleicht doch einen eigenen Willen besitzt und sich schon längst mit dem Jäger verlobt hat, wird dem Müllergesellen sein Scheitern bewusst – er geht.

In der ‘Winterreise’ erleben wir das krasse Gegenteil. Der Mann verlässt seine Geliebte und geht. Die Erzählung hier ist stärker symbolisch, so dass sofort klar wird: der haut nicht einfach ab. Hört man die Lieder der Winterreise bis zu Ende ist deutlich, es geht um den endgültigen Abschied, den Tod. “Will dich im Traum nicht stören, wär’ schad’ um deine Ruh'” – sie wird erwachen und ihn niemals wiedersehen. Um diesem tief traurigen und hoffnungslosen Abschied seine Tragik zu geben, wechselt die Tonart an dieser Stelle in Dur.

Bei der ‘schönen Müllerin’ ist die Geliebte ein Objekt, bis sie sich befreit, indem sie selbst einen anderen Partner wählt. Bei der ‘Winterreise’ endet der gemeinsame Sommer der Liebenden, der Liebende geht, die Liebende bleibt alleine zurrück.

In der Liebe sind wir – wie bei Sartre (s.o.) – Objekt oder machen den anderen zum Objekt. Die ‘schöne Müllerin’ und die ‘Winterreise’ illustrieren genau diese beiden Situationen. Romantische Liebe ist ganz beim Einzelnen. Jeder mag sie für sich fühlen, aber er bleibt für sich. Die Sehnsucht, durch Liebe die Einzelnheit zu überwinden ist die blaue Blume der Romantik.

Tod der Atala
Gute Nacht
Fremd bin ich eingezogen,
Fremd zieh ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit manchem Blumenstrauß.
Das Mädchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh’ –
Nun ist die Welt so trübe,
Der Weg gehüllt in Schnee.

Ich kann zu meiner Reisen
Nicht wählen mit der Zeit:
Muß selbst den Weg mir weisen
In dieser Dunkelheit.
Es zieht ein Mondenschatten
Als mein Gefährte mit,
Und auf den weißen Matten
Such ich des Wildes Tritt.

Was soll ich länger weilen,
Daß man mich trieb’ hinaus?
Laß irre Hunde heulen
Vor ihres Herren Haus!
Die Liebe liebt das Wandern,
Gott hat sie so gemacht –
Von einem zu dem andern –
Fein Liebchen, gute Nacht!

Will dich im Traum nicht stören,
Wär’ schad’ um deine Ruh’,
Sollst meinen Tritt nicht hören –
Sacht, sacht die Türe zu!
Ich schreibe nur im Gehen
An’s Tor dir gute Nacht,
Damit du mögest sehen,
Ich hab’ an dich gedacht.

Nicht von ungefähr erwächst auf dem Höhepunkt der Romantik eine ganze Philosophie des Einzelnen, der anarchische Egoismus. Alle Wahrheit bleibt meine Wahrheit, genau wie alle Liebe in mir entsteht.

“Den Mittelpunkt der moralischen Freiheit bildet, wie wir sehen, die Pflicht der – Liebe. […] In der Liebe bestimmt sich der Mensch, gibt sich ein gewisses Gepräge, wird zum Schöpfer seiner selbst. Allein er thut das Alles um eines Andern, nicht um seinetwillen.”

schreibt Max Stirner. Auch wenn wir einzeln lieben, fühlen wir über unsere Handlungen mit dem anderen verbunden. Im Gegensatz zu jeder Form gemeinsamen oder kollektiven Erlebens, präsentiert sich allderdings jeder Einzelne selbst und wird nicht in der Liebe des Anderen zu ihm hin repräsentiert. Es bleibt bei der Zählung-als-Eins und es findet keine Vermassung der Liebenden (z.B. als Paar) statt. In der direkten Nachfolge Max Stirners haben Marx und Engels schließlich die Liebe als herrschaftliches Konstrukt entlarvt, das überwunden werden wird: “Je weiter also die Zivilisation fortschreitet, je mehr ist sie genötigt, die von ihr mit Notwendigkeit geschaffnen Übelstände mit dem Mantel der Liebe zu bedecken, sie zu beschönigen oder wegzuleugnen, kurz eine konventionelle Heuchelei einzuführen, die weder früheren Gesellschaftsformen noch selbst den ersten Stufen der Zivilisation bekannt war und die zuletzt in der Behauptung gipfelt.” (Engels, “Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats”)

Thomas von Aquin breitet in seiner Summa Theologica aus, wie der Glaube sich nicht erzwingen lässt, sondern aus dem Inneren des Gläubigen kommen muss. Glaube ist nach Thomas eine rein mystische Erfahrung. Das führt Meister Eckhart weiter, wenn er uns predigt, dass immer, wenn ein Mensch zum Glauben bereit sei, sich Gott unweigerlich in ihn ergieße, um ihn zu erfüllen. Es bedarf dazu keiner weiteren (religiösen) Handlungen. Wie Thomas und Eckhart den Glauben mystisch sich in den Menschen ergießend sehen, so kann auch die romantische Liebe nur mystisch erfahren werden. Sie ergießt sich ebenfalls unwillkürlich in den Menschen, der für sie bereit ist.

In der Romantik wird dieses unwillkürliche Sichverlieben zu einem der großen Themen (daher kommt dann auch das Bild von der “romantische Liebe” als getrieben, von Innen kommend, im Gegensatz etwa zur höfischen Liebe des Mittelalters oder der Barockzeit). Aber die Liebe wird dabei aber nicht verklärt, wie man sich das heute in der verkitschten Version romantischer Literaturverfilmungen vorstellen mag.

Ein schönes Beispiel solcher unverklärter, fast satirisch dargestellter, romantischer Liebe gibt Alexander S. Puschkin in seinem großartigen Versroman Efgenij Onegin. Tatjana, die Tochter eines Provinz-Adeligen lernt den Petersburger Fürsten Onegin kennen, der sich (wie Puschkin seinerzeit selbst) ins Exil aufs Land geflüchtet hat. Schon ihr Name kennzeichnet die junge Tatjana als ‘gewöhnlich’ und unbeholfen. Und unsterblich verliebt sie sich in Efgenij, den sie sich, ganz unreif und unerfahren, aus seiner Höflichkeit und Galanterie als liebenswerten Menschen erträumt – wo er in der Tat aber ein лишний человек, ein sinnloser Mensch ist, ein Lebemann und Zyniker, der alle verletzt, die mit ihm zu schaffen haben. Aber letztlich kann man Onegin keinen Vorwurf machen – er hat hatte Tatjana nicht um ihre Liebe gebeten. Das Tragische des Einzelnen, der von Liebe erfüllt, doch keinen Weg zum Herz des Objekts seiner Liebe finden kann.

Die romantische Liebe ist mystisch, man kann sich nicht durch Vernunft vor ihr schützen. Alle Reflektion über Gender und kulturelle Prägung helfen nicht, wenn sich ein Mensch in einen anderen verliebt. Daher bleibt alle Genderkritik wirkungslos, solange wir Menschen eben in diesen Körpern unser vereinzeltes Dasein fristen.

Erst die Utopie des Post Gender verheißt uns Erlösung. Wenn wir dereinst unsere menschliche Existenz überwinden und uns durch genetische Ingenieurskunst, biochemische Medikation oder Upload in die Matrix in die Nou-Späre verabschiedet haben werden, wird es vermutlich auch keine mystische, romantische Liebe mehr geben.

Bis die Singularität uns befreit, müssen wir aber wohl noch ein wenig warten.

Die Liebe ist doch eine kulturelle Sache, #Postgender ey!

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Die Moderne ist unsere Antike

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(1) “A Vernacular is like a crumbled streetversion of a classic language. Like Italian is a vernacular language and Latin is a classic language. What does acutal vernacular online video sound like, that’s native to the Internet and speaks vernacular Internet ease? I’ll just read you the categories of an unnamed [Online Video Network] here: ‘LOL, OMG, WTF, Cute, Games, Geeky and Trashy’. Those are actual terms, coined on the Internet. Now, you could think, to be classy, you would like to expunge that vernacular, and instead of them saying ‘LOL’ they should say something like ‘commedy’, instead of ‘OMG’ something like ‘experimental’. – Allright. That’s not how it works. It is a little hard to understand this, but the actual path to classiness is to upgrade the vernacular. You have to get through LOL, OMG, WTF, Cute, Games, Geeky and Trashy and somehow come out the other side. You have to make network culture classy on its own terms. You have to ennoble the vernacular – not by teaching people Latin, but by writing Dante’s Inferno!”
Bruce Sterling, Closing Keynote: Vernacular Video from Vimeo Festival. (Mein Transkript)

(2) klassisch zu lat. classis “militärisches Aufgebot; Abteilung; Klasse” stellt sich das Adjektiv classicus “die ersten Bürger-Klasse betreffend …
Duden, “Das Herkunftswörterbuch”

(3) “Die Moderne ist unsere Antike” – unsere Klassik
Mantra von Roger M. Buergel als Kurator der Documenta 12

“Der Gedanke, heute eine internationale Ausstellung der Kunst des 20. Jahrhunderts in Deutschland zu veranstalten, liegt so nahe, daß er keine nähere Begründung zu erfordern scheint.”, leitet Werner Haftmann den Katalog zur ersten Dokumenta 1955 in Kassel ein. Offenbar war den Machern dieser ersten Kunst-Großschau ganz genau klar, was die Kunst ihres Jahrhunderts ausmacht. Nach dem Rundgang über die Documenta 12 war ich mir dagegen darüber klar, dass dies die letzte Dokumenta gewesen sein würde, die ich besuchte. Hatten die Kuratoren der drei Vorgänger-Ausstellungen wohl noch versucht, mit der Documena ein Bild der Kunst von heute zu zeichnen – und waren jeder auf ihre Art gescheitert, so hatte die Ausstellung 2007 aufgegeben, etwas wie “klassische Kunst unserer Zeit” zu definieren. Was zunächst wie Nachlässigkeit oder Denkfaulheit des Kurators wirken mag, erscheint mir heute als Symptom für einen Umbruch in der Kunst, die in ähnlicher Weise erschüttert wird, wie die Medien, die Musikindustrie und all die anderen sogenannten Kreativ-Bereiche.

Die Moderne – die Kunst der Neuzeit, wie sie sich in den letzten dreihundert Jahren entwickelt hatte – ist unsere Antike, genau, wie Roger Buergel es sagt. Ähnlich, wie das scholastische Festhalten an der Antike noch weit in die Neuzeit hinein das Denken und Schaffen des Abendlandes beherrscht hatte, gelten uns die neuzeitlich-modernen Begriffe und Kategorien immernoch als Maß für “klassiche” Qualität. Bestandsaufnahmen und Zustandsbestimmungen zeitgenössischer Kunst münden entweder in blutleeren Formalismus, wie etwa das jüngste Kunstforum, oder enden in totaler Beliebigkeit, wie eben die letzte Dokumenta.

Ratlos blickt man sich um: muss es nicht etwas geben, das an die Stelle des Alt-Ehrwürdigen tritt? Eine neue Generation? Eine neue Richtung? Bruce Sterling gibt uns die Antwort, in seiner fast einstündigen Rede zum Abschluss der Vimeo-Konferenz. Das Neue ist schon da, und zwar als Mundart, Volkssprache, Räubersprache, kurz: es steht außerhalb der klassischen Kultur. Das Neue findet sich in der Vernakular-Kultur des Netzes.

Man mag einwenden, dass diese Erkenntnis weder neu noch originell ist; dass das Internet die Kultur durch und durch umkrempelt, davon sprechen ganze Jahrgänge von Wired und tausende von Stunden TED-Konferenz. Aber Sterling sagt etwas anderes: Um das Neue zu erkennen, müssen wir darüber sprechen können. Die (Fach-)Sprache der Kulturwissenschaften und der Kritiker ist aber immernoch die Lingua Franca der Moderne. Gleichzeitig ist das Vernakular der Netzkultur noch nicht viel mehr, als ein Jargon.

Die Formen der zukünftigen Kunst (falls man diesen durch Genie-Kult und bürgerlichen Produktionsprozess ohnehin korrumpierten Begriff überhaupt perpetuieren möchte) können unter anderem so etwas wie Urban Art oder Generative Art sein – Favela Chic, um mit Sterling zu sprechen – oder der der Netzkultur eigentümliche Eklektizismus, die Bricolage, das Collagieren, der Punk – Sterlings Gothic High Castle.

Diese Vernakularkultur unterscheidet sich insbesondere durch ihre Produktionsbedingungen von der klassischen zeitgenössischen Kultur. Der klassische Schriftsteller, Künstler oder Komponist erhält seine Entlohnung durch juristisch saktionierte Transfersysteme wie GEMA, VG Wort, VG Bild/Kunst – oder er ist direkt beim Staate angestellt, als Professor, als Mitglied eines Staatsorchesters oder als Rundfunkredakteur. Dagegen steht die viel bejammerte scheinbare “Kultur des Kostenlosen” der Blogs, der Online Videos, der Remixes und Covers, des sogenannten “Bürgerjournalismus” und so weiter und so weiter. Und obwohl es manchem als naheliegend erscheinen mag, der vernakularen Kreativität des Netzes die Produktionsweise der klassischen Kultur zu übertragen, ist dies doch zum Scheitern verurteilt: die Kategorien der alten Welt greifen nicht mehr; die Menschen wollen kein Latein mehr sprechen, weil ihnen Italienisch in viel flüssigerer Weise Ausdruck verleiht.

Enhances
“Stand on the shoulders of Giants”
Accessibility of knowledge
Retrieves
everybody a publisher
oral tradition
dilettante / amateur

Non-Commodity-
writing

(Decay of Copyright)

Reverses
Bricolage (Ecclecticism)
Generative Art
New definition of Public Space
Obsolesces
Assembly-line book
mass-marketing for books
book-fairs

In der Tabelle links habe ich versucht, diese Entwicklung mit der Tetrade von Herbert Marshall McLuhan zu interpretieren:

Als Folge dieses Wandels wird es allerdings nur noch wenig große Romane geben, nur selten wird jemand das Risiko auf sich nehmen, einen teuren, abendfüllenden Spielfilm zu produzieren oder mit einem Orchester ein sinfonisches Werk der Musica Viva einstudieren. Was wir erleben, ist die Rückkehr des Dilettanten, durchaus im besten Sinne, des Enthusiasten; “Everybody a Publisher” bedeutet: Non-Commodity-Production of Culture.

Mehr dazu:
“So literature collapses before our eyes” – Non-Commodity Production
Das Ende der Geschichte – für Kreativ-Berufe.

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Langsame Weihnachten

Da liegt es, das Kindle, auf Heu und auf Stroh
Weihnachtslied, frühes 21. Jh

In der Generation meiner Großeltern und Eltern waren es Pfeffernüß, Äpfelchen, Mandeln, Korinth, die sich artige Kinder zum Weihnachtsfest wünschen konnten. Heute gehören iPad, iPod, DS und PS3 zu den wichtigsten Posten auf den Wunschzetteln der digitalen Eingeborenen zwischen 6 und 12. So wird dieses Jahr der Weihnachtsbaum nicht nur von den brennenden Lichtern, sondern auch von dem kühlen Licht der Bildschirme festlich glänzen. Welche Alternativen hat man? Was schenkt man, wenn man sich den Slow-Media-Ideen verpflichtet fühlt? Welche Geschenke eignen sich dafür, den Blick zu lenken auf die “kleine Zeitlücke, in der sich die Menschen auf Erden einrichten müssen”, wie Harald Weinrich das formuliert?

Eines der wichtigsten Objekte, die eigentlich jeder in seinem Zuhause haben sollte, ist ein ordentlicher Ofen. Wer viel Platz und Zeit hat, findet in den Kleinanzeigen mit etwas Glück in Einzelteile zerlegte herrschaftliche Kachelöfen. Wer weniger von beidem hat, kann sich zum Beispiel bei Attika einen schlanken Kaminofen kaufen, der in ein bis zwei Stunden fertig montiert ist und auch in nicht ganz so herrschaftliche Zimmergrößen passt. Die Folgekosten sollte man nicht unterschätzen, denn das Ofenfeuer möchte man natürlich von einem passenden Sitzplatz aus genießen, so dass früher oder später garantiert je nach Rustikalität auch eine Ofenbank bzw. ein paar hochlehnige Sessel dazu kommen. Nicht vergessen darf man auch die Feuerböcke und den ein oder anderen Blasebalg. Wer auf einen gemauerten Ofen verzichtet, kommt hier natürlich etwas günstiger weg. Aber wenigstens sollte man dann die Cheminées à la moderne von Jean la Pautre aus dem Jahr 1661 auf dem Beistelltisch liegen haben, um sich wenigstens bewusst zu sein, was man verpasst.

Das Thema Nachhaltigkeit hat man mit dem Kamin schon einmal abgehakt. Auch ein paar weitere Forderungen des Slow-Media-Manifests erfüllt man im Handumdrehen, so zum Beispiel die Kommunikation. Wo lässt sich besser über das knappe Leben disputieren als vor einem munter flackernden Feuer. Die Asche ist sozusagen direkt in greifbarer Nähe. Aber auch in einem anderen Sinne agiert man hier nachhaltig, nämlich in der der Wahl des Heizstoffes. Die Wärme kommt nicht aus einer russischen Pipeline, mit der man womöglich noch Berlusconis barocke Orgien mit finanziert, sondern aus heimischen Wäldern – und das gleich auch noch CO2-neutral. Die Qual der Wahl betrifft natürlich die Frage: selbst gehackt oder fremd gehäckselt? Ich halte es so: Wenn sich Besuch ankündigt, der sein Leben normalerweise in Ohrensesseln verbringt, schmeiße ich mich in Lederhose und Loden, greife zur Axt und empfange die Gäste Holzscheit-spaltend vor der Gartenhütte. Der passende Lesetipp ist hier natürlich Thomas Bernhards Holzfällen. Wem das zu übertrieben ist, kann sich das Brennmaterial auch liefern lassen, zum Beispiel aus Wunsiedel, die Tonne Fichten-, Eichen- oder Buchenbrickets zur Zeit um die 200 EUR. Das reicht für einen Winter.

Feuer wirkt am besten, wenn es sich in einem edlen Metall spiegeln kann. Daher sollte man sich das Weihnachtsfest zum Beispiel mit einer Investition in Tafelsilber versüßen. Was ist schöner als das Gefühl, die Bank-Runs und Eurokrisen links liegen lassen zu können und sich von einem wertbeständigen im Atelier der Heilbronner Firma Bruckmann 1925 entworfenen Sahnelöffel die Sahne in den Tee fließen zu lassen, so dass eine herrliche Sahnewolke in der Tasse erblüht. Auch wenn man es vorzieht, den Tee ohne Sahne zu trinken, ist das eine lohnenswerte Investition, vielleicht kündigt sich einmal Besuch aus England oder Ostfriesland an oder aber man “nutzt” das Silber allein des feuerumflackerten Glanzes wegen. Zum Heilbronner Silber gibt es übrigens einen ganz großartigen Katalog der städtischen Museen, den man immer mal wieder antiquarisch erwerben kann.

Was fehlt? Die Musik. Weihnachten ohne Zithermusik ist kein Weihnachten. Wer noch keine Zither spielt, sollte unbedingt das nahende Weihnachtsfest zur Gelegenheit nehmen, dieses Instrument zu lernen. Für mich gibt es nichts, das mehr mit der stillen Zeit verknüpft ist, als der Klang von 35 Saiten in Münchener Stimmung. Wer keine Zither auf dem Dachboden liegen hat – zumindest in Bayern kenne ich niemanden, für den das nicht zutrifft – kann sich auf eBay problemlos ein schönes Instrument zulegen, zum Beispiel eine Zither von Joh. Hornsteiner aus Passau, gefertigt zwischen 1903 und 1925. Allein das meditative Stimmen der vielen Saiten lohnt die Investition in dieses Gerät. Darüber hinaus bin ich sicher, dass die Fingerkoordination des Zitherspiels für die geistige Leistungsfähigkeit eine lebensverlängernde Übung ist. Wer regelmäßig Zither spielt, braucht keine Sudokus mehr. Ich glaube, ich ersteigere gleich noch ein paar Zithern und spende sie den Altenheimen meiner Gegend.

Dazu passt als Lektüre neben den unverzichtbaren Noten – ich habe das Spielen mit der Theoretisch-practischen Zitherschule von Friedrich Gutmann, gekauft in der Königlich-Bayerischen Hofmusikalienhandlung in der Weinstraße 4, gelernt – auch Carl Amerys Untergang der Stadt Passau. Dort kommen zwar keine Zithern vor, aber Passau ist in diesem großartigen Roman schließlich auch schon untergegangen.

Was fehlt? Nach dem glanzvollen und klingenden Festmahl bleibt die Aufgabe, das gute Porzellan und das Tafelsilber wieder auf Vordermann zu bringen. Dafür benötigt man selbstverständlich das geeignete Werkzeug. Die Silberpolitur von Hagerty bekommt man in jedem Drogeriemarkt, die zuverlässigen Quellen für Messertücher, mit dem man die Klingen abtrocknet, sind schon lange versiegt. Hier muss man hoffen, dass ab und zu eine Kollektion dieser unentbehrlichen Textilien den Weg in die Onlineauktionsplattformen findet oder sich selbst auf die Flohmärkte machen.

Aber das wäre fast schon ein guter Vorsatz für das neue Jahr: Für jedes Küchenutensil das passende Tuch.

Weiterlesen:
Slow-Media Weihnachtsgeschenke von jbenno (Teil II)
Let it Slow: Weihnachtsempfehlungen, Teil III

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Slow communication und falsche Tramper

Ich habe soeben einen Beitrag auf TEXT-RAUM geschrieben, in dem es um eine Daimler/Benz Kampagne geht (Details zur Kampagne und möglicher Vorläufer finden Sie dort).  Weil es auch ein Thema für slow ist, greife ich hier den Gedanken der slow communication noch einmal auf.

Ein junger Tramper macht sich auf den Weg, mit dem erklärten Ziel, sich nur von einem sicheren und warmen Benz mitnehmen zu lassen – und allenfalls lieber seinen modellgeeigneten Körper der Kälte auszusetzen. Da standhaft zu bleiben ist sicherlich bei einer Temperatur von minus 10 Grad eine große Herausforderung. Olaf Kolbrück (Off the Record)  vermutet anderes: Die vermeintlich experimentelle Reportage scheint von der Werbeagentur Jung von Matt für Mercedes Benz inszeniert  zu sein, der Schnee und die Kälte sind mithin nur die malerische Kulisse für eine Authentizitäts-Aufführung erster Klasse.

“Slow Media nehmen ihre Nutzer ernst. Sie treten ihren Nutzern selbstgewusst freundschaftlich gegenüber und haben ein gutes Gespür dafür, für wieviel Komplexität […] die Nutzer bereit sind”, lautet die achte These unseres Manifestes.

Auf die Kommunikation von Unternehmen bezogen bedeutet das: Der Verbraucher möchte ernstgenommen werden. Ihm gegenüber Authentizität zu simulieren, ihm wichtige Kontext-Informationen vorzuenthalten – das bedeutet: Ihn nicht ernstnehmen. Und auf das Markenprodukt bezogen, für das eine solche Inszenierung werben soll, bedeutet das im Umkehrschluss: Wenn der Verbraucher die Wahrheit über dein Produkt und deine Interessen erfahren würde, würde er es nicht kaufen. Das ist im Falle von Daimler nicht angemessen. Verbraucher wissen, dass Unternehmen Interessen haben. Sie können das einordnen. Sie können damit umgehen. Und sie sind durchaus bereit, sich von Unternehmen und ihren Produkten überzeugen zu lassen. Sie hätten eine Reise des frierenden Helden bestimmt auch gerne verfolgt, wenn sie gewusst hätten, dass er für den neuen Mercedes-Claim “Das Beste oder nichts” antritt. Bei echtem Einsatz und wirklicher Reportage – warum nicht? Es wäre doch geradezu ein schöner Gedanke, wenn man die Werbeversprechen der Claims auf diese Weise einmal auf Leib und Nieren prüft. Und selbst wenn auf der Reise Unerwartetes passiert, ja selbst wenn der Held in den Bergen die Reise abbrechen müsste – was hätte man denn verloren? Man hätte ein wenig Kontrolle über die Geschichte abgegeben, aber man hätte an Glaubwürdigkeit gewonnen.

“Slow Media werben um Vertrauen”, These 14. Sie lässt sich nahtlos auf die mitgedachte “slow communication” übertragen. Um Vertrauen Werben. Hinter slow communication stehen echte Menschen. Und das merkt man auch. Mit einem falschen Tramper lässt sich keine slow communication machen. Es sei denn, man sagt, dass er falsch ist. Dann vielleicht schon.

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“Alles wird Highway”

(drei Wochen ohne Google)

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“Der Bau eines neuen ELECTRONIC SUPER HIGHWAY wird ein noch größeres Unternehmen [als der Bau der Interstate Highways] sein. Stellen Sie sich vor, wir verbinden New York und Los Angeles mit einem leistungsfähigen Breitband-Telekommunikationsnetz, das kontinentale Satelliten, Wellenlängengeneratoren, Bündel von Koaxialkabeln nutzt, und später mit von Glasfaserkabeln übertragenen Laserstrahlen. […] Der Effekt […] wäre weitaus größer [als der des Highway-Baus im New Deal der dreißiger Jahre; Einfügung von mir].”(zitiert nach Wulf Herzogenrath (Hsgb.): “Nam June Paik. Werke 1946-1976”, Köln 1976.)

Auf der Biennale in Venedig zeigte Nam June Paik als Beitrag Deutschlands 1993 den Electronic Superhighway ‘Venice → Ulan Bator’. Paik hatte bereits 1974 in einer Studie der Rockefeller Foundation ein Konzept zu einer Datenautobahn vorgestellt, dass Bill Clinton in seinem Wahlkampf zwanzig Jahre später aufgreifen sollte.

“How many slums will we bulldoze to build the Information Superhighway?” Kivistik said. […] “How many on-ramps will connect the world’s ghettos to the Information Superhighway.?”
Neal Stephenson, Cryptonomicon

Das Internet als Datenautobahn; von Anfang an wurde diese Metapher verächtlich belächelt. Helmut Kohl klingt uns in den Ohren und Al Gore in unerträglicher Selbstgerechtigkeit.

Auch Randy Waterhouse, der Protagonist von Neal Stephensons großartigem Roman Cryptonomicon empört sich darüber, dass ihm der scheinbar komplett von Technologie unbeleckte Soziologe Dr. Kivistik sein schönes Internet madig machen möchte, indem er die Parallele des “Information Superhighway” mit dem Bau von Autobahnen in der Offline-Welt weiterzieht.

“I know that you’re not qualified to have an opinion about technical issues.” blökt Waterhouse hilflos zurück; der Soziologe, dem es, seiner Meinung nach, an technologischen Insights fehlt, kann doch gar keine qualifizierte Meinung zum Internet abgeben!

Das Bild des Highway ist aber wohl gar nicht so unpassend für das Internet – allerdings weniger deshalb, weil über irgendwelche Backbones die Daten ungebremst dahinrasen können. Vielmehr werden beim Bau von Autobahnen ganze Landstriche wegplaniert und ehemals abgelegene Flecken sind auf einmal zu Vororten der Metropolen geworden.

“The American Way of Life: […] Was Amerika zu bieten hat: Komfort, die beste Installation der Welt, ready für use, […] wo sie hinkommen, alles wird Highway, die Welt als Plakatwand zu beiden Seiten […]

legt Max Frisch seinem misanthropen Homo Faber in den Mund. Der Highway als Bild für das Öde, Immergleiche, flankiert von Werbung. Das Einebnen und homogenisieren ehemals vielgestaltiger Regionen: es gibt für diese Analogie zwischen Autobahn und Internet vermutlich viel Sympathie unter den Buchhändlern!

Und während die Regionen, die an den Highway angeschlossen sind, sich zu einer einzigen Peripherie homogenisieren, rückt der Rest des Landes plötzlich fern ab. Menschen ohne Auto verlieren im wahrsten Sinne den Anschluss.

Nicht aktiv online zu sein bedeutet aber keineswegs, dass nicht das Internet in viele Lebensbereiche dennoch eindringt. Vom neuen Personalausweis über die elektronische Steuererklärung, von der Videoüberwachung mit Webcams bis zum Dialogmarketing, Streetview oder Yasni – jeder wird “zwangs-connected” und ein Opt-Out kann überhaupt nur der in Anspruch nehmen, der sich grundsätzlich am Spiel beteiligt und für die meisten dieser Datenbanken wird einem das Verpixeln gar nicht angeboten: In the electric world, there are no remote places.

Der Tendenz zum Niederwalzen, Einebnen, Vereinnahmen einerseits und Marginalisieren andererseits, die der Information Highway mit sich bringt, müssen Rahmenbedingungen entgegengestellt werden, die jedem die gleiche Chance zur aktiven und bewussten Nutzung des Netzes ermöglichen und gleichzeitig Meinungsvielfalt erhalten und durch “Minderheitenschutz” gezielt der Homogenisierung entgegenwirken.

Inzwischen habe ich seit drei Wochen keine Suchmaschine mehr genutzt. Ich bin dabei nicht mehr “dogmatisch” – eine Woche, drei Wochen oder für immer – das ist wohl gleich. Ich bin bis heute an keinen Punkt gekommen, an dem es mir schwer gefallen wäre, mich im Internet oder in der realen Welt ohne Google perfekt zurecht zu finden.

Im System von Google sehe ich den Information Superhighway im Guten wie im Schlechten vervollkommnet. Alles wird erreichbar, alles kann sichtbar und zugänglich werden. Alles wird zur Besten-Liste eingeebnet, die Welt zur Plakatwand um das Zitat von Max Frisch oben aufzugreifen.

Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:

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“So literature collapses before our eyes” –
Non-Commodity Production

McLuhan’s tetrad-model: four aspects of the effect of media on culture and society. This example Print and the second one Xerox are quoted from “The Global Village” by McLuhan and Powers, Oxford University Press 1989.

The idea of copyright – the right to retain publication of one’s own words – is much younger than other forms of intellectual property laws. Patents to protect the economic exploitation of technological invention, for example, have been granted by the city’s sovereign since the times of ancient Greece. But not sooner than in the 18th century the perceived value added to a society and its economy by the written word would justify a legal concept to aliment writers. The first copyright law clearly formulates this goal in its title: “An Act for the Encouragement of Learning, by vesting the Copies of Printed Books in the Authors or purchasers of such Copies, during the Times therein mentioned“, also called the Statue of Anne.

Yesterday, Bruce Sterling cried out his concern about the future of literature in three Tweets:

“*Economic calamity that hammered music hits literature. The “solution” for writers? There isn’t one.
So literature collapses before our eyes, while the same fate awaits politics, law, medicine, manufacturing… finance and real estate…
Diplomacy, the military… we’re not gonna die of this, but man, the deeper 21st century looks like nothing anyone ever imagined.” (1,2,3)

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Semaphore

Georg Scholz (1890-1945):
Kakteen und Semaphore, 1923.

LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster / Rudolf Wakonigg. Abbildung mit freundlicher Genehmigung.

Eh mon Dieu, oui, un télégraphe. J’ai vu parfois au bout d’un chemin, sur un tertre, par un beau soleil, se lever ces bras noirs et pliants pareils aux pattes d’un immense coléoptère, et jamais ce ne fut sans émotion, je vous jure, car je pensais que ces signes bizarres fendant l’air avec précision, et portant à trois cents lieues la volonté inconnue d’un homme assis devant une table, à un autre homme assis à l’extrémité de la ligne devant une autre table, se dessinaient sur le gris du nuage ou sur l’azur du ciel, par la seule force du vouloir de ce chef tout-puissant.
Dumas, Der Graf von Monte Christo

Der Chappe-Telegraf überträgt Nachrichten durch ein Alphabet, das mittels eines beweglich in der Mitte aufgehängten Balken mit je einem klappbaren Ausleger an jeder Seite durch die unterschiedlichen Stellungen dieser drei Bauteile kodiert ist. Balken senkrecht, beide Auleger rechts (vom Sender aus gesehen), bedeutet z. B. die Zahl “40”. Unter Napoleon wurden Telegrafenlinien in Form von Türmen mit solchen Semaphoren auf dem Dach quer durch Frankreich und die besetzten Gebiete angelegt, um schnellstens Nachrichten von einem Truppenteil zum anderen zu transportieren.

Im Frankreich, in das Edmond Dantes nach vierzehn Jahren Haft als Graf von Monte-Christo zurrück kehrt, spielen die Semaphore längst eine ganz andere Rolle: es sind die – wie man heute so schön sagt – Nervenstränge der Volkswirtschaft und es sind nicht mehr die Truppenbewegungen, für die sich die Empfänger interessieren, sondern Bewegungen an den Börsen.

Wie ein Astronom blickt der Mann, der den Telegraphen besetzt, tag ein tag aus in den Himmel – aber nicht um Sterne zu beobachten. In seinem Fernrohr sieht er “Ein Insekt mit einem weißen Bauch und schwarzen Krallen.”, so beschreibt der Graf von Monte-Christo seine Faszination über die Semaphore und erkennt: es ist zum ersten mal, dass indirekt und doch fast unmittelbar die Gedanken des einen Menschen in wenigen Augenblicken über eine Strecke von mehreren Tagesreisen zu einem anderen transportiert werden. Aber Edmont ist kein Kaspar Hauser, der nur über die technischen Neuheuten staunt; er erkennt sofort, wie er die Telegraphie für seine Zwecke – die Rache – dienstbar machen kann. In unseren Worten: er nutzt eine Sicherheitslücke im Protokoll und startet einen Man-in-the-Middle-Angriff. Er besticht den Telegraphen-Operator und lässt durch eine Falschmeldung eines Umsturtzes in Spanien in Paris die Börse baissieren um seinen Widersacher von einst, den Bankier Danglar zu ruinieren.

Tatsächlich beginnt mit den Semaphoren von Claude Chappe das Zeitalter der Telekommunikation. Zum ersten Mal ist es möglich, nicht nur einfache Ja/Nein-Meldungen zu vorher vereinbarten Fragen zu senden, wie dies durch Rauchzeichen oder das Schwenken von Fackeln seit dem Altertum gehandhabt worden war.

Telekommunikation vermittelt etwas konkretes über eine Distanz hinweg; das Original der Botschaft – der denkende, fühlende, sprechende Mensch, der sie sendet – bleibt im Moment des Empfangens unerreichbar, wie die Sterne, die der Astronom am Himmel beobachtet, um im Bild aus dem Graf von Monte-Christo zu bleiben. Wie die Fotografie, die etwa zeitgleich aufkommt, verändert die Telegrafie die Aura, jenes Gefühl von Unmittelbarkeit oder Unnahbarkeit, durch das wir von den Objekten unserer Wahrnehmung manchmal uns wie von einem Hauch berührt finden, das früher eng verbunden war, mit dem Numinosen, dem Charismatischen und schließlich noch dem originalen Kunstwerk.

Es ist genau dieses Gefühl, das Georg Scholz in seinem Gemälde einfängt: Im Vordergrund liegen Glühbirnen, die Leitfossilien der futuristischen Bewegung, die nicht zuletzt die Semaphore in ihrem letzten Rückzugsgebiet verdrängen, den Formsignalen der Eisenbahn, wie sie heute nur noch gelegentlich in den Gärten der Bahnfreunde zu sehen sind. Die Semaphore stehen rätselhaft hinter einer dichten, grünen Hecke vor einem abendroten Himmel, der zum Zenith hin bereits in nächtliches Dunkel fällt. In Ruhestellung. Rätselhaft auch das helle, weiße Licht, dass von einem, für den betrachter unsichtbaren Sprossenfenster von hinten in den Raum strahlt, sich in den Glühbirnen spiegelt und die Kakteen scharf beleuchtet. Ein Vorhang, wie ein Schleier, weht links vor dem Fenster; fällt er ganz darüber, droht er, den Blick auf die Signale gänzlich zu verschleiern.

Mit den Semaphoren war die Verschlüsselung von Zeichen in maschinell übertragbaren Code geboren. Eine Vielzahl von Erfindern entwickelten daraus und mit der kurz zuvor entdeckten Elektrizität in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unterschiedliche Technologien zur Signalübertragung über weite Strecken – perfektioniert durch den Morse-Telegraf und schließlich durch die kabellose Telegrafie, Anfang des 20. Jahrhunderts durch Marconi und Braun eingeführt wurde. Damit waren die Semaphore, die optischen Telegrafen, überflüssig geworden.