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“Den Schrott gibt es im Internet”? Eine kurze Replik

Gerade noch war ich in Strasbourg bei einer Journalismus-Konferenz im Europarat, den Assises du Journalisme. Gerade noch habe ich den über 200 französischen Teilnehmern der Debatte zur Rentabilität von “Slow Info” davon berichtet, wie die deutschen Diskurse zum Journalismus verlaufen. Davon, dass der Grabenkampf zwischen den Positionen “Nur Papier garantiert den Qualitätsjournalismus” und “Nur das Internet garantiert die Zukunft” der Auslöser für unser Slow Media Manifest und die Entwicklung medienübergreifender Qualitätskriterien war. Ich schaute in erstaunte französische Gesichter (nun ja, der französische Journalismus ist mit seinen eigenen Fronten beschäftigt, der “droite” und der “gauche”). Während ich das sagte, kam es mir selber absurd und überzogen vor. Hatte ich nicht doch in der Rückschau ein wenig übertrieben? Gibt es wirklich Menschen, die Medienqualität strikt nach der Mediendarreichungsform und nach nichts anderem beurteilen, nicht nach Sorgfalt der Recherche, Sprachstil, Themenauswahl, Inspiration, Haltung? Gibt es sie wirklich? Es schien mir plötzlich selbst fast karrikaturhaft.

Und heute lese ich die Worte von Michael Ringier, der auf den Zeitschriftentagen des VDZ tatsächlich genau das sagt, jetzt heute, nicht vor 10 oder 20 Jahren: “Den Schrott gibt es im Internet”, mithin: Die Qualität gibt es (nur) nur auf Papier.

Ganz ehrlich, ich bin diese Ignoranz allmählich leid. Lieber Herr Ringier, lassen Sie es mich noch einmal sagen, nur einmal noch: SCHROTT gibt es im Internet UND auf Papier, genauso wie es QUALITÄT auf Papier UND im Internet gibt. Kein klar denkender Mensch wird das im Ernst leugnen können.

Pardon, meine Lieben. Ich habe ein wenig die Contenance verloren. Ich war wohl noch etwas aufgewühlt durch Herrn Döpfner im Handelsblatt. Dabei habe ich eigentlich alles andere zu tun als mich hier zu echauffieren. Zum Beispiel einen Bericht über meine schöne Konferenz in Strasbourg zu schreiben. Von dem Podium, auf dem ich saß, mit einem Journalisten, der ein Printmagazin produziert, einem Hörfunkredakteur und einem Betreiber eines Webportals. Und die alle ihren Hörern, Lesern, Zuschauern höchste und ausgesuchte Qualität bieten. Von den Journalisten und Journalistikstudenten, die zahlreich und mit sehnsüchtigen Augen im Publikum saßen und die alle danach lechzen, diese Qualität zu produzieren und aufwendige, hochwertige, hintergründige Arbeit machen wollen, keinen Schrott. Und die nach “modèles economiques” suchen, die es ihnen erlauben, davon zu leben. Während diese Studenten gierig danach sind, Qualität zu produzieren, reiben sich Verlagsleiter an Nebenkriegsschauplätzen ab, anstatt nach praktikablen neuen Modellen zu suchen. Darum sollten Sie sich kümmern, Herr Döpfner und Herr Ringier: Finden Sie Geschäftsmodelle, die es diesen zukünftigen Journalisten ermöglichen, Qualität zu machen! Oder finden Sie jemanden, der ihnen dabei hilft. Denn ja, es gibt Modelle und noch jede Menge unentdeckte und ungedachte Möglichkeiten. Aber diese Nischen findet nur, wer innehält und hinsieht. Das geht nicht mit business as usual und Pfeifen im Walde. Die Sache hier ist ernst, meine Herren. Es geht um die Zukunft des Journalismus. Das sollte ein bisschen Aufmerksamkeit und Neudenken wert sein.

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Einen kurzen Nachtrag gibt es hier.

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“Alles wird Highway”

(drei Wochen ohne Google)

[Read this post in English]

“Der Bau eines neuen ELECTRONIC SUPER HIGHWAY wird ein noch größeres Unternehmen [als der Bau der Interstate Highways] sein. Stellen Sie sich vor, wir verbinden New York und Los Angeles mit einem leistungsfähigen Breitband-Telekommunikationsnetz, das kontinentale Satelliten, Wellenlängengeneratoren, Bündel von Koaxialkabeln nutzt, und später mit von Glasfaserkabeln übertragenen Laserstrahlen. […] Der Effekt […] wäre weitaus größer [als der des Highway-Baus im New Deal der dreißiger Jahre; Einfügung von mir].”(zitiert nach Wulf Herzogenrath (Hsgb.): “Nam June Paik. Werke 1946-1976”, Köln 1976.)

Auf der Biennale in Venedig zeigte Nam June Paik als Beitrag Deutschlands 1993 den Electronic Superhighway ‘Venice → Ulan Bator’. Paik hatte bereits 1974 in einer Studie der Rockefeller Foundation ein Konzept zu einer Datenautobahn vorgestellt, dass Bill Clinton in seinem Wahlkampf zwanzig Jahre später aufgreifen sollte.

“How many slums will we bulldoze to build the Information Superhighway?” Kivistik said. […] “How many on-ramps will connect the world’s ghettos to the Information Superhighway.?”
Neal Stephenson, Cryptonomicon

Das Internet als Datenautobahn; von Anfang an wurde diese Metapher verächtlich belächelt. Helmut Kohl klingt uns in den Ohren und Al Gore in unerträglicher Selbstgerechtigkeit.

Auch Randy Waterhouse, der Protagonist von Neal Stephensons großartigem Roman Cryptonomicon empört sich darüber, dass ihm der scheinbar komplett von Technologie unbeleckte Soziologe Dr. Kivistik sein schönes Internet madig machen möchte, indem er die Parallele des “Information Superhighway” mit dem Bau von Autobahnen in der Offline-Welt weiterzieht.

“I know that you’re not qualified to have an opinion about technical issues.” blökt Waterhouse hilflos zurück; der Soziologe, dem es, seiner Meinung nach, an technologischen Insights fehlt, kann doch gar keine qualifizierte Meinung zum Internet abgeben!

Das Bild des Highway ist aber wohl gar nicht so unpassend für das Internet – allerdings weniger deshalb, weil über irgendwelche Backbones die Daten ungebremst dahinrasen können. Vielmehr werden beim Bau von Autobahnen ganze Landstriche wegplaniert und ehemals abgelegene Flecken sind auf einmal zu Vororten der Metropolen geworden.

“The American Way of Life: […] Was Amerika zu bieten hat: Komfort, die beste Installation der Welt, ready für use, […] wo sie hinkommen, alles wird Highway, die Welt als Plakatwand zu beiden Seiten […]

legt Max Frisch seinem misanthropen Homo Faber in den Mund. Der Highway als Bild für das Öde, Immergleiche, flankiert von Werbung. Das Einebnen und homogenisieren ehemals vielgestaltiger Regionen: es gibt für diese Analogie zwischen Autobahn und Internet vermutlich viel Sympathie unter den Buchhändlern!

Und während die Regionen, die an den Highway angeschlossen sind, sich zu einer einzigen Peripherie homogenisieren, rückt der Rest des Landes plötzlich fern ab. Menschen ohne Auto verlieren im wahrsten Sinne den Anschluss.

Nicht aktiv online zu sein bedeutet aber keineswegs, dass nicht das Internet in viele Lebensbereiche dennoch eindringt. Vom neuen Personalausweis über die elektronische Steuererklärung, von der Videoüberwachung mit Webcams bis zum Dialogmarketing, Streetview oder Yasni – jeder wird “zwangs-connected” und ein Opt-Out kann überhaupt nur der in Anspruch nehmen, der sich grundsätzlich am Spiel beteiligt und für die meisten dieser Datenbanken wird einem das Verpixeln gar nicht angeboten: In the electric world, there are no remote places.

Der Tendenz zum Niederwalzen, Einebnen, Vereinnahmen einerseits und Marginalisieren andererseits, die der Information Highway mit sich bringt, müssen Rahmenbedingungen entgegengestellt werden, die jedem die gleiche Chance zur aktiven und bewussten Nutzung des Netzes ermöglichen und gleichzeitig Meinungsvielfalt erhalten und durch “Minderheitenschutz” gezielt der Homogenisierung entgegenwirken.

Inzwischen habe ich seit drei Wochen keine Suchmaschine mehr genutzt. Ich bin dabei nicht mehr “dogmatisch” – eine Woche, drei Wochen oder für immer – das ist wohl gleich. Ich bin bis heute an keinen Punkt gekommen, an dem es mir schwer gefallen wäre, mich im Internet oder in der realen Welt ohne Google perfekt zurecht zu finden.

Im System von Google sehe ich den Information Superhighway im Guten wie im Schlechten vervollkommnet. Alles wird erreichbar, alles kann sichtbar und zugänglich werden. Alles wird zur Besten-Liste eingeebnet, die Welt zur Plakatwand um das Zitat von Max Frisch oben aufzugreifen.

Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:

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Digitale Zwangsneurosen

… das Ritual ist ein wirkungsloser oder symbolischer Versuch, diese Gefahr abzuwenden.
ICD 10 – F42

Google StreetView ist jetzt auch in Deutschland gestartet und es fehlen ein paar Hunderttausend Fassaden darin. Auch meine Hausfassade wird nicht zu sehen sein – ich habe vor einiger Zeit von meinem Verpixelungsrecht Gebrauch gemacht – teils zur Vorbereitung auf einen Expertentalk bei AntenneBayern, teils weil ich die Darstellung, wie und wo ich lebe, gerne selbst inszenieren möchte.

Aber ich glaube weder, dass mit dem systematischen Abfotografieren von Häusern unsere Privatsphäre plötzlich aufgelöst wird. Noch bin ich ein Anhänger der Theorie, dass 244.000 fehlende Fassaden zwangsläufig dazu führen werden, dass sich das schöne, bunte Internet auf einmal mit einem leisen Plopp in nichts auflösen wird. Kurz: Ich denke, dass es wichtigere Themen gibt.

Sehr befremdlich finde ich aber einige Reaktionen auf diese deutschen “Pixelbomben“, wie Jeff Jarvis es nennt. Was ist so schlimm daran, wenn eine Plattform wie Google StreetView weiße Flecken bzw. verpixelte Flächen aufweist? Wenn ich eine Erkenntnis aus meiner gut zehnjährigen Zeit als universitärer Soziologe mitgenommen habe, dann die: Wissen ist immer lückenhaft. Und das ist gut so.

Nicht der Mut zur Lücke ist eine Bedrohung für unser Gemeinwesen, sondern der Zwang zur Vollständigkeit. In diesem Punkt liegt Jeff Jarvis völlig falsch. Die “Stasileute und Nazis“, von denen Jeff Jarvis spricht, hätten nicht das Verpixeln klasse gefunden, sondern die vollständige und systematische Abbildung der Welt. Ganz abgesehen davon, dass sie wahrscheinlich Twitter und Facebook für viel spannender und ergiebiger gehalten hätten.

Woher kommt dieser seltsame Drang zur Vollständigkeit und Eindeutigkeit (eine verpixelte Fassade ist schließlich nicht einfach ausgeblendet, sondern mehrdeutig)? Gerade die letzten Social-Media-Jahre haben doch deutlich gezeigt, dass hier lauter neue Biotope und Communities entstehen, die eben nicht so sauber und ordentlich organisiert sind wie das Organigramm einer Bundesbehörde. Wissensbestände sind entstanden, die nicht einer eindeutigen und vollständigen Klassifikation à la Dewey entsprechen, sondern aus lose miteinander verknüpften Informationsknäueln bestehen.

Projekte wie Wikipedia oder Openstreetmap sind gerade nicht von oben nach unten am Reißbrett geplant, sondern entstehen en passant, zum Teil im Gebrauch der Menschen (der Soziologe in mir hätte jetzt beinahe das schön bürokratisch klingende “Handlungsvollzug” geschrieben). Openstreetmap zum Beispiel ist um meinen Wohnort herum sehr dicht mit Informationen. Im Nachbarort dagegen fehlt noch vieles. Ist das ein Problem?

Wahrscheinlich sind die Anzeichen der digitalen Zwangsneurose auch nur eine verständliche Reaktion auf die noch einmal gesteigerte Unübersichtlichkeit der “Ganz Neuen Medien”. Hier gibt es Rundfunk ohne Sendeplan, Publikationen ohne Herausgeber, Inhalte ohne Autoren – Social Media ist eine Welt der Antipoden und Fabelwesen. Und trotzdem von Tag zu Tag realer für uns alle. Die Reaktion, diesen chaotischen Urwald in ein ordentliches Blumenbeet zu verwandeln, ist verständlich – wir alle haben unseren Zygmunt Bauman gelesen. Aber dass dieser Drang nicht von einem Gärtnerstaat ausgeht, sondern den Hobbygärtnern selbst, das ist beunruhigend.

Was kommt als nächstes? Entdeckt vielleicht einer der Internetaktivisten, dass die Datensätze der großen Adresshändler in Deutschland auch noch Lücken haben? Wird es dann eine Task-Force geben, die dafür sorgt, dass auch wirklich jeder Bürger in den Direktmarketing-Datenbanken erfasst ist?

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Über Glaubwürdigkeit, Schreiben und Handeln

Ich habe neulich über Twitter einen Hinweis auf einen Artikel der Financial Times Deutschland bekommen: Bernd Oswald schreibt dort über den “PR-Journalismus im digitalen Zeitalter”. In dem Beitrag wird der Eindruck vermittelt, dass das Medium Internet zu einer unseligen Verflechtung von PR und Journalismus geführt habe, von Unternehmensinteressen und öffentlicher Berichterstattung. Diese Aussage kann ich so nicht gelten lassen. Im Gegenteil handelt es sich bei der Vermischung von PR und Journalismus um eine ungebrochene Tradition, die mit dem Erscheinen der Online-Medien am Publikationshorizont nichts zu tun hat. Zu Beginn der 90er Jahre war es jedenfalls Gang und Gäbe und keinesfalls unüblich, dem Publikationswunsch eines Pressetextes bei der Redaktion mit dem Hinweis auf die Anzeigenabteilung Nachdruck zu verleihen. Vom Internet war damals noch weit und breit nichts zu sehen. Die Personalausstattung der Redaktionen war schon zu dieser Zeit so ausgelegt, dass ein gewisser Prozentsatz an externen, aus der PR stammenden Beiträgen durchaus einkalkuliert war. Man könnte meinen, dass sich dieses Problem nun erledigt habe (keine Anzeigenkunden, keine Interessenskonflikte), aber so ist es – noch – nicht.

Als Beispiel für die Interessensvermischung durch das Digitale führt der Beitrag Richard Gutjahrs Berichterstattung von der iPad-Premiere an: “PR-Journalismus reinsten Wassers” (diese Formulierung stammt nicht von Oswald selbst, sondern von Thomas Leif, dem Vorsitzenden des Netzwerks Recherche). Und hierin besteht meiner Meinung nach ein Missverständnis. Die Frage lautet: Ist es – und unter welchen Umständen – journalistisch legitim, positive Berichte über Unternehmen und ihre Produkte zu machen? Wann ist es glaubwürdig, wann ist es ein Interessenskonflikt? Wie subjektiv darf ein Journalist sein? Ist es “Selbstvermarktung, Aushöhlung journalistischer Standards und […] reine Werbung”, wenn ein Jounalist sich 24 Stunden lang in New York in die iPad-Warteschlage einreiht und von dort aus live per Twitter, Blog und Printbeiträgen berichtet? Die Fragen sind interessant und führen zu Haltungs-Unterschieden im Print- und Online-Journalismus.

Darf ich mich zum Beispiel als Autorin des Wirtschaftsmagazins brand eins noch positiv über sie äußern? Ist es ein Interessenskonflikt, wenn wir als Slow Media Autoren die brand eins als Prototyp erfolgreicher Slow Media darstellen? Darf ich das? Meine Antwort hierauf lautet: Ja. Weil ich selbst weiß, wie die Reihenfolge ist: Meine Haltung zu brand eins war schon vorher da, nur deshalb bin ich überhaupt dort Autorin geworden. Wenn ich sie nicht für ein beeindruckendes Qualitätsmedium gehalten hätte, hätte ich ihr nicht als erstem Publikatinsmedium meinen Twitter-Beitrag angeboten. Ergo wäre ich nicht brandeins-Autorin geworden. Ich handle und schreibe nach meiner (vielleicht fehlbaren aber) wirklichen Überzeugung.

Eine ähnliche Haltung unterstelle ich auch bei Richard Gutjahr, wenn er zur iPad-Premiere nach New York reist. War er schon vorher überzeugter, erklärter und offener Apple-Addict? Ja (zumindest nach dem Eindruck, den ich von ihm über längere Zeit über Twitter und seinen Blog gewonnen habe). Ist es unglaubwürdig, wenn er dann nach New York fährt und davon berichtet? Eher nein. Macht es ihn käuflich? Möglicherweise, vielleicht auch nicht. Die Handlung wäre jedenfalls nicht mit einem beliebigen anderen Event, dem Launch eines xy-Produktes austauschbar.

Wie also definieren wir Glaubwürdigkeit? Ich denke, Glaubwürdigkeit ist da, wenn Stimmigkeit zu dem sonstigen Handeln und Schreiben besteht. Das setzt zwei Dinge voraus: Der Mensch und seine Haltung müssen hinter der Reportage, den Zeilen, dem Podcast sichtbar werden (dies ist übrigens These 14 unseres Slow Media Manifestes). Und die Leser müssen mehrere Beiträge desselben Autors gelesen haben, um ihn überhaupt einschätzen zu können. Das verlangt eine Bindung zwischen Lesern und Schreibenden, die ich dem Journalismus in Zukunft wünsche, ob nun print oder online.

Neulich habe ich einen Anruf im Auftrag einer namhaften überregionalen Print-Tageszeitung aus großem Verlagshaus erhalten. Es ging um ein “Themenspecial”, in dem wir mit unserer Agentur eine Anzeige schalten sollten. Neben dem Anzeigenplatz wird unverhohlen der redaktionelle Teil der Qualitätszeitung mitverkauft:  “1/3 Seite neutraler Fachbeitrag in dieser Ausgabe, der aus Ihren Themenvorschlägen von unserem Autor für Sie erstellt wird”, so lautet es im Angebot. Ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass das Realität ist. Trotzdem irriert es mich, dass mein Gesprächspartner nicht einmal merkte, wie absurd es ist, Geld zu zahlen, um sich dann im redaktionellen Teil als Expertin für authentische Kommunikation zu präsentieren.  Ich habe Mitleid mit den Autoren, die diese Texte schreiben und am Ausverkauf des Journalismus mitwirken müssen. Natürlich spürt man in solchen Texten nicht mehr den Menschen, der sie schreibt. “Entfremdung” ist das Wort, das mir dazu einfällt als jemand, der selber schreibt. Es geht nur noch um die Schaffung anzeigenfreundlicher redaktionellen Umfelder. Ob es um das Thema “Knochen und Gelenke”, “Versicherungen” oder “Kommunikation der Zukunft” geht, ist völlig egal. Der journalistische Text (für den ich noch immer mütterliche Gefühle hege) wird hier zur völlig austauschbaren Ware.

“Selbstvermarktung, Aushöhlung journalistischer Standards” – hier sehe ich sie tatsächlich. Die Zukunft des Journalismus kann so etwas nicht sein. Das rettet einen Verlag höchstens über die nächsten Jahre. Vielleicht wäre es jetzt die Aufgabe für den Journalismus, sich zwischen den Polen der Entfremdung und der Subjektivität einen neuen Ort zu suchen.

Nachtrag (10. November 2010):

Gerade sehe ich ein sehr interessantes Interview mit Chris Anderson, dem Chefredakteur der Wired (über die wir hier bereits berichtet haben).

Er stellt folgendes fest (und das schließt hervorragend an die obigen Ausführungen über Redaktions/Anzeigen-Interessensverquickung an):  Im 20. Jahrhundert haben die Zeitschriften/Zeitungsverlage die Frage “Who is my customer?” de facto mit: “the advertiser” beantwortet (bzw. beantworten müssen). Da stellt Anderson nun einen Wandel fest: Die Finanzierung läuft inzwischen zu gleichen Teilen über Anzeigenkunden und Leserschaft. Dadurch rückt der Leser plötzlich in den Fokus: “Going forward if my customer becomes my reader I am going to do the right thing for the reader – because it improves my profit.” Dass Publikatinsmedien ihre Leser zukünftig als ihre Kunden betrachten könnten, das finde ich eine ganz wunderbare Aussicht. “It’s the most exciting time in media ever.” Und auch hier muss ich ihm zustimmen.

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Eine Woche ohne Google.

Heute ist Streetview in Deutschland gestartet. Und ich habe jetzt genau eine Woche weder Google Search noch Google Maps oder Streetview noch sonst eine Suchmaschine genutzt. Eine Woche ohne Google oder einen Monat – ich denke, es macht keinen Unterschied: geht es eine Woche, geht es immer.

Es war,zum ersten, viel leichter, als ich dachte: das meiste, was ich suche, findet ich – ohne Spam – auf Wikipedia. Was dann noch fehlt, bekommeich über die Blogs und Websites, die ich lese und wenn mir wirklich etwas fehlt, hilft die #Followerpower auf Twitter – irgendjemand weiß immer Rat.

Zweitens – und das finde ich wirklich bemerkenswert: das Internet wirkt plötzlich nicht mehr wie eine Wüste; ich habe nicht mehr das Gefühl, dass unter 1000 Seiten, die mir angeboten werden höchsten eine ist, die mich wirklich interessiert. Ich bin seit einer Woche wirklich nicht auf eine einzige Seite getroffen, bei der es sich nicht gelohnt hat, zu verweilen. Keine Honey-Pots, Seiten, die uns zu sich über suchmaschinen-optimierte Versprechen zu sich ziehen, wie der süße Duft des Honigs die Bienen anlockt; keine der meist lieblosen und fast immer wertlosen Portalangebote, die jede Suche dutzendweise nach oben spühlt; diese Seiten tauchen nämlich weder auf Wikipedia noch in meiner Timeline jemals auf.

Im Internet surfen – das war das Bild, dass in der Zeit vor Google unser Gefühl beschrieben hat, im Internet von einer Welle zur nächsten zu gleiten. Dieses Gefühl kann man immer noch haben – man muss nur aufhören, zu suchen.

Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:
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Das Lauf-Simulacrum
Ohne Google – Tag 5

“The iFit Map Library provides exciting opportunities for you to tour the world, run and train for races and compete with others — right from your own home.” http://ifit.nordictrack.com/

Das Simulacrum des Laufens: ein Trainigsangebot, auf das ich durch einen TV-Spot aufmerksam geworden bin (ja, im Ausland schaue ich auch machmal noch fern). Es ist bisher die einzige Anwendung von Google Streetview, der ich bisher begegnet bin. Da kann ich Benedikt nur zustimmen: das soll alles sein?

Während meine eigenen Beine in diesem Augenblick müdegelaufen sind, sich mein Gesicht vom kalten und zum Teil recht starken Wind und der vielen Sonne des Tages noch stark durchblutet anfühlt, stelle ich mir jetzt vor, meinen ganzen heutigen Fußmarsch von etwa zehn Kilometern auf einem Laufband zu absolvieren, auf einem Bildschirm vor Augen die Ansicht des Wegs, die Google Streetview bietet, die sich, passend zu meiner simulierten Geh-Geschwindigkeit mitbewegt.

Während ich in Wirklichkeit mehrfach über den unregelmäßigen Belag der Gehwege gestolpert bin, würde das Laufband ganz und gar eben vor sich hin rollen; und wie seltsam sich die Stadt wohl verklärt, wenn der warme, muffige Wind aus den U-Bahn-Schächten fehlt, und das ständige Dröhnen des Verkehrs. Es versperren bei Google auch keine Obdachlosen den Weg mit dem Einkaufswagen, auf dem sie ihre Habe getürmt transportieren; man muss keinen Hunden ausweichen und man rempelt dort auch keine Senioren an, die mit ihrem Rollator unvermittelt vor einem stehen bleiben.

Und ich hatte schon gefürchtet, dass ich heute gar nichts passendes über meine Zeit ohne Google zu berichten gehabt hätte …

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Medienkompetenz: unser Umgang mit den Apparaten. Ohne Google, Tag 4

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“Ask any kid what Facebook is for and he’ll tell you it’s there to help him make friends. […] He has no idea the real purpose of the software, and the people coding it, is to monetize his relationships. He isn’t even aware of those people, the program, or their purpose. […]
The kids I celebrated in my early books as “digital natives” capable of seeing through all efforts of big media and marketing have actually proven *less* capable of discerning the integrity of the sources they read and the intentions of the programs they use.”

Douglas Rushkoff

Vilém Flusser hätte Google einen Apparat genannt, der funktional sehr einfach aber strukturell hoch komplex ist. Vor solchen Apparaten hatte uns Flusser stets gewarnt: sie zu beherrschen ist fast unmöglich – zuviel Spezialwissen aus unterschiedlichen Disziplinen ist dazu nötig; sich von ihnen beherrschen zu lassen dagegen ist ganz einfach: sie sind uns nützlich und für jeden leicht zugänglich – auch ohne Expertise.

Was für die Nutzung des Internets generell gilt, sollte uns für Google besonders wichtig sein. Im September haben laut ComScore knapp fünfzig Millionen Deutsche auf Google zugegriffen, das sind etwa 90 % der Online-Bevölkerung; jeder dieser fünfzig Millionen Besucher war dabei im Schnitt vierzig Mal auf den Google-Seiten. Und während die meisten Nutzer auf die Frage nach dem Existenz-Grund für Google wohl ähnlich auf den Nutzen beziehen würden, die sie sich selbst durch die Suchmaschine versprechen, wird doch spätestens bei der Veröffentlichung der Quartalsergebnisse deutlich, dass Google unter allen Medien inzwischen wahrscheinlich der effizienteste Werbeträger ist – zumindest was Performance-Werbung betrifft.

Die Menschen hinter SEO und SEM haben Google genau in diesem Sinne verstehen gelernt. Und damit auch klar ist, worum es sich bei den Search-Experten handelt, gibt es eine schöne, bildhafte Einteilung in zwei Lager:
die Black Hats – die Bösewichte aus dem Western, die systematisch die Schwächen der Such-Algorithmen ausnutzen, die bei so komplexen Systemen unvermeidbar sind, und die White Hats, als die man in der IT-Praxis die Sicherheitsexperten, die “Guten” Hacker bezeichnet, die mit ihrem Wissen helfen sollen, Systeme zu stabilisieren.

Für uns Nutzer ist es aber tatsächlich egal, ob wir von einem düsteren Black Hat auf eine Seite gelotst werden, auf die wir gar nicht wollten, oder ob uns ein White Head, ein Angestellter einer “seriösen Search-Agentur” ein Suchergebnis nach oben optimiert wurde, das wir auch nicht bekommen wollten. Aber im Englischen kommt bei beiden Begriffen eine schöne Doppeldeutigkeit zum tragen: Blackhead und Whitehead – beides bedeutet Mitesser. Das heißt, auch bei den SEO-Profis, die sich vielleicht selbst als die Helden mit den weißen Hüten sehen möchten, kommt unweigerlich die Assoziazion von lästigen Hautunreinheiten.

“When human beings acquired language, we learned not just how to listen but how to speak. When we gained literacy, we learned not just how to read but how to write. And as we move into an increasingly digital reality, we must learn not just how to use programs but how to make them.

Digital tools are not like rakes, steam engines, or even automobiles that we can drive with little understanding of how they work. Digital technology doesn’t merely convey our bodies, but ourselves.

At the very least we must come to recognize the biases – the tendencies- of the technologies we are using.”

schreibt Douglas Rushkoff weiter.

Digital Literacy – Medienkompetenz für Online-Medien – besteht nicht nur darin, zu Wissen wo und wie man relevante Informationen findet, es geht nicht nur darum, die Qualität von Quellen kritisch beurteilen zu können und auch nicht nur darum, mit persönlichen Daten sorgfältig umzugehen. Digital Literacy bedeutet zu allererst zu erkennen, welche Interessen im Netz wirken, auf welche Absichten verfolgen, bestimmte Dienste anzubieten und die technologischen Grundlagen dafür zu begreifen.

Und genaus, wie wir nicht nur hören sondern auch sprechen lernen, nicht nur lesen, sondern auch schreiben, wird das, was uns im Umgang mit Medien wirklich kompetent macht, erst erreicht, wenn wir nicht nur passive Nutzer sind, sondern aktiv eingreifen. Wir sollten alle – wenigstens in Grundzügen – die Fähigkeit besitzen, SEO zu machen. Wir sollten die Funktionsweise der Apparate für unsere Zwecke einsetzen, genau so, wie die Suchmaschinen-Optimierer dies tun, und zwar so gut wir können, unseren Teil vom Profit aus diesen Strukturen holen.

Oder wie Benedikt Köhler bemerkt: “Maschinen sind dazu da, uns zu dienen. Aus der Kultur der Hacker können die Medienmacher lernen: sich nicht den Maschinen unterordnen, sich genausowenig verweigern, sondern die Maschinen ausnutzen, ja regelrecht ausbeuten, versklaven!”

Gerade sitze ich in Schwechat. Es ist ein wunderschöner Herbsttag und auch gestern ist es mir wiedermal nicht besonders schwer gefallen, auf Suchmaschinen zu verzichten. Alles, was ich an Links gebraucht habe, um etwa diese Reise vorzubereiten, habe ich auf Wikipedia gefunden oder von Freunden empfohlen bekommen.

Weiterlesen:
“Das Heer der technischen Sklaven”

und die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:
Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:

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Zensur?!
Mein Tag 3 ohne Google.

[Read this post in English]

Leave aside the fact that Google was happy to censor results for China until its servers were hacked. The fact is, Google still censors search results in other countries at the request of their governments. […] Censoring results for years, shifting course for entirely unrelated reasons, and then vilifying competitors who don’t jump on the bandwagon. (Though, of course, completely Google’s prerogative.) But it’s particularly hypocritical when Google is still happily censoring its search and YouTube products for other countries.
http://www.businessinsider.com

Den heutige Post zu meiner Internetnutzung ohne Suchmaschinen habe ich in Berlin geschrieben. Er ist entsprechend staatstragend.

Die indifferente Haltung bis zur willfährige oder sogar vorauseilenden Unterstützung von Unrechtsregimen durch Google, Microsoft und andere Medienkonzerne verdient unsere Kritik in aller Schärfe. Meldungen wie Googles Einlenken gegenüber den französischen Behörden hinterlassen ebenfalls ein Gefühl von Ratlosigkeit. Was passiert, wenn einem so zentralen Teil unserer Kommunikationsinfrastruktur über reine Verwaltungsakte Fesseln angelegt werden?

Offenbar fehlt etwas: die Würdigung von Online-Medien als zunehmend relevante Plattformen unserer politischen und gesellschaftlichen Meinungsbildung, den Online-Medien den staatlichen Umgang und den verfassungmäßigen Rang zuzuweisen, den sie ihrer Bedeutung nach längst verdienen.

Meist wird mit Zensur die gewaltsame Unterdrückung von kritischen oder vom Mainstream abweichenden Meinungen verbunden. Von der Verbannung Ovids über den Index der Kirche, der bürgerlich-autoritären Zensur in Metternichs Deutschem Bund zu den mörderischen Systemen totalitärer Zensur des zwanzigsten Jahrhunderts: es fallen mir beim ersten Nachdenken wenig Gründe ein, warum es Staaten erlaubt sein sollte, freie Rede und deren Zugänglichkeit zu beschränken.

Dennoch gibt es bei differenzierter Betrachtung sehr wohl Gründe, warum wir das Recht zur Auseinandersetzung mit Google haben. Diffemierungen, Rechtsbrüche, Hetze, all das ist mit Grund aus den Medien verbannt worden. Und zu Recht gibt es einen Presserat und die Möglichkeit zur Klage (und zwar nicht nur in Hamburg …). Wir sollten uns nicht einreden lassen, dass unsere Forderung nach der Einhaltung demokratischer Rechte einen “Dammbruch” (was für eine hole Metapher!) der Zensur bedeutet und uns die Legitmation nimmt, gleichzeitig weltweit für unser Verständnis von Meinungsfreiheit zu werben.

Die Forderung, das Internet sei Rundfunk, die der bayerische MInisterpräsident in seiner Eröffnungsrede der diesjährigen Medientage erhoben hat, halte ich für vollkommen Gerechtfertigt. Das Internet tritt nicht nur an die Stelle des Rundfunkts, es leistet schon jetzt weit mehr, was Meinungsbildung, Information und Unterhaltung betrifft, als die Verlage und Rundfunk es je getan haben.

Umso wichtiger ist es, für Pluralität zu sorgen, für eine Vielfalt von Angeboten, zu denen auch staatlich bzw. öffentlich geförderter, kultureller und journalistischer Freiraum gehören müssen.

Auch wenn ich schon den dritten Tag gut ohne Suchmaschinen leben kann, bin ich nicht so naiv zu glauben, dass es sich bei meinem Google-Fasten um mehr als eine zeitlich begrenzte Abstinenz handeln kann: ich will gar nicht auf Dauer und vollständig auf Suchmaschinen verzichten müssen. Ich will aber nicht in Abhängigkeit von ihrer Totalität geraten. Ich wünsche mir, dass sich aus der Mitte der europäischen Gesellschaften heraus eine liberal-bürgerrechtliche Bewegung formiert, die durch attraktive Gegenangebote von der Art von Wikipedia oder OpenStreetMap lautstark ihre Position im Netz artikuliert.

Weiterlesen:
Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:

und: Virtueller Rundfunk. Mein Plädoyer für eine starke Öffentlichkeit im Internet.