Das Tempo, in dem sich unsere Welt verändert, wird immer schneller. So viele neue Technologien, wie zur Zeit erfunden wurden, gab es in keinem Zeitabschnitt zuvor. Kurz: Wir leben in einer Zeit allerschnellsten Wandels. So erzählen uns das auf jeden Fall die Journalisten, Politiker, Wissenschaftler und Philosophen. Aber ist das tatsächlich der Fall? Kann die Menschheit des frühen 21. Jahrhunderts tatsächlich kaum mehr Laufen vor lauter Innovationskraft? Oder erleben wir gerade die Entstehung eines neuen posthistorischen Mythos hautnah mit? Tim Harford argumentiert in der aktuellen Wired genau in diese Richtung.
Klar, niemand bestreitet, dass das Internet die Weltgesellschaft vom wirtschaftlichen Substrat bis zum geistigen Überbau kräftig durchgeschüttelt hat und viele Veränderungen sich erst in ihren ersten Vorbeben abzeichnen. Aber die technologische Basis aller shiny & new Internetplattformen ist schon mehr als 40 Jahre alt. Die Grundlage der Datenübertragung von hochmodernen Plattformen wie Facebook, Foursquare oder Google ist das TCP/UP-Protokoll, die “Specification of Internet Transmission Control Program” aus dem Dezember 1974. Mit jedem Link, auf den wir klicken, setzen wir einen Oldtimer in Bewegung.
Aber was für die virtuelle Mobilität gilt, trifft erst recht auf die physische Mobilität zu. Wenn ich innerhalb Europas mit dem Flugzeug unterwegs bin, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, mit einem echten Oldtimer unterwegs zu sein – die Boeing 737 hatte ihren Erstflug im April 1967. Im Langstreckenbereich sieht das nicht anders aus: Die Boeing 747 ist regulär seit 1970 unterwegs und was die außerirdische Mobilität betrifft: Das Space Shuttle wird vermutlich dieses Jahr im hohen Alter von 34 Jahren endgültig musealisiert.
Dagegen hat sich bei dem sehr viel langsameren Fortbewegungsmittel Fahrrad seit den 1970er Jahren sehr viel mehr getan. Die damals üblichen gemufften Stahlrenner sind fast schon ausgestorben. Die neuen Werkstoffe Kunststoff (“Karbon”) oder Aluminium haben den Stahl fast schon abgelöst. Hier muss man schon eher auf die Mechanik blicken, um auch hier die Entschleunigung festzustellen: Das Prinzip des Umwerfers, der die Kette relativ grobmotorisch von einem Blatt zum nächsten lenkt, hat sich seit
den 1960er Jahren nur marginal verändert.
Tyler Cowen beschreibt diese Ungleichzeitigkeit der technologischen Entwicklung in seinem wunderbar barock überschriebenen Band “The Great Stagnation: How America Ate All The Low-Hanging Fruit of Modern History,Got Sick, and Will (Eventually) Feel Better”. Obwohl der Titel eher pessimistisch klingt, ist die Grundaussage eigentlich eine frohe Botschaft: Die “stagnierenden” Technologien wie Internetprotokolle, Rasierhobel oder Umwerfer funktionieren schon so gut, dass jeder weitere marginale Verbesserungsschritt unmäßige Kosten verursachen würde. Die Wired-Antwort lautet: mehr und bessere Fortschrittsförderung. Aus Slow Media-Perspektive könnte man aber auch schlussfolgern: Genießen wir den Fortschritt, den wir schon haben.