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Die Kulturindustrie

Albion Flour Mills
“Dark satanic mills” – so schildert Wiliam Blake in seiner wunderschönen Hymne ‘Jerusalem’ die Industrie am Ende des 18. Jahrhunderts heraufziehen, die teuflischen Mühlen einer Industrie, in der alles zur Ware wird.

“Die Kapitalkraft der Verlage, die Verbreitung durch Rundfunk und vor allem der Tonfilm bilden eine Tendenz zur Zentralisierung aus, die die Freiheit der Wahl einschränkt und weithin eigentliche Konkurrenz kaum zuläßt.”

Was Adorno in seiner Schrift “Über Jazz” 1936 beklagt, klingt wie ein Rant eines Netzaktivisten gegen die sogenannte Content-Mafia von heute.

Aber die Perspektive hat sich umgekehrt. Adorno sieht mit Entsetzen, wie Kunst und Kultur zur Industrie verkommen. Wir heute erleben eben diese Kulturindustrie im Abwehrkampf gegen einen kulturellen Wandel, der die Gewissheiten geistiger Wertschöpfung des 20. Jahrhunderts einfach wegzuwischen scheint.

Wenn wir ACTA, SOPA, PIPA und all die anderen Gesetzes-Monster verstehen wollen, hilft es, sich zu vergegenwärtigen, wie jene Content-Industrie entstanden ist.

“Die Rolle der Musik im gesellschaftlichen Prozess ist ausschließlich die der Ware; ihr Wert der des Marktes. Sie dient nicht mehr dem unmittelbaren Bedürfnis und Gebrauch, sondern fügt sich mit allen anderen Gütern dem Zwang des Tausches um abstrakte Einheiten und ordnet mit ihrem Gebrauchswert, wo immer er übrig sein mag, dem Tauschzwang sich unter” (Adorno, “Zur Gesellschaftlichen Lage der Musik”)

Kunst, kulturelles Schaffen, ebenso wie Erfindungen und wissenschaftliche Erkenntnis verändern ihren Charakter ab dem Ende des 18. Jahrhunderts grundlegend. Die “Schöpfer” geistiger/kultureller Werke werden zunehmend nicht mehr wie Handwerker nach Stunden oder anderen Aufwänden bezahlt, sondern danach, welchen monetären Wert ihrem Werk durch einen Markt beigemessen wird.

Damit reihen sich geistige Werke in die Welt der Waren ein, die in einer modernen Gesellschaft eben nicht nach ihrem Gebrauchswert gehandelt werden, sondern nach einem abstrakten Tauschwert – sprich einem Kaufpreis in Geld, der nur noch lose, wenn überhaupt mit ihrem Gebrauch verbunden ist:

Seine Ware hat für ihn keinen unmittelbaren Gebrauchswert. Sonst führte er sie nicht zu Markt. Sie hat Gebrauchswert für andre. Für ihn hat sie unmittelbar nur den Gebrauchswert, Träger von Tauschwert und so Tauschmittel zu sein.

Dies sind die Grundgedanken wie sie Karl Marx in seinem Buch “Das Kapital” entfaltet, auf die sich Walter Benjamin und Adorno in ihren Überlegungen über die Kulturindustrie beziehen.

Ich will hier nicht in ein Gejammer über die böse Kulturindustrie verfallen; die pessimistische Einstellung der Frankfurter Schule zu Film und Musik kann ich nicht teilen: viel zu viele Hollywood-Filme sind großartige Kunstwerke, viele TV-Serien sind nicht zum Schlechteren ein fester Bestandteil unserer Kultur geworden und jede Menge Popmusik gehört zum kulturellen Erbe unserer Epoche (vom Jazz, den Adorno so inbrünstig gedisst hat, mal ganz abgesehen).

Es geht mir um etwas ganz anderes: in dem Augenblick, in dem geistige Werke zur Ware werden, unterliegen sie selbstverständlich den Gesetzen des Handels. Sowohl ganz pragmatisch – es gibt Packaging, Werbung, Sales, Promotion etc., als auch juristisch, d. h. Kaufverträge, Lizenzen, Honorare u.s.w.

Meiner Ansicht nach ändern sich gerade entscheidende Parameter. Das Konstrukt “Kulturindustrie” löst sich auf. Neben den Markt, die Ware treten durch die Netzkultur neue Formen kreativen Schaffens. Ein paar der Dinge, die irgendwie nicht mehr passen, habe ich im Folgenden zusammengefasst:

1. Der “Schöpfer-Künstler” verliert seine schützenswerte Stellung

Durch das Netz wird transparent, wie hoch der Riese ist, auf dessen Schultern jede geistige Neu-Schöpfung steht. Da eine relevante “Schöpfungshöhe” aber das Kriterium ist, nachdem in unseren Rechtssystemen einem Urheber die Rechte an “seinem” Werk eingeräumt werden, bedeutet dieser Verlust, dass immer weniger Werke dem Commonsense nach überhaupt schutzfähig sind. Die absurdesten Beispiele sind sicherlich generische Stock-Fotos. Bekannt ist der Fall einer Familie, die dafür abgemahnt wurde, aus Google ein völlig beliebiges Bild eines Teeglases in einen Post auf ihrem Urlaubs-Blog eingebaut zu haben.
(Über diesen Punkt habe ich schon öfter geschrieben: “Das Ende der Geschichte für Kreativ-Berufe”).

2. Es gibt kein Original mehr

Digitale Dokumente sind beliebig ohne technischen Verlust reproduzierbar. Da braucht man gar nicht anfangen vom “Verlust der Aura” zu lamentieren. Eine Sache, die sich beliebig vervielfältigen lässt, nicht zu vervielfältigen ist für den gesunden Menschenverstand schwierig zu begreifen. Selbst wenn wir vernunftmäßig einsehen, dass es nicht rechtens ist, behaupte ich, niemand fühlt so. Dennoch hängt in fast allen Vermarktungsmodellen der Preis, den man zahlen muss, an einem materiellen Exemplar des Werkes und damit dieses Prinzip nicht verändert werden muss, wird Digital Rights Management eingeführt, durch das die Möglichkeit, das Werk zu kopierten irgendwie eingeschränkt werden soll.

3. Es gibt keine un-kommerzielle Nutzung mehr

Anders als im 20. Jahrhundert, wo Veröffentlichung eng mit dem Besitz von Produktionsmitteln wie Druckereinen oder Rundfunksendern verbunden war, ist heute jeder ein Publisher.

Um ein Foto aus einer Zeitschrift für später aufzubewahren, zu sammeln, hätte man die Seite herausgerissen und in eine Schachtel gelegt oder in einen Ordner abgeheftet. Heute nimmt man einen Link auf den Inhalt und platziert ihn auf einer Website, einem Post oder Tweet. Je nachdem, ob der, hinter dem Link liegende Inhalt nun im Browser der Betrachter direkt angezeigt wird, oder ob es sich nur um die URL in Form von Text handelt, kann der Betreiber der Seite wegen Urheberrechtsverletzung belangt werden, oder nicht.

Und der Übergang zwischen eindeutig privaten Seiten mit ganz eingeschränkter Nutzung zu 100% kommerziellen Angeboten ist vollkommen fließend. Dieser Blog, z.B. trägt keine Werbung. Dennoch wäre es absurd, ihn nicht als publizistisch oder gar kommerziell zu bewerten. Ein Kriterium, “private, nicht-kommerzielle Nutzung” einzuräumen, ist also überhaupt nicht trennscharf.

4. Wirtschaftliche Interessen (sind noch keine Verschwörungstheorie!)

Ja, und zum Schluss gibt es natürlich tatsächlich auch handfeste wirtschaftliche Überlegungen, für ACTA, PITA, SOPA etc. Natürlich ist Wikipedia eine Konkurrenz und es ist vollkommen nachvollziehbar, dass Verlage, die bisher gutes Geld mit vergleichbaren Produkten verdient haben, jetzt alles daran setzen, der kaufmännisch unbesiegbaren Konkurrenz den garaus zu machen. Und das ist nur das prominenteste Beispiel.

All das bleibt sicher nicht ohne Folge für die Produktion geistiger Werke. Fragt man sich aber, wer hier den Kürzeren zieht, so bin ich mir bei einem sicher:

Die bildenden Künstler, die tatsächlich jemals für ihre Werke – im Sinne von Marx oder Adorno – einen Marktwert erzielen konnten, machen weniger als ein Prozent der Menschen aus, die für sich zu Recht in Anspruch nehmen können, Künstler zu sein, z. B. weil sie Kunst an einer Akademie studiert haben oder regelmäßig in professionellen Galerien oder öffentlichen Kunstausstellungen gezeigt werden. In anderen Kreativ-Berufen ist es, meiner Einschätzung nach, nicht besser.

Weiter zum Thema:

Ende der Geschichte – für Kreativ-Berufe
Die Moderne ist unsere Antike
Non-Commodity-Production
Urheberrecht, Kulturproduktion und Grundeinkommen