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Das iPad und die digitale Gegenreformation

Hl. Ignatius von LoyolaEine der spannendsten Gedanken zum iPad war in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu lesen (und teilweise auch hier zu hören). Darin beschreibt Frank Schirrmacher das neue Wundergerät von Apple – angekündigt wird es als magisch und revolutionär – als erste digitale Medienplattform mit Slow-Media-Features.

Das immer wieder bemängelte fehlende Multitasking, die wenigen Geräte-Schnittstellen und die vergleichsweise wenigen veränderbaren Benutzereinstellungen verwandeln sich nämlich im Kontext der Slow-Media-Bewegung zu einem zukunftsweisenden Feature-Set, das eine viel stärkere Konzentration auf die abgerufenen (immer häufiger: gekauften) Inhalte fordert. Damit macht dieses Gerät vielleicht tatsächlich digitale Medien auf eine Weise rezipierbar, die bislang Medien wie dem gedruckten Buch vorbehalten war:

Jetzt verkörpert die Hardware diese Philosophie. Multitasking ist Körperverletzung, lautet ein heftig umstrittener Satz. Apples Hardware verschont den Konsumenten, indem sie ihm gar keine Wahl zum Multitasken gibt. Allein das ist ein Bruch mit der klassischen Cyber-Anthropologie, in der der Mensch sich seine Welt bis in die Mikrostruktur zusammenstellt.

Paradoxerweise hört man bis jetzt vor allem die Stimmen derer, die mit diesem Gerät vermutlich gar nicht gemeint sind. Nicht die knapp 10 Prozent “jungen hyperaktiven” Routineonliner scheinen hier die Zielgruppe zu sein, sondern die Selektiv- und Randnutzer, für die das Internet kein Social Network, sondern eine digitale Bibliothek ist. Für die 71% der deutschen Online, die angeben, nie Social Networks zu verwenden, oder die 91%, die nur minimal in das “Mitmachnetz” involviert sind.

Ich glaube, dass Frank Schirrmacher in einem Punkt irrt. Er bezeichnet das iPad als “Restauration”. Das stimmt nicht. Das iPad bringt uns nicht zurück ins Gutenberg-Zeitalter. Nicht einmal in die Nähe davon.

Was wir hier erleben, ist eine Gegenreformation, in der nicht die alte Ordnung wiederhergestellt wird, sondern eine Radikalisierung, Expansion und innere Erneuerung der digitalen Kultur. Die Einführung des iPad, die von einigen Kommentatoren bereits als Ende der PC-Ära gesehen wird, ist eine Art digitales Tridentinum, in dem sich die Internetkultur soweit reformiert und klärt, dass sie ihren alten konservativen Kritikern und Verweigerern keine Angriffsfläche mehr bietet.

Vielen Dank an @pramesan für diesen Hinweis auf Twitter.

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Webseiten Zeitschriften

Wired Magazine

“We know a lot about digital technology, and we are bored with it. Tell us something we’ve never heard before, in a way we’ve never seen before.”

Das ist die Vision von Louis Rosetto. Durch diese Vision motiviert, gründete er Wired 1993 – in dem Jahr, in dem mit Mosaic der erste Browser verfügbar war, der das Internet tatsächlich als Medium erscheinen lies. Und bis heute ist Wired die verlässliche Chronik des Internet-Zeitalters.

Das faszinierende an Wired ist dabei die Position, die das Medium einnimmt. Es steht wunderbar erhoben zwischen dem technokratischen Positivismus der Computer- und PC-Zeitschriften einerseits und dem Kulturpessimismus der klassischen Feuilletons andererseits, bei denen oft schon allein durch den digitalen Analphabetismus ihrer Redakteure eine relevante inhaltliche Auseinandersetzung verhindert wird.
Wired ist anders. Wired ist radikal liberal, offen, ja gerade süchtig nach Wandel – stets ohne Verantwortlungslosigkeit das Wort zu reden. Neben der Freude über die Veränderungen von Kommunikation, (Welt-)Gesellschaft und -Kultur, zieht sich die Auseinandersetzung über Klimawandel und Nachhaltigkeit genau wie über Bildungs- und Gesundheitspolitik von Anfang an durch die Reportagen. Die einzige Lösung sieht Wired in Fortschritt, und zwar nicht nur in technologischem, sondern gerade in gesellschaftlich-kulturellem. Ein schönes Beispiel dafür ist “der Aufstand (oder Aufstieg?) der Neo Green“.

Legendär ist der Stil: Typografie, Layout und insbesondere der Einsatz von Sonderdruckfarben machen das Heft jeden Monat zu einem optischen Genuss. Stilprägend war auch von Anfang an die Übertragung der Inhalte ins Internet, der Hotwired-Style. Und allem Paid-Content-Gerede zum Trotz verkauft sich das gedruckte Heft wohl gerade weil (und nicht obwohl) die Inhalte sofort kostenlos online verfügbar sind – und bleiben.
Großartig auch, wie alle Beiträge mit Original-Fotostrecken illustriert und bereichert werden.

Die “Kreide-Tertiär-Grenze” der Online-Welt: die Stapelhöhe der Jahrgänge 2000 und 2001 zeigt anschaulich, was unter Krise verstanden werden kann.


The medium, or process, of our time-electric technology- is reshaping and restructuring patterns of social interdependence and every aspect of our personal life. – Programmatisches McLuhan-Zitat aus der ersten Ausgabe


18 Jahre – konstant guter Stil



Weitere Beiträge auf slow-media.net über Zeitschriften:
Spektrum der Wissenschaft
Die Brand Eins
Kunstforum International: 200 Ausgaben
Widerspruch – Münchner Zeitschrift für Philosophie

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Bücher Musik Webseiten

Bachs Kantatenwerk

Bach Cantatas Website“Aber gerade in diesem Augenblicke erwacht das antike Ideal des Zusammenwirkens von Dichtkunst und Musik zur dramatischen Darstellung der religiösen Ideen noch einmal zu neuem Leben und bezaubert die protestantische Kirchenmusik. Es zieht ihr voran mit dem Reize des großen Ideals, zugleich aber auch in dem Unvermögen der deutschen Poesie jener Zeit.” (Albert Schweitzer)

Das Kantatenwerk von Johann Sebastian Bach gehört für mich zu seinen spannendsten Werken, da er mit den gut 200 Kantaten eine ganze musikalische und liturgische Welt aufspannt. Jeder Sonntag erhält in einer eigenen Kantate musikalisch seine Form. Damit entsteht ein immergleicher Zyklus von Kantaten, der sich jedes Jahr wiederholt, zugleich aber dem Zuhörer mit jedem Umlauf neues zeigt. Ein äußerst langsamer Kreislauf, der überraschenderweise neben dem wunderbaren Einführungsbuch von Alfred Dürr auch im Internet seinen Niederschlag gefunden hat.

Die “Bach Cantatas Website“, auf den ersten Blick eine schroffe, Web 1.0-Homepage, offenbart erst bei zufälligem Klick auf eine Kantate, zum Beispiel BWV 144 “Nimm, was dein ist, und gehe hin” die hier angebotene Informationstiefe. Auf den Einzelseiten erfährt man nicht nur alle erdenklichen Informationen über Entstehung, Notierung, liturgischen Bezug und alle Tonaufnahmen (gleich mehrere Dirigenten wie Pieter Jan Leusink, Ton Koopman, John Eliot Gardiner, Philippe Herreweghe, Gustav Leonhardt, Nikolaus Harnoncourt, Masaaki Suzuki haben sich der Herausforderung gestellt, den kompletten Zyklus einzuspielen), sondern kann sich den Text der Kantate auch auf Katalanisch oder Chinesisch ausgeben lassen oder sich die Noten ansehen (und ausdrucken).

Aber es handelt sich hierbei nicht um ein reines Kantaten-Lexikon, sondern auch eine Diskussionsgemeinschaft, die auf hohem Niveau ebenfalls in einem langen Zyklus über die Kantaten und ihre Aufnahmen debattiert. Letzte Woche z.B. drehte sich das Gespräch um Kantate BWV 156 “Alles nur nach Gottes Willen” – und zwar bereits das dritte Mal (2003, 2007, 2010).

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Slow theory Sprache

Ein Fall für “slow”: die Disziplin des Übersetzens

Übersetzungen sind ein anschauliches Beispiel für “slowness”. Eine gute Übersetzung braucht all das, was der Slow-Ansatz fordert: Aufmerksamkeit, Konzentration auf des Wesentliche und die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit einem anderen Medium, einem anderen Menschen, dessen Sprache und Schreiben.

“Uebersetzen – das bedeutet einen langen Umgang mit dem zu Uebersetzenden, mit dessen Sprache überhaupt und mit dessen Sprache im besonderen […]”, schreibt Paul Celan (nicht nur Dichter, sondern auch hingebungsvoller Übersetzer zahlreicher Werke aus sieben Sprachen) 1960 in einem Brief an Adolph Hofmann (s.u. Fremde Nähe, S. 517). Er ist der Prototyp eines “slowen” Übersetzers, der “dem deutschen Leser eine dem Original möglichst adäquate Übersetzung” vorlegen möchte (ebd., S. 509). Um etwas Adäquates wiederzuerschaffen, muss der Übersetzende zunächst das Wesen des zu Übersetzenden erfassen, sich selbst zurücknehmen und zugleich einbringen, dann Sinn und Nebensinn, Rhythmik und Klang abwägen und in entsprechender Gewichtung in der neuen Sprache wieder Gestalt annehmen lassen.

“Slow” bedeutet hier das Ringen um den richtigen Ausdruck, der eben nicht immer auf der Hand liegt. Hier ein konkretes Beispiel:

Für den S. Fischer Verlag übersetzte Celan mit seinem Koübersetzer Kurt Leonhard Werke des Franzosen Henri Michaux. Die letzte Zeile des Textes “Hospitalité” (“Gastfreundlichkeit”) lautet im Französischen: “et cet homme avait un air mauvais…”. Avoir l’air gehört zu den französischen Wendungen, die im Deutschen kein Äquivalent haben. Es wird damit ein unkonkreter Eindruck beschrieben: “den Eindruck machen”, “den Anschein haben”, “so wirken als”. Eine weitere Schwierigkeit stellt für das Übersetzen der unbestimmte Artikel “un” dar, denn so kann “air” auch als “Miene”, “Ansehen” gelesen werden. Das Typoskript der Übersetzung, das im Marbacher Literaturarchiv verwahrt wird, zeigt diese Schwierigkeit bereits in Leonhards Übersetzungsentwurf und in der Überarbeitung mit Celan. Er versucht es mit verschiedenen Varianten, die er nach und nach mit der Schreibmaschine durch-x-t und mit Stift durchstreicht (das Typoskript ist ein Durchschlag mit handschriftlichen Korrekturen Leonhards und Celans, der auf herrlich analoge Weise den Prozess der Textgenese noch nachvollziehen lässt):

…und dieser Mann sah irgendwie böse aus… schien böse zu sein… hatte einen bösen Zug… machte eine böse Miene… sah böse aus. [Die letzte Korrektur von Celans Hand dann:] es lag etwas Böses im Ausdruck dieses Mannes.

Das ist der Weg, den eine Übersetzung manchmal gehen muss. Fehlt diese Haltung, aus Unaufmerksamkeit oder aus Zeitmangel, wirkt sich das direkt auf die Übersetzung aus.

Was ist nun eine Übersetzung, die nicht “slow” ist? Die merken Sie daran, dass Sie sie merken. Sie spüren, dass es eine Übersetzung ist, sie hat keinen eigenen Körper. Während Sie einen Krimi lesen, irritiert Sie etwas, Ihre Aufmerksamkeit ist abgelenkt und Sie überlegen, wie die Stelle wohl im Original hieß. Manchmal wissen Sie es auch sofort und lesen durch die deutschen Worte hindurch die englische Wendung.

Wieviele Arten und Haltungen es gibt, sich einer Übersetzung anzunehmen, und wieviel Stoff Übersetzungen für Auseinandersetzungen geben, zeigt die Geschichte der deutschen Übersetzungen von Mevilles “Moby Dick“: Auslassungen, Entwertungen, Umdichtungen und Beschönigungen streiten da bis heute um ihr Recht, das Original adäquat wiederzugeben.

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Die Bände 4 und 5 der Gesammelten Werke von Paul Celan enthalten seine Übertragungen aus sieben Sprachen – darunter Shakespeares Sonette, die “Junge Parze” von Paul Valéry, Lyrik von Rimbaud, Ossip Mandelstamm und französischen Zeitgenossen. Die frühere 5-bändige Ausgabe der Gesammelten Werke ist auch über das ZVAB (Zentrales Verzeichnis Antiquarischer Bücher) erhältlich.

Quelle: “Fremde Nähe: Celan als Übersetzer.” Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs in Verbindung mit dem Präsidialdepartement der Stadt Zürich im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar und im Stadthaus Zürich (= Marbacher Kataloge 50. Hrsg. von Ulrich Ott und Friedrich Pfäfflin), Ausstellung und Katalog Axel Gellhaus und Rolf Bücher, Sabria Filali, Peter Goßens, Ute Harbusch, Thomas Heck, Christine Ivanović, Andreas Lohr, Barbara Wiedemann, Marbach am Neckar 1997.

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Miscellen

Slow Mail

Auch der GNU-Vater und Free-Software-Visionär Richard Stallman geht mit diesem Statement als Slow-Media-Praktiker durch:

Most of the time I do not have an Internet connection. Once or twice or maybe three times a day I connect and transfer mail in and out. Before sending mail, I always review and revise the outgoing messages. That gives me a chance to catch mistakes and faux pas.

Dabei ist nicht so sehr der Verzicht auf das Always-On entscheidend, sondern die Art, wie man das Internet und damit verbundene Technologien wie Email nutzt – nämlich bewusst und mit einem kritischen Blick auf die Qualität.

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Bücher

Anathem

Neal Stephenson - AnathemKaum ein Roman scheint auf den ersten Blick so gut zum Thema Slow Media zu passen wie “Anathem” von Neal Stephenson.

Die Vorstellung einer gespaltenen Welt aus zwei Sphären: eine schnelle postmoderne tribale Kultur aus Sekten, Erweckungsbewegungen und Einkaufszentren sowie einer naturwissenschaftlich-monastischen (eigentlich: naturphilosophischen) Welt, die zurückgezogen in Klöstern lebt, sich mit esoterischen Themen wie der Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik befasst und deren Türen sich nur alle zehn bis zehntausend Jahre für einen Austausch mit der anderen Sphäre öffnen.

Die Inspiration durch die extreme Verlangsamung von Kunstwerken wie dem John-Cage-Orgelprojekt in Halberstadt oder der Long-Now-Foundation mit ihrer 10.000-Jahre-Uhr und den fünfstelligen Jahreszahlen – Willkommen im Jahr 02010! – liegt auf der Hand. Das Konzept ist also slow par excellence. Leider schießt Stephenson mit anderen Elementen über das Ziel hinaus: er hat seiner Welt – der Roman spielt auf dem ziemlich erdähnlichen Planeten Arbre – eine neue Sprache, Orth, gegeben, die zwar der englischen ähnlich ist, aber eben nicht ganz. Dementsprechend fällt das Glossar leider zu kurz aus, um wirklich slow zu sein, aber auch zu lang, um ignoriert zu werden. Die philosophischen und naturwissenschaftlichen Hintergründe sind, wie man es von Stephenson erwarten kann, sehr souverän eingeflochten, aber ich wühle mich dann doch lieber selbst durch Ockhams Sentenzenkommentar als durch die Orth-Variante mit dem neuen Namen “Gardan’s Steelyard“.

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Küche Webseiten

Feeding America

“A life, the major part of which is spent in sweeping, that the dust may re-settle; in washing, that clothes may he again worn and soiled; in cooking, that the food prepared may be consumed; in cleansing plates and dishes, to put back upon the table that they may return, in grease and stickiness, to the hardly-dried pan and towel, does seem to the superficial spectator, ignoble even for the wife of a struggling mechanic or ill-paid clerk.”
Hauswirtschaft scheint dem oberflächlichen Betrachter als niedrig und unwert: die täglich mehrmalige Wiederkehr des immer Gleichen.
Aber die ungeheuer produktive Marion Harland wird uns in wortreicher Plauderei vorführen, welche Freuden und wieviel Abwechslung in der Zubereitung von “Breakfast, Luncheon and Tea” zu finden sind.

1796 erscheint mit Amelia Simmons “American Cookery” das erste genuin amerikanische Kochbuch. Darin findet sich das älteste bekannte Rezept für Truthahn – dem “schönsten Geschenk, dass die neuen Welt der alten gemacht hat” wie Brillat-Saverin und den “welschen Vogel” lobt; und überhaupt kann man bereits die Eigenheiten der amerikanischen Küche erkennen, angelehnt, an europäische Speisen, abgewandelt um die autochtonen amerikanischen Lebensmittel, und unter Einbeziehung indianischer und creolischer Einflüsse.

Feeding America: The Historic American Cookbook Project ist eine Auswahl von 76 aus mehr als 3000 Kochbüchern der Bibliothek der Michigan State University. Sauber eingescannt und transkribiert, finden sich dort gastrosophische und bibliophile Schätze der amerikanischen Küche seit der amerikanischen Unabhängigkeit bis in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg. Seite für Seite kann man wundervoll Illustriert Werke wie “The Grocer’s Encyclopedia von Artemas Ward” durchblättern oder sich von den legendären Rezepten aus Hearns “Cuisine Creole” inspirieren lassen.

Der Name des Projekts, Feeding America ist, dessen wird man ohne Zweifel gewahr, ein gnadenloses Understatment, denn es geht hier nicht um die Befriedigung des Hungers, sondern darum, eine der interessantesten und vielseitigsten Kochkulturen der Welt zu feiern.

A Whipt Syllabub.
Take two porringers of cream and one of white wine, grate in the skin of a lemon, take the whites of three eggs, sweeten it to your taste, then whip it with a whisk, take off the froth as it rises and put it into your syllabub glasses or pots, and they are fit for use.

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Michael Ende: Momo

Momo“Eines Tages stand Herr Fusi, der Friseur, vor seinem Laden. Er sah zu, wie der Regen auf die Straße platschte, es war ein grauer Tag, und auch in Herrn Fusis Seele war trübes Wetter. ‘Mein Leben geht so dahin’, dachte er, ‘mit Scherengeklapper und Geschwätz und Seifenschaum. Was habe ich eigentlich von meinem Dasein? Und wenn ich einmal tot bin, wird es sein, als hätte es mich nie gegeben'”.
In seinem zweiten großen Kinderroman ‘Momo. Oder die seltsame Geschichte von den Zeitdieben und dem Kind, das den Menschen die gestohlene Zeit zurückbrachte’ entfaltet uns Michael Ende ein fast nihilistisches Konzept von der Zeit. Diese Zeit ist rein subjektiv, verfliest linear und stetig: wir erfahren sie ausschließlich im Augenblick, und der ist vergangen, im Moment, da wir seiner gewahr werden: “Es gibt die Gegenwart nur, weil sich die Zukunft zur Vergangenheit wandelt.”, stellt Momo fest. Nur diesen Augenblick erleben wir, versäumen wir ihn, ist er nicht gespart, er ist uns für immer verloren, von den Zeitdieben, den ‘Grauen Herren’ gestohlen.

Die Zeit und damit sein Leben fühlt man im vergehen. Mit dem Wort aus dem 90. Psalm sieht Herr Fusi sein Leben höchstens siebzig oder achzig Jahre währen und bestenfalls Mühe und Arbeit mag er darin finden. Die Furcht vor dieser scheinbar sinnlosen Vergänglichkeit treibt ihn und viele andere Menschen in die Hände der Zeitdiebe, die ihnen einreden, man könne Zeit sparen. Die Menschen beginnen, ihr Leben zu führen, als könnten sie die so gesparte Zeit später nachholen. Das Leben verliert an Intensität, die Leere in ihrem Leben versuchen die Opfer der Grauen Herren durch den Konsum von Surrogaten zu kompensieren.

Die Herrschaft der Grauen Herren zeigt sich an vielen alltäglichen Beispielen: Schnellgastronomie, bei der Gäste nur noch Optimierungsmasse des Customer Value darstellen oder pädagogisch wertvolles Spielzeug, mit dem Eltern in eine effiziente Zukunft ihrer Kinder investieren.

Auch das Alter-Ego des Autors, ‘Gigi Frendenführer’ fällt den Zeitdieben anheim. Resignierend und von seinen erfüllten Träumen enttäuscht, gibt er sich der kreativen Korruption der Kulturindustrie hin.
Sucht man nach Allegorie oder literarischer Umschreibung dessen, was wir hier mit Slow Media versuchen zu kritisieren, findet man diese im optimierten Produktionsprozess, den Gigi anwendet, um die wachsenden Nachfrage der Medien zu befriedigen; einem Ekklektizismus, in dem aus den Einzelteilen seiner Erzähl-Welt immer neue, sentimental auf das jeweilige Publikum angepasste Episoden gepresst werden. Und dadurch hilft Gigi letztlich mit, seinen Zuhören die Zeit zu stehlen.

Die Schönheit der Zeit aber erkennt Momo gerade in ihrem Vorübergehen: “Vielleicht ist sie so was wie ein Duft? Aber sie ist auch etwas, dass immerzu vorbeigeht. Also muss sie auch irgendwo herkommen. Vieleicht ist sie so eine Art Musik, die man bloß nicht hört, weil sie immer da ist.”