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Die Wallfahrer

Von Tuntenhausen nach WeihenlindenWir haben wohl hienieden
Kein Haus an keinem Ort,
Es reisen die Gedanken
Zur Heimat ewig fort.

Allein die Zeitspanne, in der Carl Amery seine Romanfiguren auftreten lässt, ist unzweifelhaft slow. Am Anfang des Romans “Die Wallfahrer” steht das wundertätige Verlöbnis des Innsbrucker Einsiedlers Gropp zur Muttergottes von Tuntenhausen im Jahr 1641. Dann macht sich 1782 eine bunte Runde Wasserburger Laienschauspieler inklusive Freimaurer auf den Weg, um auf einer Wallfahrt nach Tuntenhausen die Große Nachricht von der nahenden Sintflut zu verkünden:

“Die Nachricht von der Universalen Wallfahrt, die allenthalben und aus allen Zeiten, aber möglichst sogleich aufzubrechen habe, wenn anders die krachenden Säume der Welt noch halten und die sieben Siegel des Gerichts nicht vollends aufgesprengt werden sollten.”

Mit dem dritten Pilger, dem Grafen Innozenz Maria I von Busselwang-T., wird das Wallfahren deutlich politischer. Nicht mehr die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit oder die herannahende Katastrophe steht im Mittelpunkt des Gräflichen Planens und Organisierens, sondern die politische Mission eines bäuerlichen Reformprogrammes. Mit dem jüngsten Akteur Marco von B., der Mörder von Kurt Eisner, gerät in den Trubel gerät die Pilgerroute in das verhängnisvolle Spannungsfeld zwischen völkischen und katholischen Bewegungen im Bayern nach dem Ersten Weltkrieg. Am Science-Fiction-tauglichen Ende steht dann das “Tschiritt” des Roten Klammerhörnchens, das durch die Hochbaumetage des mittlerweile menschenleeren Chiemgaus des Jahres 50.000.868 springt.

Von Tuntenhausen nach WeihenlindenDurch die zahlreichen Wallfahrten nach Tuntenhausen scheint kontinuierlich das Long Now der Religion. Die einzelnen Episoden finden zwar in großem zeitlichen Abstand zueinander statt, durchdringen sich aber immer wieder. In Anlehnung an Charles Taylor könnte man dies wie folgt ausdrücken: Die vertikale Dimension des Sakralen bricht in die empirisch-reale horizontale Lebenswelt hinein. Ein Beispiel dafür ist der Weg des Grafen Innozenz Maria I zu einer Wunderheilerin, auf dem auf einmal Elemente der 80er Jahre des 20. in die des 19. Jahrhunderts durchscheinen:

“Reiterhof Hechsenraith stand weiß auf blankem grünem Emailblech, ein schwarzer Roßkopf darüber, ein roter Pfeil darunter; […] Es war ihm klar, daß mit dem Schild etwas nicht stimmte: solche Materialien, solche Farben waren nicht zu haben – oder zumindest hierorts nicht üblich.”

Aber diese Begleiterscheinungen der krachenden Säume der Welt irritieren die Menschen nicht allzu sehr. Sie nehmen diese umgekehrten Madeleine-Erlebnisse als Bestätigung ihres Tuns, ihrer Wallfahrt hin. Ganz anders als zum Beispiel die Kleinstadtbewohner in Philip K. Dicks “Time Out Of Joint“, für die das reflexartige Tasten nach einem Lichtschalter, den es gar nicht gibt und noch nie gab, zu einer tiefen psychologischen Krise führt. Der Menschen Pilgerschaft auf Erden, so könnte man das mit Bernhard Setzwein lesen, ist zu einem bloßen Feiertagsritual verkümmert. An dieser Stelle wird der Roman dann doch ganz modern: Da sie die Zeichen nicht erkennt, muss die Menschheit letzten Endes auch untergehen (anders als in dem zehn Jahre zuvor erschienenen “Untergang der Stadt Passau” gibt es hier kein Danach mehr). So endet der Roman des Grünen Vordenkers Amery mit einer Erde, die ganz bei sich sein kann.

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Geologische Naturdenkmäler in Bayern

Hoher Stein bei Percha” Die Steine selbst, so schwer sie sind, Die Steine! Sie tanzen mit den muntern Reihn Und wollen gar noch schneller sein, Die Steine.”

“Aus Stein, aus Stein, so muss das Herz von meiner Liebsten sein.”

Von ihrem Gegenstand her ist die Geologie eine der langsamsten Wissenschaften. Wenn dann zu einer umfänglichen geologischen Datenbank ebenso sorgfältige wie gut verständliche Erläuterungen zur Entstehung von Toteislöchern, Gumpen und Findlingen dazu kommen, haben wir es mit einem guten Kandidaten für unsere Slow Media-Liste zu tun. Etwa 2.800 Objekte findet man im bayerischen Geotopkataster, viele (z.B. die Top 100-Liste hier) davon so spektakulär, dass sie einen größeren Umweg oder einen eigenen Ausflug wert sind – idealerweise begleitet von dem jeweiligen ausgedruckten Informationsblatt oder aber einem eBook-Reader. Zum Beispiel der oben abgebildete „Hohe Stein von Percha“, ein erratischer Amphibolitblock, „reichlich mit schräg laufenden Quarzadern durchzogen“, den der große Geologe Ludwig von Ammer gegen Ende des 19. Jahrhunderts als herausragendes Naturdenkmal der Region beschreibt:

Die Strasse weiter gegen den See herabschreitend gelangt man bald an den grossen Block von Percha vorbei, der als das schönste der erratischen Felsstücke in der Münchener Gegend gelten darf.

Anders als im Fall der Onlinedatenbank der Baudenkmäler kann man sich mit den geologischen Sehenswürdigkeiten Zeit lassen – die meisten davon haben bereits zehntausende Jahre überdauert und werden uns das ganze Long Now erhalten bleiben.

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Lion Feuchtwanger – Erfolg

Lion Feuchtwanger - ErfolgEiner der ergiebigsten Wege, um die Bayern kennenzulernen, führt über Lion Feuchtwangers brillianten ersten Band der Wartesaal-Trilogie, “Erfolg” (geschrieben 1927-30).

Nicht nur erkennt man hier, wie München oder Altbayern funktionieren (der BR hat sich in einem Web-Feature den nur unwesentlich verschlüsselten Schauplätzen des Romans angenommen), erfährt viel über das Verhältnis von Kultur/Kunst und Politik in den 1920er Jahren, sondern hier sieht man deutlich, aus welchem kleinbürgerlich-größenwahnsinnigen Milieu sich der Nationalsozialismus entwickelt hat. Feuchtwanger schreibt über die Machtergreifung, brennende Bücher und über Konzentrationslager weit bevor anderen diese Schreckensbilder geläufig waren. Bayern kommt, so möchte man auf den ersten Blick meinen, in diesem Roman nicht allzu gut weg:

Die Bewohner des Landes waren seit alten Zeiten Ackerbauern, städtefeindlich. Sie liebten ihren Boden. Sie waren zäh und kräftig, scharf im Schauen, schwach im Urteil. Sie brauchten nicht viel; was sie hatten hielten sie mit Händen, Zähnen und Füßen fest. Langsam, träg vom Denken, nicht willens, für die Zukunft zu schuften, hingen sie an behaglich derbem Genuß. Sie liebten das Gestern, waren zufrieden mit dem Heute, haßten das Morgen.

Doch auch diese plumpe Kritik an den Bayern wird von dem gebürtigen Münchner Feuchtwanger immer wieder ins satirische überzogen, denn diese Kritik ist genauso “scharf im Schauen, schwach im Urteil” wie die kritisierten. Nein, der “Erfolg” ist dialektisch durch und durch. So ist das hier porträtierte Bayern nicht nur die Ordnungszelle, in der jede kritische Stimme ausgeschaltet wird, sondern immer wieder wird diese Struktur durchkreuzt, unterlaufen und übertreten von den chaotischen Eigensinnigkeiten der sturköpfigen Protagonisten. Bayern, das ist das Ganze, oder wie es Herbert Achternbusch so passend zusammengefasst hat: “In Bayern gibt es 60 Prozent Anarchisten und die wählen alle die CSU”.

Was Feuchtwangers Roman zu einem Paradebeispiel für Slow Media macht, ist die mühelose Kombination von großem Umfang bzw. sehr detaillierten psychologischen Schilderungen und dem Gefühl, mit den ersten Seiten in den Roman hineingezogen zu werden. Genau davon schwärmt übrigens auch Dieter Hildebrandt in dieser sehenswerten Dokumentation. Feuchtwangers “Erfolg” ist auf jeden Fall eines der drei definitiven Bücher über Bayern.

“Erfolg” gibt es auch als Hörbuch, gelesen von Percy Adlon.