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Die Stasi und die Meme: Was ist politisch an Slow?

Was ist politisch an Slow? Neben den ästhetischen und medientheoretischen Aspekten in dem von uns entwickelten Slow-Media-Ansatz gibt es eine immer stärker zutage tretende politische Dimension. Die Sprengkraft liegt meines Erachtens in der These 6 “Slow Media sind diskursiv und dialogisch”, sekundiert von These 5 “Slow Media fördern Prosumenten”. An die Stelle des klassischen Medienkonsums, der auf der einen Seite einen Produzenten von Inhalten und auf der gegenüberliegenden Seite einen passiv-rezipierenden Aufnehmer von Informationen hat, tritt eine neue Form der Mediennutzung. Sie nähert sich der Form der Kommunikation und dem mündlichen Gespräch an. Die Rollen des Gebens und Nehmens vermischen sich, jeder kann Informationen aufnehmen und weitergeben, kann Sender und Empfänger zugleich sein.

Das ist die Voraussetzung für das, was Jörg Blumtritt den Memetic Turn nennt – die Entstehung memetischer Gemeinschaften durch den Austausch identitätsstiftender Meme, seien es die Idee der Freiheit, das Bekenntnis zu “We all are Khaled Said”, Laufenten oder die vielzitierten Katzenfotos. Diese Gemeinschaften sind nicht mehr lokal oder ethnisch begründet, sie entstehen durch Kommunikation und Austausch, ja sie untergraben bestehende gesellschaftliche Strukturen.

Pfingstmontag auf der Autobahn habe ich das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung gelesen. Dort findet sich der Beitrag “Die Akte “Tänzer”” von Renate Meinhof (Süddeutsche Zeitung Nr. 134, Pfingsten 11./12./13. Juni 2011, S. 15). Der hier geschildete Fall zeigt genau, was an Slow politisch ist.

Es geht in dem Beitrag um die Stasi-Akten über eine Gruppe junger Breakdance-Tänzer in den 80er Jahren in Neubrandenburg. Sie gerieten durch ihre eigenartig geformten Frisuren und die “ruckartige[n], tanzähnliche[n] Bewegungen” ins Visier der Staatssicherheit. Man darf annehmen, dass die Stasi ein feines Gespür für Staatsgefährdung hatte. Wie kann es sein, dass ein Staat sich durch Frisuren und tanzähnliche Bewegungen bedroht sieht?  “Der Tanz stellt keine Beeinträchtigung von bestehenden Norm- und Moralauffassungen dar. Von der Gestaltung des Tanzes ist dieser nicht geeignet, dass ihn Massen nun auf der Tanzfläche ausüben können”, schlussfolgert die Staatssicherheit Neubrandenburgs erleichtert nach eingehender Inspektion und dem Anwerben mehrerer Spitzel.

Und damit benennt sie im Umkehrschluss, wonach sie gesucht und was sie befürchtet hat: Es ist die gesellschaftszersetzende Kraft einer memetischen Gemeinschaft. Frisuren und Tanzstile sind Meme, die Identität stiften, Menschen miteinander verbinden und sich staatlicher Kontrolle entziehen können.

Die Staatssicherheit der DDR hat Meme bekämpft. Sie hat mögliche Herde nicht gesellschaftlich verankerter Gemeinschaften aufgespürt und entschärft: entweder durch die Auflösung der Gruppe oder durch ihre gesellschaftliche Integrierung durch die Einstufung als ein “anerkanntes Volkskunstkollektiv”. Die Gemeinschaft sind wir – so lautet die sozialistische Variante des “l’état c’est moi”.

Die Stasi und mit ihr die Geheimdienste und Staatssicherheitsabteilungen aller autokratischen Regierungen sind Experten im Aufspüren und Entschärfen von Memen. Die Unterbindung und Sabotage von Kommunikation (durch Spitzelei oder durch das Abschalten des Internet) ist früher und bis heute ihre Königsdisziplin. Sie fürchten nichts mehr als Benedikt Köhlers Satz “Meme zersetzen Gesellschaft“. Völlig konsequent ließ die chinesische Regierung wegen Ansteckungsgefahr sofort Suchbegriffe wie “Ägypten” oder “Tunesien” sperren, als die dortigen Dikatoren ihre Meme nicht mehr im Griff hatten.

Doch die Kommunikationswege haben ihre feste Kontur und damit ihre Kontrollierbarkeit verloren. Sie wandeln sich unter dem Zugriff, sie  verändern sich, passen sich an, umgehen Sperren, finden Umwege und neue Räume. Das ist das Potential von Kommunikation und von memetischen Gemeinschaften. Das ist politisch an Slow.

“Dringend empfohlen: TED-Gespräche über Ägypten” Von Ai Weiwei weitergeleitete chinesische Empfehlung des TED-Talks von Wael Ghonim, der Symbolfigur der ägyptischen Revolution

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Zensur?!
Mein Tag 3 ohne Google.

[Read this post in English]

Leave aside the fact that Google was happy to censor results for China until its servers were hacked. The fact is, Google still censors search results in other countries at the request of their governments. […] Censoring results for years, shifting course for entirely unrelated reasons, and then vilifying competitors who don’t jump on the bandwagon. (Though, of course, completely Google’s prerogative.) But it’s particularly hypocritical when Google is still happily censoring its search and YouTube products for other countries.
http://www.businessinsider.com

Den heutige Post zu meiner Internetnutzung ohne Suchmaschinen habe ich in Berlin geschrieben. Er ist entsprechend staatstragend.

Die indifferente Haltung bis zur willfährige oder sogar vorauseilenden Unterstützung von Unrechtsregimen durch Google, Microsoft und andere Medienkonzerne verdient unsere Kritik in aller Schärfe. Meldungen wie Googles Einlenken gegenüber den französischen Behörden hinterlassen ebenfalls ein Gefühl von Ratlosigkeit. Was passiert, wenn einem so zentralen Teil unserer Kommunikationsinfrastruktur über reine Verwaltungsakte Fesseln angelegt werden?

Offenbar fehlt etwas: die Würdigung von Online-Medien als zunehmend relevante Plattformen unserer politischen und gesellschaftlichen Meinungsbildung, den Online-Medien den staatlichen Umgang und den verfassungmäßigen Rang zuzuweisen, den sie ihrer Bedeutung nach längst verdienen.

Meist wird mit Zensur die gewaltsame Unterdrückung von kritischen oder vom Mainstream abweichenden Meinungen verbunden. Von der Verbannung Ovids über den Index der Kirche, der bürgerlich-autoritären Zensur in Metternichs Deutschem Bund zu den mörderischen Systemen totalitärer Zensur des zwanzigsten Jahrhunderts: es fallen mir beim ersten Nachdenken wenig Gründe ein, warum es Staaten erlaubt sein sollte, freie Rede und deren Zugänglichkeit zu beschränken.

Dennoch gibt es bei differenzierter Betrachtung sehr wohl Gründe, warum wir das Recht zur Auseinandersetzung mit Google haben. Diffemierungen, Rechtsbrüche, Hetze, all das ist mit Grund aus den Medien verbannt worden. Und zu Recht gibt es einen Presserat und die Möglichkeit zur Klage (und zwar nicht nur in Hamburg …). Wir sollten uns nicht einreden lassen, dass unsere Forderung nach der Einhaltung demokratischer Rechte einen “Dammbruch” (was für eine hole Metapher!) der Zensur bedeutet und uns die Legitmation nimmt, gleichzeitig weltweit für unser Verständnis von Meinungsfreiheit zu werben.

Die Forderung, das Internet sei Rundfunk, die der bayerische MInisterpräsident in seiner Eröffnungsrede der diesjährigen Medientage erhoben hat, halte ich für vollkommen Gerechtfertigt. Das Internet tritt nicht nur an die Stelle des Rundfunkts, es leistet schon jetzt weit mehr, was Meinungsbildung, Information und Unterhaltung betrifft, als die Verlage und Rundfunk es je getan haben.

Umso wichtiger ist es, für Pluralität zu sorgen, für eine Vielfalt von Angeboten, zu denen auch staatlich bzw. öffentlich geförderter, kultureller und journalistischer Freiraum gehören müssen.

Auch wenn ich schon den dritten Tag gut ohne Suchmaschinen leben kann, bin ich nicht so naiv zu glauben, dass es sich bei meinem Google-Fasten um mehr als eine zeitlich begrenzte Abstinenz handeln kann: ich will gar nicht auf Dauer und vollständig auf Suchmaschinen verzichten müssen. Ich will aber nicht in Abhängigkeit von ihrer Totalität geraten. Ich wünsche mir, dass sich aus der Mitte der europäischen Gesellschaften heraus eine liberal-bürgerrechtliche Bewegung formiert, die durch attraktive Gegenangebote von der Art von Wikipedia oder OpenStreetMap lautstark ihre Position im Netz artikuliert.

Weiterlesen:
Die bisherigen Posts zum Experiment “Ohne Google”:

und: Virtueller Rundfunk. Mein Plädoyer für eine starke Öffentlichkeit im Internet.