τέσσαρα γὰρ πάντων ῥιζώματα πρῶτον ἄκουε·
Ζεὺς ἀργὴς Ἥρη τε φερέσβιος ἠδ’ Ἀιδωνεύς
Νῆστίς θ’, ἣ δακρύοις τέγγει κρούνωμα βρότειον.
Denn höre zuerst die vier Wurzelgebilde aller Dinge: hell scheinender Zeus; Leben spendende Hera; unsichtbarer Aidoneus und fließende Nestis, die mit ihren Tränen den sterblichen Quellstrom benetzt.
(Empedokles, Frgm. 6, Aetius I 3,20)
Die Vorstellung, das die Welt aus Atomen besteht, die unterschieldiche Elementar-Eigenschaften besitzen, ist mehr als zweitausendfünfhundert Jahre alt. Die Verbildlichung es Elementaren kann man also mit Fug und Recht als eine der ältesten Unternehmungen wissenschaftlicher Visualisierung bezeichnen. Von Empedokles (ca. 500-430 v.Chr.) ist oben zitiertes ältestes Fragment überliefert, in dem die vier Elemente als Wurzelgebilde aller Dinge bezeichnet werden. Der philosophischen Schule der Pythagoräer wird die Zuordnung der Elemente zu den regelmäßigen Körpern zugeschrieben – man kann dieses erste bildhafte Atommodell durchaus mit den mathematischen Beschreibungen von Naturgesetzen in der Sprache der modernen Physik vergleichen: wie die Physiker von heute aus den mathematischen Modellen schließen, dass es noch Teilchen geben muss, die noch nicht beobachtet wurden – ohne deren Existenz aber das Modell nicht stimmen würde, genau in dieser Weise wurde von den antiken Philosophen ein fünftes Element gefordert, denn es gibt eben exakt fünf dieser platonsichen Körper. Der Dodekaeder mit seinen zwölf regelmäígen Fünfecken fällt aus der Reihe – die Zahl fünf war den Pythagoräern ohnehin heilig, ihr Erkennungszeichen der Legende nach das Pentagramm. So wurde die Quintessenz, die Prima Materia, der Äther geboren, um das Modell der vier elementaren Atome zu vervollständigen.
Nur ein einziges Element besitzt die Kristallstruktur dieses Modells aus einer akademischen Physiksammlung: das hochgiftige und radioaktive Polonium. Es ist ein kubisch-primitives Gitter mit nur jeweils einem Atom an den vier Ecken – nicht zu verwechseln mit dem raumzentrierten Gitter des brüsseler Atomiums.
Aber was verdeutlicht dieses Modell? Wenn wir Atome als Kugeln darstellen: wird uns irgendetwas beim Polonium klarer dadurch, einem Element, das (zum Glück) so gut wie kein Mensch je in Wirklichkeit gesehen hat? Welche Realität symbolisieren die Stäbe, die die Atome verbinden?
“Was wir heutzutage aus der Sprache der Spektren heraus hören, ist eine wirkliche Sphärenmusik des Atoms, ein Zusammenklingen ganzzahliger Verhältnisse, eine bei aller Mannigfaltigkeit zunehmende Ordnung und Harmonie.”
(Arnold Sommerfeld)
Der Gründer des Deutschen Museums, Oskar von Miller, hatte sich 1918 an Arnold Sommerfeld gewendet und ihn gebeten, ob er nicht Atommodelle vorschlagen könnte, die “in denen der Elektronenreigen um den Kern kinematisch vorgeführt werden könnte.” Auch wenn Sommerfeld diese, doch recht triviale Visualisierung ablehnte, setzte er sich, gemeinsam mit seinem Doktoranten Wolfgang Pauli in den folgenden Jahren mit der Frage nach einer angemessenen Darstellung des Atoms für die neue Abteilung “Aufbau der Materie” im Deutschen Museum auseinander.
Das Modell eines Goldatoms von 1928 – oben zu sehen – zeigt die Elektronen-Orbitale schematisch als Kugeln, deren Schalen-Dicke die Orte hoher Wahrscheinlichkeit für dazugehörigen Elektronen symbolisiert. Für die Didaktik der Physik ist es seit dieser Zeit eine Streitfrage, ob man – wider besseres Wissen – die Elektronenhülle durch Kugel- oder Kreisbahnen quasi planetarisch Verbildlichen darf; einmal im Kopf, wird man die Vorstellung von kreisenden Elektronen nie mehr los.
Aus ganz anderen Gründen wurde Sommerfelds Atom-Präsentation im Deutschen Museum kurz nach ihrer Einweihung wieder entfernt. Den Nazis war die Quantenphysik und speziell das Bohr-Sommerfeld Atommodell ein Dorn im Auge. Und kaum war Oskar von Miller, der über die Sammlung stets schützend seine Hand gehalten hatte, gestorben, konnten die braunen Pseudowissenschaftler die verhassten Exponate ins Depot verfrachten.
“Der Gedanke, daß ein einem Strahl ausgesetztes Elektron aus freiem Entschluß den Augenblick und die Richtung wählt, in der es fortspringen will, ist mir unerträglich. Wenn schon, dann möchte ich lieber Schuster oder gar Angestellter einer Spielbank sein als Physiker.”
(Albert Einstein)
Computergrafik ermöglicht uns, die mathematischen Funktionen darzustellen, mit denen wir die Atommodelle unserer Zeit beschreiben. Mag man sich das innere der Materie noch als kleine Kügelchen vorstellen können, die mit Drähten aneinander hängen – um die Quantenwelt als Real akzeptieren zu können, müssen wir uns von davon verabschieden, dass die Welt im Kleinsten irgendwie doch genauso aussieht, wie wir sie im großen kennen – auch wenn in den meisten Physikbüchern immernoch die Bohr-Sommerfeldschen Elektronen-Planeten um den Atomkern als Sonne kreisen. Auch in der Physik verläuft die Entwicklung des Weltbildes von einer rein mathematisch-philosophischen Vorstellungen, wie bei den Pythagoräern, über scheinbar konkreter werdendes Erkennen, bis in unserer Zeit wieder auf ein abstraktes Modell die Welt als Überlagerung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen reduziert.
Doch in Wahrheit ist es ein ganz anderes Sinnbild, das die meisten Menschen mit “Atom” assoziieren:
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