“Aber gerade in diesem Augenblicke erwacht das antike Ideal des Zusammenwirkens von Dichtkunst und Musik zur dramatischen Darstellung der religiösen Ideen noch einmal zu neuem Leben und bezaubert die protestantische Kirchenmusik. Es zieht ihr voran mit dem Reize des großen Ideals, zugleich aber auch in dem Unvermögen der deutschen Poesie jener Zeit.” (Albert Schweitzer)
Das Kantatenwerk von Johann Sebastian Bach gehört für mich zu seinen spannendsten Werken, da er mit den gut 200 Kantaten eine ganze musikalische und liturgische Welt aufspannt. Jeder Sonntag erhält in einer eigenen Kantate musikalisch seine Form. Damit entsteht ein immergleicher Zyklus von Kantaten, der sich jedes Jahr wiederholt, zugleich aber dem Zuhörer mit jedem Umlauf neues zeigt. Ein äußerst langsamer Kreislauf, der überraschenderweise neben dem wunderbaren Einführungsbuch von Alfred Dürr auch im Internet seinen Niederschlag gefunden hat.
Die “Bach Cantatas Website“, auf den ersten Blick eine schroffe, Web 1.0-Homepage, offenbart erst bei zufälligem Klick auf eine Kantate, zum Beispiel BWV 144 “Nimm, was dein ist, und gehe hin” die hier angebotene Informationstiefe. Auf den Einzelseiten erfährt man nicht nur alle erdenklichen Informationen über Entstehung, Notierung, liturgischen Bezug und alle Tonaufnahmen (gleich mehrere Dirigenten wie Pieter Jan Leusink, Ton Koopman, John Eliot Gardiner, Philippe Herreweghe, Gustav Leonhardt, Nikolaus Harnoncourt, Masaaki Suzuki haben sich der Herausforderung gestellt, den kompletten Zyklus einzuspielen), sondern kann sich den Text der Kantate auch auf Katalanisch oder Chinesisch ausgeben lassen oder sich die Noten ansehen (und ausdrucken).
Aber es handelt sich hierbei nicht um ein reines Kantaten-Lexikon, sondern auch eine Diskussionsgemeinschaft, die auf hohem Niveau ebenfalls in einem langen Zyklus über die Kantaten und ihre Aufnahmen debattiert. Letzte Woche z.B. drehte sich das Gespräch um Kantate BWV 156 “Alles nur nach Gottes Willen” – und zwar bereits das dritte Mal (2003, 2007, 2010).
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