Ein erster, persönlicher Bericht vom Piemonter Share Art Festival in Turin
“Let us invite you to bring the family, the grandparents and the children, and sit on our open-source furniture, relax, even eat something. Fill a wine glass with tomorrow.”
Bruce Sterling
Ein Jahr ist es her, dass ich nach Turin gereist bin, um der Eröffung der ‘Casa Jasmina’ beizuwohnen, einem Musterhaus für digitale Open Source Haushaltstechnologie. Durch Bemerkungen bei Vorträgen hatte ich von Bruce Sterling, dem Initiator des Projektes davon erfahren. Wie viele ‘Cyber-Kinder’ war ich Bruce und seinen Gedanken über dreißig Jahre lang mehr oder weniger lose gefolgt. Auch wenn ich immer wieder einige seiner Ideen inspirierend fand, sie in meine Vorträge oder Blogposts eingebaut habe, war es erst sein Buch “Shaping Things“, mit dem ich wirklich etwas für meine Arbeit anfangen konnte. Shaping Things ist ein schmales Bändchen, eher ein Essay. Es war, soweit ich weiß, die erste umfassende Betrachtung, was wirklich passieren würde, wenn die Digitalisierung sich aus der Gefangenschaft des Web befreien und die Welt der physischen Dinge erobern würde, um daraus das ‘Internet of Things’ entstehen zu lassen. Aber vor allem sprach er davon, wie Dinge dann beschaffen sein müssten, um “freundlich” zu bleiben, gutmütig, trotz des totalitären Wesens gobaler Vernetzung und lebensumfassender Datenerhebung.
In Form der Casa Jasmina hatte Bruce angekündigt, gemeinsam mit Jasmina Tešanović, der Namensgeberin der Casa, seine Designtheorie in die Praxis eines wirklich bewohnbaren Hauses zu übersetzen. Es ist eine Sache, über Dinge zu schrewiben, eine ganz andere aber, etwas derartiges in der körperlichen Welt zu bauen, mit allen Einschränkungen, die die Conditio Humana einem dabei auferlegt. Es ist also wenig überraschend, wenn die ‘Casa’, die ich an ihrem Eröffnungstag vorfand eher ein Resonanzraum für unsere Visionen und Erwartungen war, als ein tatsächliches Heim.
Heute, ein Jahr später, hat sich die Casa Jasmina zum offiziellen Veranstaltungsort des Piemonte Share Art Festival entfaltet. Luca Barbeni, der das Share.to seit seinem Start 2006 kuratiert hatte, war nach Berlin ausgewandert, um dort seine NOME Gallery zu gründen, und Bruce Sterling war an seine Stelle als künstlerischer Leiter getreten, um das Festival in Turin gemeinsam mit dessen Co-Gründerin Chiara Garibaldi zu leiten. Dabei sollten sie illustre Unterstützung erhalten, wie etwa von Paola Antonelli, Kuratorin am New Yorker MoMA oder Astronauten-Star Samantha Cristoforetti. Und passend zum Ort legte Bruce fokussierte Bruce die Ausstellung auf “Kunst und Technologie für zu hause”.
Die ‘Casa’ und ihre Bewohner sind ausgesprochen gastfreundlich, und das Willkommen, das wir dieses Mal erleben durften, stand vergangenen Besuchen in nichts nach. Moderne Kunst hatte von Anfang an mit dem Häuslichen zu kämpfen – die meisten zeitgenössischen Kunstwerke sind schlichtweg ungeeignet für normale häusliche Verhältnisse. Diese Eigenschaft hat die Kunst mit Digitaltechnik gemein. Obwohl die meisten Leute “Computer”, ehedem PCs, heute Smartphones und Tablets auch zu hause nutzen, sind diese Geräte nie zu einem integrierten Teil der Haushaltsausstattung geworden. Unsere Digitaltechnik ist unverändert eher Teil unseres Outfits, mehr Accessoir als Haushaltsgerät. Es ist teilweise der überheblichen Anmaßung geschuldet, in der beide – Tech und Kunst – alle Aufmerksamkeit verlangen, ihre apodiktische Moral verkünden, wodurch meiner Ansicht nach beide so schwer erträglich sind, wenn wir sie in den beschränkten Platz unserer vier Wände zwängen. Jasmina Tešanović hat ihre Klage darüber in ihrem flammenden Manifest “Die sieben Wege des Internet of Women Things” zum Ausdruck gebracht, dessen Übersetzung wir ebenfalls auf diesem Blog veröffentlicht haben.
“House Guests” ist der Titel der Ausstellung, und entsprechend geht es hier mehr um das bequeme Zusammenleben von Kunst, Technologie und Menschen, als um Kunst an sich. (Daher möchte ich eine Kritik der Kunstwerke auch auf einen späteren Artikel vertagen).
In der Ausstellung finden sich zweierlei unterschiedliche Formen von Kunstwerken: Physische Objekte und Videos. Acht Videos, die aus der Online-Kunstplattform seditionart.com stammen, laufen auf weißen iPads, die an der Wand hängen. Diese acht Videos sind nicht interaktiv, lediglich Bewegtbild. Es wäre also genauso gut möglich gewesen, sie einfach der Reihe nach auf einem Laptop laufen zu lassen, an die Wand zu beamen, oder sie auf irgendeinem digitalen Bildschirm zu zeigen. Stattdessen waren die einzelnen iPads in schwarze Halskrausen gerahmt, die Größe etwa die doppelte Bildschrimdiagonale, ähnlich dem bürgerlichen Tafelbild. Die Schwierigkeit mit Video-Bildschrimen, und speziell mit den Bildschirmen von Mobilgeräten wie den iPads ist die totale Beherrschung des Inhalts darauf durch das Medium. McLuhans Beobachtung gilt unverändert, dass Dinge im Fernsehen zu allererst TV sind, und erst in zweiter Linie, wenn überhaupt, der Inhalt, wie etwa ein Spielfilm oder Nachrichten. Diese mediale Festgelegtheit gilt in viel geringerem Maße für Gemälde, Zeichnungen, Drucke oder Skulptur, für die ihr Materia lediglich ein Aspekt eines größeren Ganzen darstellt. Und trotz ihrer voluminösen Krägen haben auch die iPads in der Casa Jasmina nicht viel von ihrer hypnotischen Qualität verloren. Die Kunst darauf verblasste unter dem wunderschönen Flimmern ihrer brillianten Technologie. Diese pornografische Dominanz des Mediums ist auf jeden Fall ein Thema, mit wir uns bei Kunst im digitalen Zeitalter auseinandersetzen müssen.
Verglichen mit dem Solipsismus der Videos ging es bei den physischen Objekten sehr viel mehr um wirkliches Zusammenleben. Tischtücher mit algorithmischem Design, Teller mit Dekor, vom Quantified Self inspiriert, Musikinstrumente auf Basis von Microsoft Kinect: Alle möglichen Formen von “zahmer Technologie”, die sich unter die bereits in der Casa vorhanden Gegenständen aus dem Maker Space im Nachbarhaus mischten. Der Anspruch der Kunst in der Casa Jasmina ist nicht hoch, und wir bekommen keine Kunstrevolution verkauft. Während etwa die kürzlich verstorbene Zaha Hadid und ihr Partner Patrik Schumacher den Parametrizismus als das zukünftige Paradigma von Architektur, Design und der ganzen Menschheitskultur schlechthin erklären, gehen die Objekte in der Casa Jasmina eher spielerisch mit den neuen, kreativen Möglichkeiten um, als die nächste Große Erzählung abzuliefern.
Bei der Kunst in der Casa Jasmina geht es also nciht so sehr um Kunst, sondern um das heimische Haus. Das eigentliche Kunstprojekt ist die ganze Casa selbst, mit allem, das dort von Anfang an stattgefunden hatte. Wie Bruce damals gefordert hatte: Es geht darum, menschliche Werte in technische Gegenstände einzubetten. Gemeinsam mit dem Schöpfer des Arduino Massimo Banzi kämpft Bruce für eine ethische Technologie, die er vor kurzem in einem “IoT Manifest” zusammengefasst hatte: Dinge sollen offen bleiben und einfach zusammenarbeiten. Auch wenn die Sstandardisierung der Benutzeroberfläche der Smartphones einen klarer Vorteil der Produkte von Apple darstellt, so möchte doch wohl kaum jemand erleben, dass die Vielfalt der Kunst durch bevormundende Sterilität eines iTunes Store planiert wird. Eng damit ist die zweite Forderung verbunden, die Nachhaltigkeit. Was nützt eine LED-Lampe zwanzig, die Jahre lang brennen könnte, wenn die Software darauf, die sie “Smart” machen soll, nach zwei Jahren veraltet ist und die Lampe vielleicht sogar unbenutzbar macht? Die geplante verkürzung der Lebensdauer von Hard- und Software war von Anfang an ein Geschäftsprinzip in Silicon Valley. Dabei geht es hier nicht einfach nur um Öko-Lamento, wie neulich erst eindrucksvoll von Google bewiesen wurde, als ältere Gerate der Marke ‘Nest’ ferngesteuert unbenutzbar gemacht wurden, um deren Besitzer zu zwingen, sich neue zu kaufen. Die dritte Forderung ist Fairness. Technologie darf die Menschen nicht ausspionieren. Ich glaube, diese Forderung kann nur verwirklicht werden, wenn wir zentralistische Strukturen für die vernetzte Technik verhindern. Nur wenn wir es schaffen, Netze aus dezentralen, verteilten und autonom funktionierenden Geräten zu spannen, werden wir unsere Privatsphäre zu hause verteidigen können.
Für viele Menschen hat sich zeitgenössische Kunst schon längst aus ihrem Leben verabschiedet – intellektuell abgehoben, einzig der hermetische Ausdruck der Künstlerpersönlichkeit, abgeschlossen und geschützt durch Urheberrecht und geistiges Eigentum – Bitte nicht berühren! Digitaltechnologie entzieht sich ebenfalls unseres Zugriffs. Wen wir die glänzenden Gehäuse der digitalen Geräte öffnen, verwirken wir die Garantie. Die Kunst und Technik in der Casa Jasmina ist offen, freundlich, eine einfache Hausgenossin. Man könnte sagen, dass es ihr an der großen Geste fehlt; sie ist nur komfortabel. Vielleicht ist das aber genau der Punkt. Wir werden wieder interessant gestaltete häusliche Gegenstände bekommen, die nicht einfach nur designte Markenprodukte sind, sondern maßgefertigt an ihre Besitzer angepasst, die ihre Gemachtheit sehen lassen, statt sie ellegant zu verschleiern. Was wir erleben, ist der Aufstieg einer neuen Arts&Crafts-Bewegung. Wie ihr Vorläufer vor 120 Jahren, steht auch Neo-Arts&Crafts gegen den glatten Perfektionismus der industriellen Massenfertigung, und ebenso wie damals, nicht in einem Rückschritt zu vorindustrieller Handwerklichkeit, sondern unter Ausnutzung der neuen Methoden und Werkzeuge unserer Zeit. Und im Gegensatz zum Maker Movement, aus dem sie hervorgegangen war, wird es bei Neo-Arts&Crafts weniger um Technolgie gehen, und viel mehr um Handwerkskunst. Diese Art Nouveau heißt auf deutsch Jugenstil oder Reformstil. Bei der Reform ging es darum, wieder eine bewohnbare Umwelt zu schaffen, in der Menschen ein glückliches und gesundes Leben führen konnten. Wenn Neo-Art-Nouveau ähnlichen Zielen folgen sollte, indem sie offen, nachhaltig und fair ist, bin ich überzeugt, dass sie sich durchsetzen wird. Weit mehr als der Parametrizismus und andere akademische Konzepte, die Kunst wieder zu erfinden, hat diese Kunst das Potenzial ein wesentliches Paradigma der Post-Internet Kunst zu werden.
Und jetzt will ich mehr davon sehen!