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Slow Media 2017

Sieben Jahre sind vergangen, seit wir drei Slow-Media-Autoren unseren Unmut über die Medien in das Slow Media Manifest gegossen haben. “Slow” wie in “Slow Food”.

Irgendwann Anfang der 1970er Jahre – ich war noch ein wirklich sehr kleines Kind – fuhren meine Eltern mit mir in die Stadt, um mit mir ein besonderes Ereignis zu feiern: Die Eröffnung des McDonald’s Restaurant am Stachus. Wenn ich mich heute an meine Kindheit zurückerinnere, ist mir vollkommen klar, was meine Eltern Besonderes an Fastfood gefunden hatten. Die “Deutsche Küche” war grauenvoll. Angewärmte Fleischbrocken und stärkereiche Sättigungsbeilagen, saurer Filterkaffee, Tee im Glas aus lauwarmem Wasser mit einem aromafreien Beutel daneben, Wasser gab es zum Essen nur in 0,2l und extrem teuer; aber das schlimmste war der ‘kleine Salat’ – welke Kopfsalatblätter bedeckten Batzen von Sellerie und Karottenjulienne aus der Konserve, alles schwimmend in einer süßlichen Emulsion aus Essigessenz und Sonnenblumenöl.

Fastfood versprach die Befreiung. Während die amerikanische Kultur den deutschtümelnden Mief der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Pop und TV aus den Wohnzimmern blies, würde Fastfood mit seinem industriellen Kosmopolitismus das Grauen der Deutschen Küche vertreiben, das war wohl die Hoffnung meiner Eltern.

Der Preis der gastronomischen Revolution sollte allerdings sehr teuer werden: Von massenweiser Fehlernährung über den himmelstürmenden Müllberg, bis zur Entwaldung der Tropen – die Folgen der industrialisierten Küche sind durchaus mit den Folgen des Fordismus in anderen Bereichen der Ökonomie und Kultur vergleichbar. Fast Food war nicht das Ende der kulinarischen Geschichte. Spätestens um 1980 war es Zeit geworden, sich über einen Neuanfang echter Kochkunst zu kümmern.

Slow Food und Neue Küche konnten sich endlich entwickeln, weil Fastfood den Raum dafür geschaffen hatte. Der Anlass zur Gründung von Slow Food ist schließlich eine direkte Reaktion auf Fastfood: Der Protest gegen Eröffnung des ersten McDonald’s in Rom 1986.

Slow Food ist kein reaktionärer Rückfall in die Zeit vor dem Fastfood – Slow Food bedeutet, die wertvollen Aspekte der Essenskultur freizulegen, die bereits vor Ankunft des Fastfood in der verkommenen Alltagsküche unter minderwertigem Fraß verschüttet waren. Nouvelle Cuisine und andere neue Formen des Kochens entwickeln handwerkliche Kochkunst zeitgemäß weiter.

Malbouffe, “Schlechtessen” oder Junk Food hatte José Bové das Fastfood genannt. Der französische Agrarrevolutionär wurde weltbekannt, als er 1999 im Rahmen einer Protestaktion eine McDonalds Filiale in Südfrankreich zerstörte. Le Monde n’est pas une marchandise – “Die Welt ist keine Ware” ist der Titel von Bovés bekanntestem Buch. So wie Slow Food gegen die industrielle Zerstörung guten Essens steht, kritisieren wir in Slow Media nicht zuletzt den Warencharakter in Medien und Kultur (zum Beispiel hier: [1] oder hier [2]).

Die Zeitungslandschaft meiner Jugend habe ich ähnlich erlebt, wie den widerlichen Fraß, der damals in Restaurants serviert wurde. Den Medienmüll der klassischen Publizisten haben wir in diesem Blog bereits hinlänglich bearbeitet (zum Beispiel hier: “Den Schrott gibt es im Internet?”, “Schrott Nachtrag” oder hier: “Das letzte Aufgebot”). Die Mischung aus Nachlässigkeit, Geldgier und Arroganz der selbsternannten “vierten Gewalt” aber bereitete den Boden für Google, Twitter und Facebook.

Google, Twitter und Facebook haben uns geholfen, die alten Medien zu überwinden, so wie Fastfood uns den Ausweg aus der schlechten Nachkriegsküche ermöglicht hat. Google, Twitter und Facebook sind wie Fastfood, im Guten wie im Schlechten. Nach erstem Augenschein sind sie so viel sauberer, moderner, weniger prätentiös, als die klassischen Medien.

Doch auch die Probleme sind mit Fastfood zu vergleichen. Das Medienfastfood ist bedingungslos optimiert, maximal effizient, maximal profitabel. Es lässt wenig Raum für Qualität, da die Algorithmen jede Abweichung von ihren Regeln gnadenlos bestrafen, mit der schlimmsten Strafe, die es für Medien gibt: dem Entzug von Aufmerksamkeit. Nur was dem Profit der Fastfoodmedien dient, schafft es in die Suchergebnisse, nur was die Algorithmen nach ihren Kriterien als relevant erachten, wird in unserer Timeline dargestellt. Websites, die Google nicht in den Suchergebnissen zeigt, existieren de facto nicht.

“Fake News” – Empörung herrscht allerorten über das “postfaktische Zeitalter”. Selbstverständlich gab es gezielte Falschmeldungen schon immer – Desinformation und manipulative Berichterstattung waren allerdings bis jetzt das Privileg von Journalisten und ihren Verlegern. Die stupiden Algorithmen der Fastfoodmedien ermöglichen es heute, Fake News sehr viel gezielter, von außen an ein Massenpublikum zu senden. Spätestens seit Brexit und der US Wahl 2016 sollte klar sein, dass Medienfastfood den Geist genauso fett und faul macht, wie die Malbouffe von McDonald’s.

“Medien sollten klarer und transparenter sein und nicht, entschuldigen Sie den Ausdruck, in eine Koprophilie verfallen, die stets bereit ist, Skandale und widerliche Dinge zu verbreiten, so wahr sie auch sein mögen”
Papst Franziskus

2017 wird das Jahr der Slow Media, davon bin ich überzeugt. Die Zeit ist reif für wirklich neue Medien, die mehr bieten, als Fastfood, als Hetze, Rassismus und Hass.
Anders als die Fastfoodmedien der letzten zehn Jahre werden Slow Media ein inhaltliches Konzept tragen und sich nicht lediglich als technologische Plattform definieren, unter Ableugnung jeder politischer und sozialer Verantwortung. Aber sie werden eine sozial gestützte Kultur vertreten, die auch Technologie positiv einbezieht, statt sie zu verdammen und zu bekämpfen.

Wir werden 2017 neue Medienangebote erleben, die nicht dem technokratischen Solutionism aus Silicon Valley folgen. Sie werden dezentral, verteilt und autonom arbeiten, keine Winner-takes-it-all Wette auf das Unicorn.

Die neuen Medienangebote werden allerdings – wie ihre Vorgänger – die Frage nach dem Markt beantworten müssen. Ob Werbung weiterhin nahezu ausschließlich die Geldquelle für relevante Publikationen bieten sollte, so wie es bisher selbstverständlich war, halte ich für fragwürdig. Renditeerwartung der Shareholder, die die Jagd auf Werbegeld anheizt, das nur kommt, wenn massenweise und verlässlich Menschen erreicht werden, ist die treibende Kraft hinter den Algorithmen, denen wir die Überschwemmung mit Fake News verdanken. Werbung ist das einzige Geschäftsmodell der Fastfoodmedien. Aber die Welt ist keine Ware – José Bovés Motto des “besseren Essen” können wir eins zu eins auf Kultur übertragen – und auf Medien.

Was ich mir in der nächsten Mediengeneration am meisten erhoffe, ist Vielfalt und Alternative, die Stimme der Marginalisierten zu hören, statt wie heute bei jeder Abweichung vom Mainstream vom Shitstorm niedergebrüllt zu werden.

Vielfalt bedeutet vermutlich auch die Abkehr von den dominierenden Paradigmen der Netzwerk-Ökonomie. Medien werden sich nur dann wirklich neu erfinden können, wenn das Dogma ‘Alles muss im Netz gedacht werden’ sinnvoll gebrochen und kritisch überwunden wird. Der Künstler und Medientheoretiker Zach Blas hat dazu den bemerkenswerten Text “Contra Internet” geschrieben. Darin beschreibt er die zukünftigen Medien als Paranodes, Nervenzellen, die außerhalb des Netzes liegen, quasi in den Zwischenräumen. Ob und wie es uns gelingt, aus dem Gedankengefängnis der Netzwerk-Metaphorik zu entkommen finde ich eine der interessantesten Fragen.

2017 wird das Jahr der Slow Media, das ist jedenfalls meine Prognose. Wie so oft wird es auf den ersten Blick vielleicht keine totale Revolution sein, was wir in neuen Medienangeboten erblicken. Wir werden also genau hinsehen müssen, gerade auch jenseits der Orte, an denen klischeehaft Medieninnovation stattzufinden hat.

Wir freuen uns auf die nächste Generation der Medien. Und wir sind gespannt, über was wir hier darüber erzählen können!

Links zum Thema
Zach Blas, Kontra Internet
Jörg Blumtritt, Ohne Google
Michaael Reuter, NewsChain – Authentische Nachrichten generieren und verbreiten

John Naughton (The Guardian), How Trump’s savvy army won the internet war
Jonathan Albright, Welcome to News Fake

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Alltag Architektur Fernsehen Geschichte Slow theory Sprache Wirtschaft

S21: Experiment am offenen Kopfbahnhof

Gestern hat die Schlichtung zum Stuttgarter Bahnhof begonnen. Eine Schlichtung ist nicht neu und nichts Ungewöhnliches. Neu ist, dass diese Schlichtungssitzungen live im Fernsehen und im Internet übertragen werden (hier alle Videos der ersten Sitzung). Das ist ein Experiment, man könnte sagen: ein Experiment am offenen Kopfbahnhof. Der Schlichter Heiner Geißler nennt es ein “Demokratie-Experiment”. Interessant, dass er das Herstellen von Öffentlichkeit mit Demokratie in Verbindung bringt. Ähnlich argumentierte gestern morgen im Tagesgespräch des WDR5 Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Er sieht in der öffentlichen Schlichtung eine Chance auf neue Formen der bürgerlichen Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen. Und neue Formen der Demokratie müssen wohl entwickelt werden. Denn immer mehr Bürger scheinen sich von ihren Vertretern nicht mehr richtig vertreten zu fühlen. Wie kommt das?

Die politischen Entscheidungrituale scheinen sich verselbständigt zu haben. So wie sich auch die politische Sprache in Rituale und Floskeln flüchtet.* So wie Talkshows zu Simulationen von Gesprächen geworden sind, in denen jeder nur vorbestimmte Statements ablädt und wieder geht. Es ist die Diskursivität, die hier fehlt – ein zentrales Element in unserem Slow Media Ansatz. Die Bereitschaft, Zuzuhören und einen Standpunkt zu gewinnen – anstatt ihn vorher schon zu haben.

Vielleicht muss unsere parlamentarische Tradition reparlamentarisiert werden. Und zu ihrem Wortursprung zurückfinden. “Parlament”: Das ist da, wo gesprochen wird. Und: Zugehört. Aufeinandereingegangen. Widersprochen. Reagiert. Agiert. Ganz im diskursiven Sinne. Diskurs, das heißt: Da ist etwas in Bewegung. Nicht: Da steht alles schon vorher fest.

Heiner Geißler hat schon im Vorfeld erklärt, dass er auf “völlige Transparenz” setzt. Alles müsse auf den Tisch, “alle Argumente, alle Fakten, alle Zahlen”. Gerade diese Absicht könnte die Politik das Fürchten lehren, darauf wurde schon öfter hingewiesen. Alle Fakten auf den Tisch. Hannes Rockenbauch, der Stuttgarter Stadtrat der SÖS, erklärt (als es bei der Schlichtung um die Frage geht, ob die Fakten auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen): “”Alles auf den Tisch”, das heißt auch: alles ins Netz!”. Da haben wir den Salat. Was machen wir jetzt damit?

Interessens- und parteigeleitete Entscheidungsrituale haben es hinter verschlossenen Türen gewiss leichter. Bedeutet das, dass mehr Transparenz und Öffentlichkeit die Beteiligten zu mehr Sachorientierung zwingt? Das werden wir nun in diesem Experiment beobachten können. Auch, ob sich vor laufenden Kameras wirklich Sachargumente gegen medienerfahren vorgetragene Positionen durchsetzen.

Am interessantesten war für mich, die Gesprächssituation selbst sehen zu können: Wie funktioniert so eine Schlichtung? Sehen sich die Leute an, wenn sie miteinader sprechen? Ist jemand überzeugt von dem, was er sagt? Wer kokettiert mit der Kamera? Wer weicht Antworten aus? Wer ist sicher, wer schwimmt? Wer argumentiert auf Sachebene, wer stellt die Autoritätsfrage?

Alte Entscheidungsmuster und Kommunikationsstrukturen funktionieren nicht mehr. Ich denke, es ist kein Zufall, was grade in Stuttgart passiert. Was noch vor 15 Jahren (also zu Projektbeginn) selbstverständlich war, ist es jetzt nicht mehr. Die Gesellschaft ist jetzt eine andere, Geißler hat selbst darauf hingewiesen, im Zeitalter neuer Medien und höherer Informationsverfügbarkeit: Öffentlichkeit ist heute etwas anderes, und das ist gut so.

Einen Effekt hat das Experiment Stuttgart jetzt schon: “Die Experten sollen bitte das, was sie wissen, in eine Sprache umsetzen, die wir auch verstehen”, fordert der Schlichter Geißler, der sicher auch einen guten Erzieher schwererziehbarer Kinder abgegeben hätte. Keine unnötigen Abkürzungen und Fremdworte, keine unleserlichen, kleinteiligen und unverständliche Powerpoint-Präsentationen. Weil “uns so viele zuschauen”. Die das verstehen und nachvollziehen können wollen.

Was für eine Wohltat, dass öffentlich Verständlichkeit gefordert wird. Wenn mehr Transparenz den Effekt hat, dass Experten verständlich kommunizieren müssen – nun, das allein wäre es doch schon wert.

+ + +

* Dass politische Rede auch anders – sprich: diskursiv – sein kann, führte erst kürzlich der Rhetorik-Experte Prof. Wilfried Stroh in seiner fabulösen Dinnerspeach zum Slow Media Symposium des Forums Wertvolle Kommunikation in Gmund am Tegernsee aus.

Abbildung: Cesare Maccari: Cicero klagt Catalina an. Quelle: Wikipedia.

(Beitrag crossgepostet auf TEXT-RAUM)

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Eine kleine Ikonographie der Slow Media

[Klick auf die Motive führt zur Quelle]

Seit kurzem gibt es eine weitere russische Übersetzung unseres Manifestes. Sie ist mit einem – wie ich finde – großartigen Bild illustriert, ein Foto (wohl eher: eine Fotomontage), die echt und natürlich wirkt und irritierend zugleich. Eine fliegende Schildkröte. Sie fliegt wirklich: Weil sie tatsächlich echte Flugbewegungen macht. Nur dass Schildkröten diese echten Flossen/Flügelbewegungen üblicherweise nicht in der Luft machen, sondern unter Wasser, in den Tiefen des Meeres. Alle kennen wir die Bilder von durchs Blau schwebenden Schildkröten. Daher die Vertrautheit des Motives, die durch den veränderten Kontext befremdet. Diese Befremdung ist bei genauerer Betrachtung eine doppelte: Denn schon die echten Flossenbewegungen unter Wasser irritieren, weil sie den Betrachter so frappierend ans Fliegen erinnern. Es handelt sich also bei besagtem Bild im Grunde um die Rückprojektion einer Bewegung von den Meerestiefen in luftige Höhen – eine geniale Motivmechanik.

Dieses Bild ist Grund und Anlass genug, ein wenig Rückschau zu halten auf die inzwischen stattliche Tradition der Slow Media-Illustration. Denn: Das redaktionelle Konzept der rezensierenden Medien verlangt verschiedentlich nach Abbildungen.  Aber wie bitte bildet man ein Thema wie Slow Media ab?

Einige Tage zuvor hatte bereits eine russische Publikation folgendes Motiv aus dem Hut gezaubert:

Interessant daran ist – neben der Tatsache, dass es sich hierbei auch um eine (zumindest halbe) Schildkröte handelt – das Motiv der Wandlung. Im Moment des Sprungs verwandelt sich die Schildkröte in ein Kaninchen. Ob damit wohl die Domestizierung der Medien gefordert wird? Oder zumindest die Zähmung einzelner Medien? Und: Ist es eine Verbesserung von einer Schildkröte zu einem Kaninchen zu werden?

Dem Schildkrötenmotiv liegt vermutlich das Emblem zugrunde, das wir ursprünglich als Motiv für unser Slow Media Camp in Böblingen gewählt haben. Es zeigt eine geflügelte Schildkröte. Die Schildkröte hat in der Slow Media Rezeptionsgeschichte zunehmend die ursprüngliche Bild-Assoziation “Schnecke” abgelöst.

So illustrierte Bruder Richard Maria Kuchenbuch seinen Beitrag “Wird das Internet benediktinisch?” mit einer benediktischen Schnecke:

Uni.de wartete mit der Variante “Schnecke auf Maus” auf (honni soit qui mal y pense):

Und Heute.de entschied sich für die Version “Schnecke auf Tastatur”:

Die Slow Media Bilderstrecke bei 1LIVE hingegen wurde angeführt von einer gescribbelten Prozessionsschnecke:

:

Während Nilesh Zacharias in seinem Blog die Schnecke als Verkehrszeichen plaziert:

Womit wir bei einer weiteren Motivgruppe wären, der Verkehrgeschwindigkeit. Sie unterteilt sich in die motivgeschichtlich verwandten Unterkategorien “Bodenbeschriftung”, “Verkehrszeichen” und “Sonstige”.

Hierzu einige Beispiele:

In dem Beitrag “Slow Media als einen Beitrag zur höheren Kundenorientierung” finden wir diese Abbildung:

Auf gleicher Linie liegt dieses Beispiel aus einem italienischen Blog:

Der Unterkategorie Verkehszeichen gehört das Bild an, das unser Interview bei den Netzpiloten zierte:

Ähnlich operiert der Dissentertainment-Blog, zudem garniert mit einem Don Quichote-Zitat:

Sogar Slow Media Skepsis lässt sich motivlich mit Verkehrsmitteln ausdrücken:

Zur Verkehrsunterkategorie “Sonstige” gehört möglicherweise auch die Slow Media Illustration des WDR5 Funkhaus Wallrafplatz: Handelt es sich hier um die Visualiserung einer Datenautobahn?

Andere Illustrationen stehen für sich und sind keiner Gruppe zuzuordnen. So zum Beispiel das Near Future Laboratory, das mit einer Konstruktionszeichnung des hauseigenen “Slow Messengers” illustriert:

Einen ganz anderen und ganz und gar untechnischen Ansatz wählt Joe Grobelny in seinem Beitrag „Slowness, Silence, Plants, and why I took Facebook off of my Iphone“:

Und manches sieht auch völlig ohne Illustration einfach nur cool aus:

Das wäre dann, nun ja, slow media beyond iconography…

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Nachtrag:

Da habe ich heute Nachmittag doch glatt bei der Rezeptionsgeschichte die Skandinavier vergessen. Dabei haben sie eine so schöne eigene Bildsprache – weniger Verkehrwesen, weniger Tier, dafür mehr Mensch und Körper… Bitte sehr:

Ein Mensch, ein Buch – das ist für diesen norwegischen Beitrag Slow Media (“Kvalitet” und “konsentrasjon”):

Und ein körpersprachlich sehr schönes Bild für die Ich-Erschöpfung, die Slow Media notwendig macht, findet die Ankündigung zu unserem Interview mit dem norwegischen Rundfunk:

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Bücher Geschichte Kunst Literatur Philosophie Slow theory

Slow Media und die knappe Zeit

Hat einer dreißig erst vorüber,
so ist er schon so gut wie tot.

Goethe, Faust II

“Warum Slow Media?” Die Frage bekommen wir auf unseren Veranstaltungen und in vielen Gesprächen immer wieder gestellt. “Was hat euch dazu gebracht, für mehr Langsamkeit im Mediengebrauch einzutreten?” Für mich ist Hippokrates vielzitierter Aphorismus Ὁ μὲν βίος βραχύς, ἡ δὲ τέχνη μακρά (bzw. Senecas noch prägnantere Form vita brevis, ars longa) das Fundament von Slow Media – ja, überhaupt von allen Strömungen der Slow-Bewegung.

Das Leben ist schlicht zu kurz, um sich mit schlechten Dingen zu umgeben, von schlechtem Essen zu ernähren oder eben schlechte Zeitschriften, Internetseiten oder Bücher zu lesen. Gerade in der Mitte des Leben rückt die letzte deadline (was für ein passender Begriff) unaufhaltsam näher und lässt sich nicht mehr aufhalten. So mäht der Tod von Altötting die Sekunden der verbleibenden Zeit mit der Sense.

Die entscheidende Frage, die in der Geistesgeschichte zu unterschiedlichen Antworten geführt hat, lautet: Wie umgehen mit diesem Missverhältnis zwischen Begrenztheit des Lebens und Unbegrenztheit der Künste? Wie umgehen mit dem Bewusstsein, sich allenfalls mit einem winzigen Bruchteil aller Bücher, Filme, Zeitschriften, Menschen näher auseinandersetzen zu können? Ganz grob skizziert, gibt es einen quantitativen und einen qualitativen Weg durch diese Zwickmühle.

Der quantitative oder auch protestantische Weg sieht vor, mit Hilfe eines strikten Plans, einer timetable, möglichst viel von dem Potential auszuschöpfen. Benjamin Franklins Losung “Zeit ist Geld” ist der deutlichste Ausdruck dieser Philosophie, bei der es darum geht, jede Sekunde des Tages in Wert zu setzen und nichts von dieser kostbaren Ressource durch Faulenzen oder gar Genuss zu vergeuden. Sparsamkeit ist das Ideal, nach dem die kurze verbleibende Lebenszeit ausgerichtet werden soll.

Ganz anders sieht der andere Weg aus, in dem es um die Qualität der kurzen Zeit geht. Hier ist es nicht das Ziel, möglichst viel Geschäfte in die begrenzte Zeit hineinzupressen – junge Erwachsene in den USA schaffen es zum Beispiel durch Parallelnutzung unterschiedlicher Medien 10:45 Stunden Medienzeit in nur 7:38 Stunden Lebenszeit zu stopfen, so dass Franklin angesichts dieser Effizienz sicher Beifall klatschen würde  -, sondern die Zeit möglichst gut zu verbringen. Unser Slow-Media-Manifest könnte man auch in einem Satz zusammenfassen: Die Zeit ist zu knapp für schlechte Medien.

Der Collège de France-Romanist Harald Weinrich beschreibt in seinem Buch “Knappe Zeit”, das ich an dieser Stelle wärmstens empfehlen kann, alle denkbaren Facetten dieses Phänomens. Im Mittelpunkt steht dabei der Dualismus zwischen dem greisen Chronos, der wie der Tod z’Eding unerbittlich mit hohem Tempo dem Ende entgegenrast, und dem jugendlichen Kairos, der auch optisch den weisen Gebrauch der Zeit beschreibt:

[A]ls auffälligstes Merkmal trägt er den Kopf fast kahl geschoren. Nur an der Stirnseite ist ein Haarschopf stehengeblieben. Will ein Irdischer diesen behenden Gott fassen und festhalten, so muß er ihn frontal annehmen und versuchen, ihn beim Schopf zu ergreifen. Wenn dieser Zugriff mißlingt, dann findet die Hand an dem glatten Schädel keinen Halt, und schon ist die rechte Zeit verpaßt und entglitten.

Auf für Medien gibt es einen rechten Zeitpunkt. Nicht jedes langsame oder schnelle Medium ist für jeden, immer und überall das richtige. Aber in vielen Fällen ist die langsame, inspirierende und nachhaltige Option die angenehmere Wahl, die das Gefühl vermittelt, die knappe verbleibende Zeit des Lebens gut erfüllt zu haben.

Paradoxerweise ist dies häufig auch die kostengünstigere Option. So wie der Kauf eines sehr guten, nie benutzten Teeservices aus Porzellan von 1957 auf dem Flohmarkt viel günstiger kommt als der Einkauf von namenloser Industrieware bei schwedischen Einrichtungshäusern oder von wie-alt-produzierter Ware in Nostalgiesupermärkten, ist der Genuss sehr gut hergestellter Bücher, die bereits eine Patina besitzen, günstiger als das Sammeln von Billig-Editionen der Tageszeitungsverlage. Slow Media ist aber nicht als Plädoyer für etwas, was man in Anlehnung an Stilmöbel als Stilmedien bezeichnen könnte, zu verstehen, sondern für authentische Medien, seien es neu am Zeitschriftenstand gekaufte (Wired, Intelligent Life, Make, Brand eins) oder eben Erbstücke. Für alles andere ist die Zeit zu schade.

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Nachhaltiges Internet

Papier ist geduldig und kann sogar einen Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit leisten. Aber wie sieht es mit dem Internet aus? Welche Bedeutung hat das Internet für eine nachhaltige Zukunft? Slow Media bedeutet schließlich nicht nur, inspirierende und mit Sorgfalt produzierte Inhalte, sondern auch Medien, die nicht auf Kosten unserer Umwelt oder unserer Nachfahren produziert sind.

Auf Slideshare habe ich eine interessante Präsentation von Jorge Zapico (Homepage) gefunden, der in zehn Punkten beschreibt, wie seiner Meinung nach ein nachhaltiges Internet aussehen sollte:

  1. Die Hardware sollte möglichst umweltschonend und langlebig produziert bzw. durch Entwicklungen wie Cloud Computing deutlich reduziert werden.
  2. Das Internet sollte als Aufklärungsmedium (“ökologischer Fußabdruck”) und als Aufruf zu einer umweltverträglichen Lebensweise verwendet werden, z.B. in Gestalt von Social-Media-Plattformen, die Mikrokredite vermitteln.
  3. Internetangebote sollten global ausgerichtet sein und sich nicht immer nur an westliche Industriegesellschaften wenden.
  4. Virtuelle Gemeinschaften können insbesondere zu lokalem Handeln aufrufen.
  5. Für gute Inhalte kann gutes Geld verlangt werden (“If something is valuable, let’s pay for it”) um qualitativ hochwertige Inhalte von der Werbeabhängigkeit zu lösen.
  6. Designer sind aufgefordert, den “Technostress” im Internet zu reduzieren.
  7. Verlangsamung und Slow Media als Alternative zu der Informations- und Kontaktüberflutung im Web.
  8. Open Source und Creative Commons sollen als Fundament für den kreativen Austausch weiter gefördert werden. Das gilt nicht nur in Bezug auf Texte und Bilder, sondern auch für Bau- und Schaltpläne.
  9. Anwendungen und Plattformen meiden, die eine nicht-nachhaltige Lebensweise fördern.
  10. Die Entwicklung des nachhaltigen Internet ist keine Angelegenheit einzelner Organisationen, sondern alle Nutzer sind aufgefordert, sich daran zu beteiligen.

Besonders spannend wäre hier eine Gegenüberstellung unterschiedlicher Mediengattungen und ihres jeweiligen ökologischen Fußabdrucks. Welche Medien sind besonders umweltschonend und warum?

Hier die Präsentation:

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Akademische Weihen

Es sieht so aus, als würde das Thema “Slow Media” demnächst sogar den Sprung in die akademische Welt schaffen. Das Online-Journal “Transformations” wird die 20. Ausgabe unter das Motto “Slow Media” stellen. Der Call for Papers liest sich sehr spannend – vielleicht auch ein guter Anstoß für Diskussionen auf unserem Slow Media Camp im Juni?

Slow Media

Given the contemporary fascination with and, indeed, addiction to real-time media dispatch and commentary, what would it mean to speak of “slow media”? Dare we even think such a thing when everything around us screams of increased speed, increased bandwidth, and increased convergence? We are 24-7, we are always-on, we are connected; we are locatable, we are X/Y coordinated, we are plotted; we are status updated, we are tweet-fed, we are real-time media junkies and we don’t have time to slow down.

“Slow media” is surely inimical to the age of social media and 24-hour news channels, where we live immersed in a mediascape dedicated to reducing to nothing the temporal division between the occurrence of an “event” and its reportage. In such a scenario, “slow media” appears either heretical or retrogressive, a wanton disregarding of the patent necessity of instant information dissemination and rampant friending, or just another Luddite reaction-formation. Indeed, “slow media” as a term has already been spun-off from the “slow” movement more generally, and is used to describe the reduced media diet of people turning off the email, closing the facebook, and going outside for a sniff of the flowers.

But while “slow media” as a term may appear primarily to describe a mode of resistance, it also allows us to think about the speed of the media as such. Have our popular media always been increasing in speed? What is the end point of all of this, the apotheosis of real-time: are we, as Bernard Stiegler suggests, approaching the “time barrier”? And, what happens when we break it?

For this issue of Transformations, we invite papers that meditate on the speeds and slownesses of the contemporary moment. Papers could address, but would need not be limited to, any of the following themes:

  • real-time and the news media
  • social media and the status update
  • new media explorations of speed and slowness
  • artistic responses to speed and time
  • social media suicide: suicidemachine.org and seppukoo
  • the “slow” movement and resistance
  • histories of speed in the media
  • tweet-streams and data-feeds
  • bandwidth, access and connectivity

Abstracts (500 words): due 1st July 2010, with a view to submit articles by 1st October.

Abstracts to be forwarded to Grayson Cooke, at grayson.cooke@scu.edu.au

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Slow Media Camp 2010

Amor Addit. Emblem mit geflügelter Schildkröte. Slow Media Camp 2010
[Read Post in English]
Am 9. Juni 2010 veranstalten wir das erste Slow Media Camp (Hashtag: #slow10). Aus der Beschreibung der Veranstaltung:

New-Media-Hype oder Medienverweigerung? Mit Slow Media versuchen wir einen dritten Weg beschreiten. In den Sessions auf diesem Themencamp wollen wir Beispiele von Slow Media vorstellen, diskutieren, wie sich Slow Media in der Zukunft entwickeln und uns ganz besonders der Frage widmen, ob wertvolle Kommunikation nur aus Idealismus und persönlichem Enthusiasmus entstehen kann oder ob sich nicht doch auch gutes Geld mit guten Medien verdienen lässt.

Ort:

Hewlett-Packard GmbH
Schickardstrasse 32 (Geb. Businesspark)
D-71034 Böblingen

Anfahrtsbeschreibung

Zeit:

Mittwoch, 9. Juni 2010 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr

Ab 17.00 grillen mit slowem und nachhaltigen Essen.

Anmeldung und Kontakt:

Email: slow10 [at] slow-media.net

Anmeldung und Vorschläge für Sessions und Themen in den Kommentaren zu diesem Beitrag oder über Mixxt: slowmediacamp.mixxt.de

Das Slow Media Camp findet in Zusammenarbeit mit dem Forum Wertvolle Kommunikation statt und wird unterstützt von der Hewlett-Packard GmbH.

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Alles slow auf der Berlinale

Dieses BZ-Interview mit den Organisatoren der 60. Berlinale Dieter Kosslick, Christoph Terhechte und Wieland Speck ist schon etwas älter, der Absatz über Slow Media von Kosslick ist mir aber erst jetzt aufgefallen:

In zwanzig Jahren werden wir wahrscheinlich Overalls tragen wie die Leute von der BSR, weil wir dann nämlich die audiovisuelle Datenmüllabfuhr sind, als Kuratoren. Als Programmmacher. Wir brauchen nicht nur slow food, sondern auch slow life und slow see und alles slow. Die Maschinen bringen den Menschen in Situationen, wo sie nicht mehr reagieren können. Wir als Filmfestival sortieren gewissermaßen die Spams raus und versuchen, etwas anzubieten, was Sinn ergibt. Ich dachte immer, dass Filmfestivals auch wichtig wären, weil sie gesellschaftliche Treffpunkte sind. Aber diese Funktion gerät in den Hintergrund gegenüber der Aufgabe zu kuratieren, Programm zu machen.

Abgesehen von der spannenden Idee einer Berlinale, die sich ganz auf Slow Movies konzentriert, finde ich den letzten Punkt auch für die Debatte über Social Media wichtig: Man sollte Social Media nicht auf den Social-Aspekt reduzieren, sondern immer auch den Media-Aspekt beobachten. Denn es wird in Zukunft viel stärker um das Kuratieren von Inhalten, Gedanken und Erlebnissen gehen – eine Funktion, die von Menschen nach wie vor besser (anders?) geleistet werden kann als von Maschinen.

Obwohl der Kurator nah am Redakteur ist, finde ich den Begriff für die digitale Kultur passender. Der Kurator bewegt sich nicht innerhalb der starren Grenzen eines Mediums, sondern zu seinen Aufgaben gehört gerade auch das Entwerfen und Gestalten angemessener Ausstellungs- Wissens- oder Erfahrungsräume – real wie virtuell -, wofür dann wiederum eine Debatte über neue Medienkompetenz erforderlich wird. Außerdem eine Debatte über Medienverantwortung – weil man hier nicht nur Programmchef der eigenen Biographie wird, sondern – hier kommt dann der Social-Aspekt wieder hinein – auch der Medienrealität anderer Leute.