Medienfasten funktioniert. Die letzten 10 Tage auf einem abgelegenen Bergbauernhof in Südtirol waren für mich auch 10 Tage sehr wertvolles Medienfasten. Das heißt also: Brotlaibidole, Figurenmenhire, Römerstraßen, Votivtafeln, Fresken und autochthone Dialekte wie das Sarnerische und das Ladinische statt Fernsehen, Internet und Telefon. Also alles Paradebeispiele für Slow Media, wenn nicht schon No Media, also Medien, deren Übermittlungsfunktion innerhalb mehrerer Tausend Jahre nur noch auf einen kleinen Kreis von Personen beschränkt ist, wenn sie nicht bereits erloschen ist. Medienskelette, die von uns nicht mehr sinnvoll zusammengefügt und gelesen werden können.
Je mehr man sich mit solchen vom Aussterben bedrohten oder gar ausgestorbenen Medien befasst, desto größer wird der Appetit auf lebendige Medien. Das Make-Magazin, die Wired-Titelgeschichte über das iPad in der Post oder die jüngsten Blogposts von Bruce Sterling –
Eines der größten Missverständnisse des Medienfastens ist der verbreitete Irrglaube, es gehe dabei um Leere und Verzicht. Stattdessen geht es um Fülle und Genuss. Beziehungsweise die dialektische Beziehung zwischen diesen beiden Polen. Wahrscheinlich kann das eine nicht ohne das andere haben. Ebenso ist es mit Slow Media und Fast Media. Genausowenig wie das Fasten als Versuch missverstanden werden darf, die ausgewogene Nahrungsaufnahme zu bekämpfen oder gar aufzuheben, zielen Slow Media auf das Ende der schnellen Massenmedien. Für mich sind Slow Media vielmehr der Versuch, die eigene Mediennutzung zu schärfen und in einen wertvolleren Teil des eigenen Alltags zu verwandeln. In Anlehnung an Alexander Kluge: Mit Slow Media gewinnt man Zeit, statt dass man sie verliert.
Dem Mediengebrauch haftete immer etwas zauberhaftes an – das wird besonders im Blick auf archaische Formen wie zum Beispiel dem Latscher Figurenmenhir (s.o.) deutlich, in den die jungsteinzeitlichen Vorfahren der Blogger in einer heute nicht mehr entschlüsselbaren Zeichensprache eine Botschaft eingeschrieben haben: Äxte, Kreissymbole, Strichmännchen und Tiere. Die Aura ist kann hier mit den Fingern berührt werden: Ein Artefakt aus einer fremden, vergangenen und doch räumlich nahen Kultur – ganz im Sinne Walter Benjamis einmalig und dauerhaft. Eine Bedeutung von Slow Media, die sich hiervon ableiten lässt: Medien darauf hin zu untersuchen, inwiefern sie einen derartigen Zauber – ob man ihn Aura, Inspiration oder Nachhaltigkeit nennt – vermitteln können.
Semantischer Nachtrag: Wenn man im Internet nach steinzeitlichen Medien sucht, stößt man sofort auf den Begriff “Kraftort” (wie passend, dass es hierzu kein Lemma in der Wikipedia gibt), unter dem solche Steine und ihre Fundorte heute einsortiert werden (oft flankiert von skurrilen GoogleAds zum Thema “Sind Sie ein Kelte? Finden Sie heraus, ob Sie keltische Vorfahren haben”). Dabei kommen auch Medien immer wieder vor – aber gemeint sind nicht die abstrakten Vermittler oder Extensions of Man, sondern Extensions of Ghosts, die Botschaften aus dem Jenseits übermitteln. Ich frage mich, wie lange es dauert, dass ein Science-Fiction-Roman seinen Protagonisten zukünftige “Kraftorte” besuchen lässt, in der Hultschiner Straße oder in der ZDF-Straße, deren genaue Bedeutung nicht mehr genau entschlüsselt werden kann. Oder wurde dieser Roman schon geschrieben?