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Nachhaltiges Internet

Papier ist geduldig und kann sogar einen Beitrag zur ökologischen Nachhaltigkeit leisten. Aber wie sieht es mit dem Internet aus? Welche Bedeutung hat das Internet für eine nachhaltige Zukunft? Slow Media bedeutet schließlich nicht nur, inspirierende und mit Sorgfalt produzierte Inhalte, sondern auch Medien, die nicht auf Kosten unserer Umwelt oder unserer Nachfahren produziert sind.

Auf Slideshare habe ich eine interessante Präsentation von Jorge Zapico (Homepage) gefunden, der in zehn Punkten beschreibt, wie seiner Meinung nach ein nachhaltiges Internet aussehen sollte:

  1. Die Hardware sollte möglichst umweltschonend und langlebig produziert bzw. durch Entwicklungen wie Cloud Computing deutlich reduziert werden.
  2. Das Internet sollte als Aufklärungsmedium (“ökologischer Fußabdruck”) und als Aufruf zu einer umweltverträglichen Lebensweise verwendet werden, z.B. in Gestalt von Social-Media-Plattformen, die Mikrokredite vermitteln.
  3. Internetangebote sollten global ausgerichtet sein und sich nicht immer nur an westliche Industriegesellschaften wenden.
  4. Virtuelle Gemeinschaften können insbesondere zu lokalem Handeln aufrufen.
  5. Für gute Inhalte kann gutes Geld verlangt werden (“If something is valuable, let’s pay for it”) um qualitativ hochwertige Inhalte von der Werbeabhängigkeit zu lösen.
  6. Designer sind aufgefordert, den “Technostress” im Internet zu reduzieren.
  7. Verlangsamung und Slow Media als Alternative zu der Informations- und Kontaktüberflutung im Web.
  8. Open Source und Creative Commons sollen als Fundament für den kreativen Austausch weiter gefördert werden. Das gilt nicht nur in Bezug auf Texte und Bilder, sondern auch für Bau- und Schaltpläne.
  9. Anwendungen und Plattformen meiden, die eine nicht-nachhaltige Lebensweise fördern.
  10. Die Entwicklung des nachhaltigen Internet ist keine Angelegenheit einzelner Organisationen, sondern alle Nutzer sind aufgefordert, sich daran zu beteiligen.

Besonders spannend wäre hier eine Gegenüberstellung unterschiedlicher Mediengattungen und ihres jeweiligen ökologischen Fußabdrucks. Welche Medien sind besonders umweltschonend und warum?

Hier die Präsentation:

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Der umgekehrte Turing-Test

Im Oktober dieses Jahres jährt sich die Veröffentlichung von Alan Turings Paper “Computing Machinery and Intelligence“, das damals in der philosophischen Zeitschrift Mind veröffentlicht wurde, zum 60. Mal. Zwei Jahre später, im Turing-Jahr 2012, wird dann wahrscheinlich auf zahlreichen Symposien und Konferenzen über die gegenwärtige Bedeutung des Turing-Tests debattiert und gestritten. Kurz zusammengefasst beschreibt Turing ein Testsetup, das dazu geeignet ist, menschliche und computerisierte Intelligenz voneinander zu unterscheiden.

Dieses Konzept, obwohl auf den ersten Blick aus einem ganz anderen Diskurs stammend, hat für mich einen sehr spannenden Berührungspunkt mit der gegenwärtigen Diskussion über die Folgen der Internetgesellschaft. Unser Slow Media-Manifest skizziert in 14 Punkten eine denkbare Zukunft der (Qualitäts-)Medienproduktion. In den letzten Tagen habe ich immer wieder mit Journalisten und Redakteuren über die faszinierenden Möglichkeiten gesprochen, die sich durch Slow Media für Zeitungen und Zeitschriften eröffnen.

Ein immer wieder diskutiertes Thema war dabei die Frage: Haben auch Tageszeitungen, die wie kein anderes Medium derzeit von einer Sinnkrise befallen sind, eine Zukunft? Können sich auch Medien, deren Kernaufgabe die tägliche Information einer breiten Öffentlichkeit ist, unter dem Zeichen von Slow Media neu erfinden und hierin neue Geschäftsmodelle entwickeln? Welchen Qualitätskriterien müssen Tageszeitungen unter Slow-Media-Gesichtspunkten genügen?

Was wir an dieser Stelle brauchen, ist eine Art umgekehrter Turing-Test. Denn in der zweiten historischen Phase des Internets sehen sich gedruckte Tageszeitungen nicht mehr nur in Konkurrenz mit den Produkten ihrer Onlineredaktionen, sondern zunehmend auch in Konkurrenz mit Computer-Algorithmen. Hinter Plattformen wie Google News oder Rivva stehen keine Redakteure mehr, sondern programmierte Selektionsregeln auf Grundlage der Vernetzung von Internetquellen, ganz gleich ob dies Webseiten oder persönliche Profile sind. Was die Geschwindigkeit und das Volumen betrifft, haben die Algorithmen ihre menschlichen Vorläufer schon lange überholt. Und auch in Punkto Relevanz ist die Distanz nicht mehr allzu groß.

Hier kommt der umgekehrte Turing-Test ins Spiel, der nicht abbildet, wie nah die künstliche Intelligenz an die humane heranrückt, sondern das genaue Gegenteil: die Möglichkeiten der menschlichen Intelligenz, eine inhaltliche und formale Qualität zu schaffen, die jenseits der Möglichkeiten der Algorithmen liegt. Wenn sich der Mantel von Tageszeitungen, was Auswahl und Präsentation der Nachrichten, von automatisierten Angeboten à la Google News nicht mehr unterscheidet, haben die Redakteure den umgekehrten Turing-Test nicht bestanden. In diesem Fall ist ihre Verhandlungsposition denkbar schlecht, denn warum sollten sie für dasselbe Ergebnis ein Vielfaches an Belohnung erhalten. Darüber hinaus: Algorithmen sind keine Gewerkschaftsmitglieder und brauchen keine Pausenräume. Diesen Konkurrenzkampf haben die Redakteure und Journalisten längst verloren, auch wenn sie noch so gute Lobbyarbeit für die Wirkung von Printprodukten machen.

Genau darin liegt aber auch die Chance. Zeitungen und Zeitschriften, die den umgekehrten Turing-Test bestehen und ein Ergebnis liefern, das in dieser Form nie und nimmer von einem Computer hätte errechnet werden können, haben eine Zukunft. Hinter diesen Medien stecken echte Menschen. Und das wichtigste ist: das merkt man auch.