Einer der Vorwürfe an die deutsche Ausgabe der Wired bezieht sich auf die in den Augen der Kritiker bisweilen nur schwer erkennbare Grenze zwischen redaktionellen und werblichen Elementen. Wir sind es gewöhnt, dass diese Grenze mit klaren Hinweisen ausgestattet ist: “Achtung! Sie verlassen den redaktionellen Bereich der Zeitschrift!” Das Schmuggeln von Werbebotschaften in den redaktionellen Bereich ist ebenso verpönt wie das Schmuggeln von redaktionellen Inhalten in den werblichen Teil.
Vor fast 30 Jahren erschien “Ogilvy on Advertising”, ein Buch, das trotz der vielen nostalgisch anmutenden Werbebeispielen aus den 1960ern und 1970ern immer noch ein wichtiger Teil werberischen Selbstverständnisses darstellt. David Ogilvy wird vermutlich heute im Zuge der Madison-Avenue-Nostalgie häufiger zitiert denn je.
Der Unterschied zwischen der Werbung (insbesondere gilt das für Printanzeigen) der Ogilvy-Zeit und der Gegenwart ist frappierend: Die typische Ogilvy- oder FCB-Anzeige der 1970er hat ein großes Bild, eine Bildunterschrift, eine Textüberschrift und einen mehr oder weniger langen Text. 2000 und mehr Wörter sind keine Seltenheit. Die legendäre Rolls-Royce-Anzeige von Ogilvy (“At 60 miles an hour the loudest noise in this new Rolls-Royce comes from the electric clock”) hat mehr als 300 Wörter in 15 Absätzen.
Anders ausgedrückt: Diese Anzeigen sehen alle aus wie redaktionelle Inhalte.
Zufall? Nein, Absicht. Ogilvy schreibt: “There is no law which says that advertisements have to look like advertisements. If you make them look like editorial pages, you will attract more readers” und gibt den ambitionierten Nachwuchswerbern auch konkrete Tipps, die heute an die Strategien von Viagra-Spammer erinnern, wie zum Beispiel: “When the magazine insists that you slug your ads with the word advertisement, set it in italic caps, in reverse. Then nobody can read it.”
Ich denke nicht, dass er das genau so meinte. Dahinter steckt eine viel tiefere Erkenntnis, nämlich: “editors communicate better than admen.” Das Ziel ist nicht so sehr, dumme Werbung zu schaffen, die sich als kluger Journalismus tarnt, sondern: eine intelligente Form von Werbung zu schaffen. Geistreich, anregend, unterhaltend. Noch deutlicher wird dieser Werbetraum bei Howard Luck Gossage, der diese Vision als “erwachsene” Form der Werbung bezeichnet.
Genau dieser Punkt verdient viel mehr Aufmerksamkeit – auch in der Diskussion: Was passiert, wenn die Werbung auf einmal ambitionierter, besser gemacht und vielleicht lesenswerter wird, als die redaktionellen Inhalte? Wenn die Werbung auf einer Webseite mit automatisch produziertem Content das einzige handwerklich hergestellte Element ist? Wenn Werbung slower wird als das Medium, in dem sie erscheint? Wenn die Werber die Leser viel stärker ernst nehmen als die Redakteure?